Arbeitspferde

Obwohl sie teilweise schon seit Jahrzehnten auf dem Markt sind, werden die sieben Testkandidaten als zeitlose Arbeitspferde für Studio und Bühne geschätzt. Was sie wirklich drauf haben, erfahren Sie hier.

Von Harald Wittig

Mikrofon-Tests sind bei den Lesern von Professional audio Magazin besonders gefragt. Praktisch jeden Monat erhält die Redaktion Zuschriften, wo Leser nach den Klangeigenschaften und den Einsatzempfehlungen bestimmter Mikrofone fragen. Dabei fällt auf, dass sich.fast ein Drittel dieser Anfragen auf Mikrofone bezieht, die bei den verschiedenen Herstellern seit Jahrzehnten im Programm sind und sich ungebrochener Beliebtheit erfreuen. Für viele Anwender, vom engagierten Amateur bis zum erfahrenen Profi, sind diese Mikrofone verlässliche Arbeitspferde, die in ihrem angemessenen Rahmen eingesetzt, stets die gewünschten Ergebnisse bringen. Allemal Grund genug für uns, einige dieser Arbeitspferde einem ausgiebigen Mess- und Praxistest zu unterziehen, der Antwort auf die Kardinalfragen „Wie klingt ´s?“ und „Wofür setzte ich ´s ein?“ gibt.

Die sieben Mikrofone stammen alle aus gutem Haus und kosten zwischen sehr erschwinglichen 150 Euro und rund 1.200 Euro. So unterschiedlich die jeweiligen Anschaffungspreise, so heterogen auch das Testfeld: Drei der Kandidaten sind Kondensatormikrofone, wobei das AKG C 451 B und das Neumann KM 184 eine Kleinmembran-Kapsel haben. Das teuerste Mikrofon, das ebenfalls von Neumann stammende TLM 103 gehört hingegen zur Gattung der Großmembran-Kondensatormikrofone. Die übrigen sind Tauchspulenmikrofone, im allgemeinen Sprachgebrauch auch dynamische Mikrofone genannt. Neben dem berühmten Shure SM 58, das für viele als Synonym für das Bühnen-Gesangsmikrofon schlechthin gilt und häufig auch im Studio Verwendung findet, sind mit dem M 88 TG und dem M 201 TG zwei ungebrochen populäre Facharbeiter des Traditionsherstellers Beyerdynamic dabei. Das imposante RE20 von Electro Voice schließlich ist in den USA das Standardmikrofon im Rundfunk: Seit Jahrzehnten vertrauen amerikanische Radiosprecher auf den olive-grünen Boliden, der aber, wie der Test zeigen wird, noch weitaus mehr drauf hat.

Alle sieben Mikrofone sind so genannte Druckgradientenempfänger und haben überwiegend Nierencharakteristik. Ausnahme: Die beiden Beyerdynamics haben die Hyperniere als Richtcharakteristik. Im Unterschied zur Niere, bei der von hinten einfallender Schall nahezu vollständig ausgelöscht wird, ist die Hyperniere an die Acht angenähert. Zwar ist die seitliche Bedämpfung mit etwa zwölf gegenüber den sechs Dezibel der Niere etwa doppelt so hoch, dagegen beträgt die rückwärtige Bedämpfung nur sechs Dezibel. Damit ist die Hyperniere bei der Kanaltrennung wegen der hohen seitlichen Bedämpfung im Hinblick auf Übersprechen noch besser als die Niere. Nicht umsonst ist das M 201 TG eines der Lieblingsmikrofone von Reportern, die in lauter, halliger Umgebung Interviews führen müssen. Hier erweist sich die Empfindlichkeit des Mikrofons für rückwärtigen Schall ebenfalls als praxisgerecht: Da auch rückwärtiger Schall gegenüber der 0-Grad-Einsprechrichtung phasenverdreht aufgenommen wird, sind solche Mikrofone weniger frequenzabhängig als Nierenmikrofone, der Diffusschall klingt ähnlich wie der aufgenommene Direktschall, was einen präziseren, weniger verwässerten Klang ergibt. Dadurch ist beispielsweise in einer Bahnhofshalle oder am Flughafen die Sprachverständlichkeit besser. Der Nachteil ist die höhere Rückkopplungsempfindlichkeit solcher Mikrofone: Auf der Bühne sollten die Monitor-Boxen deswegen schräg rechts und links vom Sänger stehen und in einem Winkel zwischen 110 und 250 Grad auf die Rückseite des Mikrofons strahlen. Für das M 88 TG, das unter anderem als Gesangsmikrofon geschätzt wird und auch unter seinem Spitznamen „Phil Collins-Mikrofon“ bekannt ist, empfiehlt Beyerdynamic für die Bühne einen Aufstellwinkel der Bühnenmonitore von 120 Grad zur Rückseite des Mikrofons.
Dieses Problem kennt das Shure SM 58 nicht: Wie das M 88 TG hat es die markante Eistütenform eines handgehaltenen Gesangsmikrofons, dank seiner Nierencharakteristik ist es weitgehend unempfindlich gegen rückwärtigen Schall und somit gegen Rückkopplungen. Wie das M 88 TG kommt es gänzlich ohne Schalter aus. Das hat praktische Gründe: Der Sänger soll nicht zum Missfallen des Live-Tontechnikers den sorgfältigen Soundcheck durch unvorhergesehenes Zuschalten von Hochpass-Filtern oder Vordämpfung sabotieren können. Im SM 58 stecken dafür einige konstruktive Detaillösungen, die es gerade für den Live-Einsatz prädestinieren: Körperschall ist ein schlimmer Feind eines dynamisches Mikrofons, das als Druckgradient aufgebaut ist, denn diese haben konstruktionsbedingt eine mechanische Resonanzfrequenz im unteren Mittenbereich. Das SM 58 hat daher ein pneumatisches Dämpfersystem, das den Körperschall abfedert. Auf diese Weise werden Griffgeräusche, die immer dann entstehen, wenn der Sänger das Mikrofon von der einen in die andere Hand wechselt oder vom Stativ nimmt deutlich verringert. Außerdem haben sowohl das SM 58 als auch das M 88 hinter dem Einsprechkorb, das beides Mal aus einem sehr stabilen Drahtgitter gefertigt ist, eine Schaumstoffeinlage. Die soll nicht nur Schmutz und Feuchtigkeit von der Kapsel fernhalten, sondern vor allem als Popp- und Windschutz dienen. Das ist wichtig, denn viele Sänger haben die Angewohnheit, das Mikrofon beim Singen fast zu verschlucken, um den Nahbesprechungseffekt zugunsten eines fetteren, weil dadurch basslastigeren Klangs ihrer Stimme zu nutzen. Schließlich sind beide Mikrofone, das SM 58 und das M 88, robust gebaut, so dass beide auch akrobatische Showeinlagen, wie das lassoartige Herumwirbeln des Mikrofons, überstehen dürften.

In Punkto Robustheit wirkt das RE20 von Electro Voice beinahe noch unerschütterlicher: Die eigenwillige Lackierung seines massiven Stahlgehäuses erinnert unwillkürlich an einen Panzer. Vermutlich lassen sich mit dem RE20 auch Nägel einschlagen, wenngleich das Mikrofon damit grob unterschätzt würde. Es weist nämlich einige Konstruktions-Details auf, die es durchaus außergewöhnlich machen. Das RE20 ist, obwohl als Druckgradientenempfänger gefertigt, bekannt für seinen minimal ausgeprägten Nahbesprechungseffekt: Beim Druckgradientenempfänger sind sowohl Vorder- als auch Rückseite der Membran dem Schallfeld ausgesetzt. Auf dem Weg von der Vorder- zur Rückseite der Membran muss die Schallwelle einen kleinen Umweg zurücklegen. Die Länge dieses Umwegs wird vom Mikrofon-Hersteller speziell ausgelegt und in der Regel durch schallverzögernde Bauteile ergänzt. Dieses so genannte Laufzeitglied bewirkt, dass die Schallwelle mit unterschiedlichen Phasenlagen vor und hinter der Membran anliegt. Beim RE20 ist das Laufzeitglied so gestaltet, dass verschiedene Frequenzen quasi unterschiedliche Umweglängen zur Membranrückseite zurücklegen müssen. Diese als Variable-D-Prinzip bezeichnete Konstruktion sorgt jetzt dafür, dass die physikalische Ursache des Nahbesprechungseffekts, nämlich die Überlagerung der phasen- und entfernungsabhängigen Druckunterschiede, deutlich minimiert ist. Nicht zuletzt deshalb ist das RE20 so beliebt als Moderatorenmikrofon im Rundfunk: Auch wenn der Sprecher häufig den Abstand zum Mikrofon variiert, die Stimme des Sprechers verändert sich nicht hörbar.
Als weitere Besonderheit hat die Membran des RE20 eine Schwingspule aus besonders leichtem Aluminium, anstatt der meistens verwendeten Kupferspulen. Dadurch verspricht sich der Hersteller ein besseres Impulsverhalten. Denn dynamische Mikrofone haben wegen ihres höheren Membrangewichts, das auch durch die Kupferspule verursacht wird, ein gegenüber Bändchen- oder Kondensatormikrofonen schlechteres Impulsverhalten. Die schwere Membran kann den schnellen Luftdruckschwankungen eines impulshaften Schallereignisses nicht schnell genug folgen.

Bezüglich Impulsverhalten haben die drei Kondensator-Mikrofone von AKG und Neumann von Haus aus bessere Karten, da bei allen dreien die Membran konstruktionsbedingt deutlich leichter ist. Gegenüber dynamischen Mikrofonen sind Kondensatormikrofone allerdings weniger pegelfest – sehr hohe Schallpegel können sie nicht mehr verzerrungsfrei in elektrische Signale umwandeln. Um dennoch auch die Aufnahme sehr lauter Instrumente, wie beispielsweise der Trompete zu ermöglichen, hat das AKG C 451 B eine in zwei Stufen schaltbare Vordämpfung, wodurch der Grenzschalldruckpegel um zehn beziehungsweise 20 Dezibel heraufgesetzt wird. Damit ist zwar die verzerrungsfreie Aufnahme einer lauten Schallquelle nicht garantiert, hilfreich ist eine solche Vordämpfung aber in jedem Fall. Wie die Mikrofone von Neumann hat auch das AKG eine trafolose Ausgangsstufe. Im Falle des Neumann TLM 103 ist dieses Konstruktionsmerkmal schon in der Typenbezeichnung erkenntlich: „TLM“ steht nämlich für Trafo-Loses Mikrofon. Neumann setzt seit Anfang der 80er-Jahre mit der Erstvorstellung des TLM 170 auf diese Art der elektronischen Symmetrierung, bei der eine spezielle Verstärkerschaltung arbeitet, die neben dem In-Phase-Signal zusätzlich ein invertiertes, Out-Of-Phase-Signal erzeugt. Obwohl diese Schaltungsart anders als bei der Trafosymmetrierung keine galvanische Trennung ermöglicht, hat sie den grundsätzlichen Vorteil des besseren Übertragungsfrequenzgangs, der die Höhenauflösung begünstigen kann. Im Falle des AKG soll die trafolose Schaltung vor allem eine präzise Transienten-Wiedergabe ermöglichen – was jedenfalls ein Grund dafür wäre, dass es von vielen Praktikern gerne bei der Schlagzeugabnahme als Overheadmikrofon für die Becken genommen wird.
Das für Neumann-Verhältnisse sehr kostengünstige TLM 103 darf sich mit einer Kapsel schmücken, die auf der des legendären und fast dreimal so teuren U 87 (siehe Test in Ausgabe 5/2007) basiert. Konkret findet im TLM 103 die U 87-Membran und -Elektrode Verwendung. Um die Kosten gering zu halten, besitzt das TLM 103 im Gegensatz zum AKG weder einen Vordämpfungsschalter noch einen Bass-Abschwächer beziehungsweise Hochpassfilter. Das TLM 103 gehört zu den Bestsellern im Programm des Berliner Herstellers und wird vor allem von Projektstudio-Betreibern als kostengünstiger Allrounder geschätzt – zumal die Verarbeitung den hohen Neumann-Standard hat.
Etwas anders verhält es sich beim KM 184. Denn dieses Kleinmembranmikrofon darf getrost als eines der Quasi-Standard-Mikrofone für die Aufnahme akustischer Instrumente mit komplexer Obertonstruktur wie Gitarre, Streicher und Klavier gelten. Obwohl es auch einzeln erhältlich ist, empfiehlt sich hier gleich die Anschaffung des Stereo-Sets. Zum einen liegt der Verkaufspreis für das Stereo-Pärchen im Fachhandel teilweise beträchtlich unter den empfohlenen rund 1.500 Euro. Zum anderen erhält der Käufer zwei hervorragend aufeinander abgestimmte Mikrofone. Ausweislich unserer Messergebnisse gleichen sich die nur 80 Gramm leichten Stäbchen wie ein Ei dem anderen. Die gemessenen Frequenzgänge für beide Mikrofone beispielsweise sind praktisch deckungsgleich, weswegen wir exemplarisch nur eine Kurve veröffentlichen.
Eine Besonderheit von Neumann-Mikrofonen, die weniger bekannt ist, betrifft deren Nennimpedanz, also den Wechselstrom-Innenwiderstand. Bei den meisten Mikrofonen – hier machen die vier übrigen Testkandidaten keine Ausnahme – beträgt dieser in der Regel um die 200 Ohm (siehe im Einzelnen die Tabelle auf den Seiten 50/51). Dieser Wert stellt gewissermaßen den internationalen Standard dar. Die vergleichsweise niedrigen Nennimpedanzen der Neumänner entsprechen demgegenüber der deutschen Rundfunknorm. Vorteil ist unter anderem die Störunanfälligkeit bei sehr langen Kabelstrecken. Allerdings sollten sich die Fans und Benutzer anderer Mikrofone deswegen keine grauen Haare wachsen lassen: Relevant wird das erst bei Kabelstrecken ab 200 Meter, was zumindest im Studio-Bereich so gut wie gar nicht vorkommt.

Die im Messlabor ermittelten Frequenzgänge der Testkandidaten fallen recht unterschiedlich aus. Das liegt nicht nur an den verschiedenen Wandlerprinzipien der Testkandidaten: Auch wenn die Frequenzgänge der dynamischen Mikrofone gegenüber den Vettern von der Kondensatorfraktion naturgemäß einen welliger, weniger gleichmäßigen Kurvenverlauf aufweisen, gibt die eine oder andere Kurve Hinweise auf das Klangdesign der Hersteller. Das Shure SM 58 beispielsweise weist einen Abfall im Bassbereich unterhalb 100 Hertz und einen gleichmäßigen Anstieg im Mittenbereich knapp ab 500 Hertz bis vier Kilohertz auf. Das ist durchaus beabsichtigt, denn dieser aufgehellte Mittenbereich bei gleichzeitiger Bassdämpfung soll Gesangsstimmen präsenter machen. Einen gewissen Anteil hieran dürfte auch die deutlich erkennbare Höhenanhebung von immerhin zwölf Dezibel im Bereich von zehn Kilohertz haben. Ähnlich sieht der Frequenzgang des Beyerdynamic M 88 TG aus, wenngleich hier die Bassdämpfung und Höhenanhebung sehr viel dezenter ausfällt. Auffällig ist aber eine gegenüber dem Shure stärkere Anhebung im Präsenzbereich. Diese beträgt knapp oberhalb drei Kilohertz gut fünf Dezibel. Der Frequenzgang des M 201 TG ist, obwohl dieses Mikrofon anders als sein Geschwister für die Instrumentenabnahme konzipiert ist, dem des Shure auf den ersten, flüchtigen Blick ähnlich. Allerdings fällt hier sowohl die Bassabsenkung ab 100 Hertz, als auch die sanfte Anhebung in den unteren Mitten äußerst dezent aus (siehe Frequenzgang-Kurven). Für ein dynamisches Mikrofon ist der Kurvenverlauf sogar ausgesprochen gleichmäßig und würde auch manchem Kondensatormikrofon zur Ehre gereichen.

Noch etwas besser kann´s das Electro Voice RE20. Zumindest verläuft die Kurve vom Bass bis hinauf drei Kilohertz weitgehend linear. Auffällig ist aber die deutliche Höhenanhebung, die bei fünf Kilohertz beginnt und schließlich bei zehn Kilohertz über zehn Dezibel beträgt. Dies kann sich durchaus klanglich zugunsten einer gewissen Kernigkeit auswirken.
Die drei Kondensatormikrofone haben alle einen insgesamt recht linearen Frequenzgang. Vorbildlich – gewissermaßen wie aus dem Bilderbuch für Großmembran-Mikrofone – verläuft die Kurve beim Neumann TLM 103: Auffällig ist vor allem die äußerst geringe Höhenanhebung, was um so mehr verwundert, da diese bei Großmembranmikrofonen konstruktionsbedingt nur schwer zu vermeiden ist. Bei Kleinmembranmikrofonen sieht es anders aus, hier ist es wegen des deutlich kleineren Membrandurchmessers wesentlich einfacher, den Frequenzgang auf linearen Kurs zu bringen. Die beiden Neumann KM 184 des getesteten Stereo-Sets weisen, wie bereits erwähnt, praktisch deckungsgleiche Kurven auf, die zudem sehr gleichmäßig verlaufen. Die erkennbare Senke zwischen 150 und 200 Hertz der repräsentativen Beispielkurve rührt von Reflexionen der Mikrofonhalterung bei der Messung im Labor von Professional audio Magazin her, denn die KM 184 sind vergleichsweise kurz gebaut. Die Senke bei drei und vier Kilohertz beträgt kaum drei Dezibel und dürfte sich klanglich kaum auswirken. Schließlich glänzt auch das AKG mit einem weitgehend linearen Verlauf seines Frequenzganges, lediglich die stete Anhebung oberhalb drei bis hinauf zu zehn Kilohertz fällt auf.
Bei den Ausgangspegeln und den Geräuschspannungsabständen ist das TLM 103 der unangefochtene Star unter den getesteten Kondensatormikrofonen: Mit gemessenen 85,6 Dezibel für den Geräuschpegelabstand bei vergleichsweise hoher Ausgangsspannung von 22,5 mV/Pascal ist gewährleistet, dass Rauschen auf den Aufnahmen nicht hörbar sein wird – vorausgesetzt der Mikrofonvorverstärker oder die Mikrofoneingänge des Mischpults liegen auf dem gleichen Qualitätsniveau. Auch die beiden kleinen Neumänner, die KM 184, werden mit sehr guten 80 beziehungsweise 79,8 Dezibel der Reputanz des Herstellers gerecht. Beide Mikrofone des Pärchens weisen annähernd gleiche Messwerte auf, wie es sich für ein „matched pair“ gehört. Das AKG fällt gegenüber den drei Berlinern mit 72,8 Dezibel etwas ab. Es handelt sich aber immer noch um einen guten Wert. Allerdings ist das AKG mit 7,2 mV/Pascal ein vergleichsweise leises Mikrofon und stellt gewisse Ansprüche an die Gain-Reserven des Preamps. Dieser sollte neben hoher Rauscharmut eine Eingangsempfindlichkeit des Mikrofoneingangs von wenigstens -60 dBu aufweisen.
Letzteres gilt erst recht für die vier Dynamiker im Test, denn deren Empfindlichkeit beträgt im Mittel etwa 1,3 mV/Pascal, lediglich das M 88 TG ist mit 2,1 mV/Pascal ein wenig lauter. Hier zeigt sich, was ein Vorverstärker drauf hat. Im Test steht jedenfalls der Gain-Regler des Referenz-Vorverstärkers Lake People Mic-Amp F355 für einen brauchbaren Pegel bereits oberhalb der +60 dB-Marke, ist also sehr weit aufgedreht. Wer hier einen Vorverstärker mit Werten für den Geräuschspannungsabstand deutlich unter -80 Dezibel einsetzt, ist zumindest bei der Aufnahme leiser akustischer Instrumente nicht vor störendem Rauschen gefeit.

Messwerte allein verraten noch nichts über den Klang eines Mikrofons, deswegen gehört es auch diesmal zur Testroutine, verschiedene Aufnahmen mit allen sieben Mikrofonen anzufertigen. Dabei handelt es sich wie immer um kurze Sprach-, Gesangs- und Instrumenten-Takes. Auch wenn ein Mikrofon wie beispielsweise das Shure SM 58 für Gesangsaufnahmen optimiert ist, heißt das nicht notwendig, dass es nicht auch bei Instrumenten-Aufnahmen eine interessante Farbe ins Arrangement bringen kann. Mit dem Neumann KM 184 Stereo-Set ist die Aufnahmesitzung noch etwas aufwändiger, denn neben separaten Monotakes mit beiden Mikrofonen, stehen noch Aufnahmen im XY- und A/B-Verfahren an. Um den Mikrofonen und der bewährten Kombination Lake People/Lynx Aurora A/D-Wandler klanglich so gerecht wie möglich zu werden, vertrauen die Tester auf hochwertige Mikrofonkabel von Sommercable Carbokab, Phonosophie und Vovox. Einen ausführlichen Kabeltest wird Professional audio Magazin übrigens in einer der nächsten Ausgaben bringen.

Aber jetzt in alphabetischer Reihenfolge die ausführliche Beschreibung der Klangeigenschaften der Testkandidaten:

AKG C 451 B: Der Klangcharakter des Mikrofons ist etwas präsent, mit leicht vordergründigen Höhen, was die sauberen Mitten etwas überdeckt. Die Höhenwiedergabe ist gerade bei Transienten erstaunlich klar und sauber, so dass die Beliebtheit des C 451 B als Drum-Overhead absolut nachvollziehbar ist: Becken klingen in der Tat strahlend und silbrig, die gute Auflösung und das auf vergleichbar hohem Niveau stehende Impulsverhalten tun ein Übriges. Eine Klangeigenschaft, die auch matt klingenden Instrumenten gut zu Gesicht steht oder wenn ein brillanter Klavierklang gefragt ist. Vorsicht ist aber bei Nahmikrofonierung geboten, denn das AKG weist einen sehr ausgeprägten Nahbesprechungseffekt auf. Die stark angehobenen Bässe überdecken teilweise den Mittenbereich und sorgen bei Nahmikrofonierung einer Konzertgitarre für einen etwas indifferenten, leicht mulmigen Klang – trotz Ausrichtung der Membran auf die Stelle zwischen Schalloch und Steg.

Beyerdynamic M 201 TG: Das kleine M 201 TG ist die eigentliche Überraschung im Test, denn diese Mikrofon kann aufgrund seines feinen, schlanken Klangs mit guten Kondensatormikrofonen der Mittelklasse konkurrieren. Auflösung und Impulsverhalten sind für ein dynamisches Mikrofon hervorragend, die Transientenwiedergabe ist ausgezeichnet. Gerade für akustische Instrumente mit komplexer Obertonstruktur ist es gut geeignet: Eine höhenreichere Westerngitarre in Grand-Concert-Form klingt auch bei bewusst perkussiver Spielweise angenehm schimmernd. Auch zur Violine passt das M 201 TG gut und ist ebenfalls eine gute Wahl als Overheadmikrofon fürs Schlagzeug. Nicht umsonst führt Beyerdynamic das M 201 TG als Instrumenten-Mikrofon, wobei es in seiner Eigenschaft als Reporter-Arbeitspferd erwartungsgemäß auch bei Sprachaufnahmen mit souveräner Klarheit punktet.

Beyerdynamic M 88 TG: Mit seinem kleinen Geschwister hat das M 88 TG die hohe Auflösung gemein, beim Impulsverhalten wirkt es aber etwas träger. Sein Klang ist tendenziell ausgewogen mit einer gewissen Kernigkeit und einem leichtem Biss. Als Gesangsmikrofon für alle Stimmlagen, vorzugsweise im Popbereich, ist es eine gute Wahl: Tiefe, mittlere und hohe Stimmen kommen gut nach vorne und werden plastisch abgebildet. Für Streich- und Zupfinstrumente ist das feinere M 201 TG besser geeignet, dafür profitieren solistische Holz- und Blech-Bläser für Funk, Rhythm and Blues und vergleichbare Stilistiken von den Klangeigenschaften des M 88 TG, zumal es sehr pegelfest ist. Der Nahbesprechungseffekt ist nicht übermäßig ausgeprägt.

Electro Voice RE20: Das RE20 trumpft vor allem bei tiefen und mittleren Stimmen auf, denn der Nahbesprechungseffekt ist auch bei Minimalabstand des Sprechers beziehungsweise Sängers zum Einsprechkorb kaum auszumachen. Daher klingen Bässe und Mitten erstaunlich sauber und fokussiert. Dem Klang haftet auch eine gewisse Kernigkeit an, die breiigen Stimmen gut steht – diese erhalten deutlich mehr Kontur. Das gilt grundsätzlich auch für hohe Stimmen, allerdings dürften die angehobenen Höhen in diesem Fall nicht nach jedermanns Geschmack sein. Die Auflösung ist in diesem Bereich aber sehr gut und bei Transienten ist das RE20 tatsächlich unerschütterlich souverän. Gerade für die Aufnahme von Trompetern mit Hang zur Wolkenkratzer-Spielweise eines Maynard Ferguson passt dieses Mikrofon wie das Mundstück aufs Mundrohr. Wegen seiner äußerst hohen Pegelfestigkeit und der Fähigkeit, tieffrequente Signale bestens im Griff zu haben, lässt sich mit dem RE20 auch ein Kontrabass aus nächster Nähe abnehmen, desgleichen die Bassdrum des Schlagzeugs.

Neumann KM 184 Stereo-Set: Die beiden Neumännchen belegen, warum für hochwertige Aufnahmen von akustischen Instrumenten ein gutes Kondensatormikrofon immer noch die beste Wahl ist: Trotz der mehr als achtbaren Leistung des M 201 TG – diese beiden Stäbchen klingen einfach noch klarer und feiner, denn Auflösung und Impulsverhalten sind hervorragend. Ob einzeln, im XY- oder im A/B-Verfahren: Das Paar ist der Wahrheit verpflichtet ohne dabei nüchtern-kühl zu klingen. Speziell Streicher, akustische Gitarren jedes Typs oder Tasteninstrumente vom Cembalo bis zum Konzertflügel profitieren von der Sauberkeit und Neutralität der Mikrofone. Dank des nicht übermäßig stark ausgeprägten Nahbesprechungseffekts sind auch Nahmikrofonierungen problemlos möglich. Speziell Gitarrenaufnahmen mit einem Mikrofonabstand zischen 20 und 30 Zentimetern gelingen sehr einfach, die von der Positionierung abhängigen verschiedenen Klangfarben sind sofort hörbar und erleichtern den Soundcheck erheblich. Ein starkes, perfekt aufeinander abgestimmtes Duo.

Neumann TLM 103: Das TLM 103 ist ein Mikrofon mit Charakter, soll heißen: Es klingt. Insgesamt vom Bass bis in den Höhen ausgewogen, besitzt sein Klang eine warme, weiche Grundtendenz. Dieses Mikrofon klingt im positiven Sinne schön und es dürfte jedem Sänger und jedem Instrumentalisten Freude machen. Gesangsstimmen, vorzugsweise aus Jazz und Klassik, klingen voll und rund, desgleichen Konzertgitarre oder Querflöte. Klanglich positioniert sich dieses Mikrofon innerhalb der Neumann-Familie zwischen dem für Gesang optimierten TLM 49 und dem fast dreimal so teuren U 87 Ai. Es hat vom TLM 49 ein wenig die Wärme, vom U 87 dessen Signaltreue mitbekommen. Wer ein sehr gutes Großmembran-Mikrofon sucht und auf ´s Budget achtet, ist mit dem TLM 103 sehr gut bedient. Wer gerne Ensembles im Groß-A/B-Verfahren aufnimmt – beispielsweise mit dem KM 184 Stereopaar – kann mit dem TLM 103 durch feinfühliges Hinzumischen das dabei häufig entstehende Mittenloch auffüllen.

Shure SM 58: Das SM 58 ist ebenfalls ein Spezialist mit Charakter, also eigenem Klang. Die stereotype Empfehlung, das SM 58 als Gesangsmikrofon zu wählen, ist aber mit Vorsicht zu genießen, denn sein Eigenklang passt nicht zu jeder Stimme. Sein Klang ist etwas mittig, dabei tendenziell nasal – hier macht sich die absichtliche Mittenanhebung im Frequenzgang des SM 58 bemerkbar. Verfügt ein Sänger über eine volle Stimme mit guter Atemstütze, liegt er mit dem SM 58 richtig – solange nicht gerade sanfte Jazzballaden oder Klassik angesagt sind. Bei eher dünnen, hohen Stimmen, klingt´s allerdings schnell etwas aufdringlich. Für solche Sänger ist das Beyerdynamic M 88 TG besser geeignet. Für Instrumente ist das Shure nur bedingt zu empfehlen: Während Zupf- und Streichinstrumente und SM 58 nicht zusammenpassen – es sei denn, es soll ein bestimmter Sound erzeugt werden – kann es mit Holzbläsern aber durchaus gefallen: Beispielsweise auf das Kopfstück/Mundloch der Querflöte bei einem Abstand von circa 20 Zentimetern ausgerichtet, lässt sich ein Klang erzeugen, der gut zu perkussiven, eher hart gespielten Jazz- und Soul-Solos passt. Zielt der Luftstrom etwas am Einsprechkorb vorbei, bewährt sich auch der sehr effektive eingebaute Poppschutz des SM 58.

Fazit

Jedes einzelne der sieben altbewährten oder jungen Mikrofon-Klassiker spielt groß auf, sofern es richtig eingesetzt wird. Wer ein sehr gutes Overhead-Mikrofon für die Schlagzeugabnahme sucht, ist mit dem AKG C 451 B sehr gut bedient, denn es verhilft mit seinem ausgeprägten Höhenspektrum und der sauberen Transientenwiedergabe zu einem silbrig-brillanten Beckenklang. Das Beyerdynamic M 201 TG ist ein echter Geheimtipp für alle, dennen Kondensatormikrofone zu teuer und zu sensibel sind: Dieses dynamische Mikrofon bewältigt auch die Abnahme sensibler akustischer Instrumente wie Streicher und Gitarre, ist sehr robust und zudem sehr kostengünstig. Auch das Beyerdynamic M 88 TG ist eine gute Wahl, vor allem als Gesangsmikrofon für die Bühne und im Studio, denn es passt praktisch zu allen Stimmen, sofern nicht klassische Gesangsaufnahmen verlangt sind. Eine Sonderstellung nimmt auch das Electro Voice RE20 ein. Obwohl Sprachaufnahmen seine ureigene Domäne sind, ist es ein hervorragendes Mikrofon für die Abnahme der Kickdrum oder eines Kontrabasses aus nächster Nähe. Für die Trompete dürfte es fast konkurrenzlos sein. Das KM 184 Stereo-Set ist eine Topp-Empfehlung für die Abnahme von Saiteninstrumenten, Holzbläsern und Ensembles im XY- oder A/B-Verfahren, denn das perfekt abgestimmte Stereo-Paar glänzt durch seine Signaltreue bei sehr guter Auflösung und Impulsverhalten. Das Großmembran-Mikrofon TLM 103 aus demselben Hause ist dagegen ein wunderbar warm klingendes Mikrofon, das dabei sehr ausgewogen ist und für klassische Gesangsaufnahmen oder die puristische Abnahme akustischer Instrumente gleichermaßen sehr gut geeignet ist. Das berühmte Shure SM 58 ist natürlich ein Gesangsmikrofon, vorzugsweise für die Bühne, sollte aber auch einen angemessenen Sänger haben, der über eine volle Stimme verfügt. Dünne, hohe Stimmen passen nicht zu diesem grundsoliden Arbeitspferd. Wer seine Pop/Soul-Arrangements zur Abwechslung mit einem Flöten- oder Klarinettensolo aufpeppen möchte, sollte das SM 58 auch mal antesten, denn auch hierfür hat es eine durchaus reizvolle Klangfarbe.

Erschienen in Ausgabe 09/2007

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 1158 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut