Klassischer Schlägertrupp

Klassischer Schlägertrupp

Percussion-Instrumente fristen in der klassischen Musik eher ein Schattendasein, zu Unrecht wie der amerikanische Sample-Spezialist Vir2 findet. Mit der Elite Orchestral Percussion Library erweist der Hersteller dieser nischenbehafteten Instrumentengruppe die Ehre und zeigt eindrucksvoll, welch eine Pracht sich im Schatten von Streichern und Bläsern verbirgt.

Von Georg Berger

Hand aufs Herz: Jeder hat irgendwo in seinem reichhaltigen Klangarchiv das eine oder andere Orchester-Percussion-Sample abgelegt, das hier und da zum Einsatz kommt und nur deshalb so selten eingesetzt wird, weil entweder der Sound nicht gefällt oder der Vorrat an Spieltechniken zu wünschen übrig lässt. Dabei würde sich der Einsatz von Pauken, Röhrenglocken, Marimbas, Triangeln und Tambourinen in den eigenen Produktionen durchaus lohnen. Was fehlt, ist also eine gut sortierte Library, die auf einen Schlag das gewünschte Repertoire an musikalisch hervorragend einsetzbaren Sounds und Spieltechniken offeriert. Dieses Manko will der amerikanische Sample-Library-Produzent Vir2 Instruments mit seinem jüngsten Produkt, der Elite Orchestral Percussion Library, beheben. An Bord der rund 19 Gigabyte großen Library befinden sich alle relevanten Schlaginstrumente, die in der klassischen Musik westlicher Prägung zum Einsatz kommen und in einer Auflösung von 24 Bit und 44,1 Kilohertz vorliegen. Als Bonus gibt’s obendrein noch eine umfangreiche Sammlung an eher artfremden akustischen Effekt-Sounds, wie unter anderem Autohupen, originale Kuhglocken, Glasharfen, Kokosnuss-Schalen, Trillerpfeifen, Schlüsselgeklimper oder Stahlplatten sowie eine kleine Sammlung an Ethno-Percussionsounds, die über das instrumentale Repertoire eines Symphonie-Orchesters hinausragen. In der rund 250 Euro teuren Library tummeln sich über 250 Presets im Kontakt-Format, die wiederum mehrere verschiedene Soundvariationen und Artikulationen enthalten. Der kostenlose Kontakt-Player von Native Instruments ist im Lieferumfang übrigens enthalten. Mit einem einfachen Abspielen der Multisamples haben sich die Programmierer von Vir2 Instruments jedoch nicht zufrieden gegeben und auf Basis von Native Instruments Kontakt beziehungsweise den Kontakt-Player zusätzliche einstellbare Funktionen entwickelt, die für einen lebendigen Klang und authentisches -musikalisches Verhalten beim Einspielen sorgen. Last but not Least helfen ein integrierter Dreiband-Equalizer und ein Faltungshall beim Veredeln der Sounds. Doch dazu später mehr.

Die Elite Orchestral Percussion Library (EOP) ist sinnvoll und übersichtlich in 20 Instrumenten-Kategorien unterteilt und zählt im Browser der Abspiel-Software folglich dieselbe Anzahl an Unterordnern. Der „Accessories and FX“-Ordner enthält die bereits erwähnten untypischen Percussionsounds. Ansonsten dürften die Ordner-Bezeichnungen für sich sprechen, mit einer Ausnahme: Der Chimes-Ordner enthält nicht wie erwartet die charakteristischen Sounds dieses Klangstab-Instruments, sondern waschechte Röhrenglocken. Die gewünschten perlenden Klingelsounds finden sich dafür im „Wind Chimes“-Ordner. Die Presets mit Sounds von Pauken, Bass-, Snare-Drums, Toms sowie Tambourine, Triangel, Gongs und Woodblocks sind in jeweils einem Ordner zusammengefasst. Eine reichhaltige Auswahl an China-, Crash- und Ride-Becken verteilt sich auf insgesamt vier Ordner. Gleiches gilt auch für die Mallet-Instrumente, die separat die Sounds von Marimbas, Glockenspielen, Xylophonen und Vibraphonen enthalten. Die bereits erwähnten Ethno-Sounds und ein Ordner mit Handzimbeln runden das Repertoire ab. Insgesamt bleiben keine Wünsche offen. Wer Rasseln, Ratschen, Kastagnetten oder Claves in dieser Aufzählung vermisst, wird in den FX- und Ethno-Ordnern fündig. 

Jedes Preset bietet Multisamples mit mehrfachen Velocity-Layern. Auffällig: Teilweise lassen sich per Anschlagsdynamik völlig unterschiedliche Sounds und sogar Loops über eine Taste ansteuern, die, geschickt eingesetzt, ein flexibles Spielen ermöglichen. Die nicht tonalen Instrumente enthalten verschiedene Spieltechniken, die außer einem normalen Anschlagen zusätzlich Wirbel, Flams und Rolls offerieren. Überdies finden sich längere One-Shot-Samples mit rhythmischen Figuren, die anschaulich das spielerische Potenzial jedes Instruments demonstrieren und die sich somit hervorragend musikalisch einsetzen lassen. Mitunter existieren in einem Preset mehrere Sounds zwar derselben Instrumentengruppe, aber von unterschiedlichen Herstellern oder in unterschiedlichen Größen, was die Soundpalette noch einmal erhöht und deutlich über den Klang-Vorrat der 250 Presets hinausragt. Die tonalen Instrumente, wie etwa die Marimba, bieten in separaten Presets einmal die Möglichkeit, herkömmlich Melodien und Akkorde zu spielen. In extra ausgewiesenen Effekt-Presets stehen diverse Glissandi, kurze Loops mit Crescendi und Decrescendi sowie teils völlig abgedrehte Klangskulpturen zur Verfügung, die eindeutig in Richtung moderne klassische Musik deuten. Weitere Presets offerieren Sounds, bei denen – typisch für diese Instrumente – Intervalle und Akkorde erklingen und teils in rhythmisierten Dreiklangsbrechungen und Trillern vorliegen, selbstverständlich in Dur, Moll, vermindert und übermäßig. Im Pauken-Ordner tummeln sich Presets, die sowohl herkömmliche Sounds enthalten und zum tonalen Spiel einladen, als auch mit an- und abschwellenden Wirbeln in verschiedenen Variationen aufwarten. Im Test wirken die vielfältigen Spieltechniken sehr inspirierend. Sie liefern auf lange Sicht ein enormes kreatives Potenzial, das für so ziemlich jede musikalische Herausforderung die passende Antwort parat hält. Bei der Zusammenstellung und Programmierung der Samples hat Vir2 Instruments also ganze Arbeit geleistet und ein stilsicheres Gespür und Know-how bei der Produktion der Samples und Presets bewiesen.

Vir2 Instruments hat sich jedoch nicht nur auf das Samplen der Sounds und das Programmieren der Presets beschränkt. Zusätzlich haben sie jedem Preset einstellbare Funktionen mitgegeben, die beim Spielen und Komponieren eigener Rhythmen für ein lebendig und authentisch klingendes Spiel sorgen. Diese Funktionen sind nach Laden eines Presets über die Edit-Buttons auf der Oberfläche des Instrumenten-Slots erreichbar, woraufhin entsprechende Einstell-Dialoge im Wechsel mit der Instrumenten-Oberfläche erscheinen. So bietet der Humanize-Dialog die Möglichkeit, den Sounds per Zufallsfunktionen leichte Tonhöhen-, Timing- und Lautstärkeschwankungen zu verpassen, was gerade beim Einspielen eigener Grooves oder Rolls von Vorteil ist. Denn damit lässt sich der berühmt-berüchtigte Maschinen-Gewehr-Effekt elegant vermeiden, der bei Wirbeln sklavisch dasselbe Klangspektrum mit derselben Lautstärke wiedergibt, was, nebenbei bemerkt, künstlich und statisch klingt. Die Humanize-Funktion simuliert dabei den Umstand, dass ein Instrumentalist beim Spielen ostinater Rhythmen eben nicht immer auf exakt dieselbe Stelle des Instruments mit der gleichen Kraft und zum exakt gleichen Zeitpunkt schlägt. Per Button lässt sich im Dialog die Art der Schwankung separat aktivieren. Drehregler erlauben die Einstellung der Schwankungsstärke und des Schwankungsbereichs. So kann in Extrempositionen die Tonhöhe im Bereich einer Oktave, das Timing bis zu zehn Millisekunden und die Lautstärke bis maximal sechs Dezibel variieren. Für authentisch klingende Ergebnisse reicht es, den Schwankungsbereich insgesamt sehr eng zu fassen. Sound-Tüftler mit Hang zum Exotischen werden die klanglichen Ergebnisse in Extrempositionen der Schwankungs-Parameter jedoch durchaus schätzen. Im Test wissen die so „humanisierten“ Sounds auf Anhieb zu begeistern. Vorteil: Der Einsatz entsprechender alternativer Samples zum Realisieren des gleichen Effekts, wie in anderen Produkten zu finden, erübrigt sich, was zusätzlich wertvollen Festplattenspeicher spart. Für diese pfiffige und effiziente Lösung gebührt Vir2 Instruments ein Sonderlob.

Eine weitere Steuerungs-Option in den Presets der EOP-Library findet sich in Form von Key-Switches unterhalb der C1-Oktave, die eine Choke-Funktion sowie diverse Wirbel und Flams im 32tel- oder 64tel-Raster auslösen. Im Test entdecken wir sogar Sequenzerläufe, die ähnlich einem Arpeggiator rhythmische und melodische Muster spielen. Über das Trigger-Menü lassen sich überdies insgesamt 25 User-Key-Switches mit eigenen Mustern programmieren. Ein Zwischendialog erlaubt das Scrollen durch die verfügbaren Key-Switches und ein Druck auf den beigeordneten Edit-Button öffnet schließlich den eigentlichen Einstell-Dialog. Dort zeigen sich drei Parameter-Sektionen mit je einem 16-stufigen Step-Sequenzer-Dialog, in denen das Verhalten von Anschlagsdynamik, Tonhöhe und eine Legato-Funktion – Smooth genannt – einstellbar ist. Die Smooth-Funktion wirkt dabei auf die Attackphase der Samples ein, die mit Hilfe einer Crossfade-Funktion ausgeblendet wird. Über Ausklapp-Menüs definieren wir ein Quantisierungs-Raster, das sich automatisch auf das Tempo der DAW synchronisiert und auch die Abspielgeschwindigkeit der Step-Sequenzer bestimmt. Über ein weiteres Menü bestimmen wir, ob die Sequenz nur einmal oder als Loop solange durchlaufen soll, wie der Key-Switch gehalten wird. Der Smooth- und Tonhöhen-Parameter lässt sich bei Bedarf per Button zur Velocity hinzuschalten. Beim Smooth-Parameter gilt: Je höher der Balken gezogen wird, desto mehr wird das Attack des nochmals angetriggerten Samples ausgeblendet beziehungsweise in das noch ausklingende Sample überblendet. Über den Smoothness-Parameter stellen wir global die Stärke der Überblendung ein. So lassen sich rasch opulente Spielvarianten erzeugen, die von virtuosen Breaks und Fills bis hin zu farbenprächtigen Loops reichen. Im Test weiß auch diese Form der Spielsteuerung rundherum zu überzeugen. Beim Improvisieren können wir blitzschnell und intuitiv Wirbel, Chokes und Flams nach allen Regeln der Kunst einsetzen. Bei der Aufnahme von MIDI-Spuren erübrigt sich somit das teils aufwändige Einspielen dieser Artikulationen. Stattdessen nehmen wir den gewünschten Key-Switch Noten-Befehl an gegebener Stelle der Spur auf und überlassen das Spielen der EOP-Library. Einziger Wermutstropfen ist die Choke-Funktion: Sie wirkt beim Betätigen, als ob ein Note-off-Befehl beim Drücken des Key-Switchs gesendet wird, was zu einem sehr unnatürlichen und abrupten Abreißen des Tons führt. Hat man sich an dieses Verhalten jedoch gewöhnt, lässt sich gerade bei den Becken trotzdem noch gut damit arbeiten. 

Alles in allem hinterlässt die EOP-Library einen sehr positiven Eindruck hinsichtlich Ausstattung und Bedienung. Die Presets in der Ethno-Kategorie bieten zwar nur ein überschaubares Repertoire, was eher den Stellenwert einer netten Dreingabe vermittelt. Dennoch wissen sie das Klang-Arsenal sinnvoll zu bereichern und bieten angesichts des Library-Themenschwerpunkts zusätzliche Optionen, weshalb das völlig in Ordnung geht.

Nicht ganz so klar und eindeutig fällt das Urteil jedoch in Sachen Klang aus. Zwar ist die Aufnahmequalität der Sounds ohne Fehl und Tadel, sämtliche Klänge sind sehr gut nach oben hin aufgelöst, Registersprünge und knacksende Loop-Punkte sind nicht zu hören. Dafür besitzt ausnahmslos jedes Sample eine Rauminformation und das engt einen flexiblen musikalischen Einsatz nicht unerheblich ein. So besitzen beispielsweise die Snares einen überdeutlichen Raumanteil, der es verhindert, diese Klänge bei Bedarf neu zu verhallen und flexibel im Raum zu positionieren. Bei einigen wenigen Sounds wie etwa im Concert Toms XS-Preset ist die Trommel sogar mit eindeutiger Panorama-Position gesamplet worden und engt die Einsatzmöglichkeiten nochmals ein – was nicht hätte sein müssen. Möchte man diesen Sound im Panorama neu positionieren bleibt nichts anderes übrig, als ihn auf mono zu rendern. Dabei hätte sich Vir2 Instruments das Einfangen der Rauminformationen getrost schenken können und stattdessen mehr auf den integrierten Faltungshall vertrauen sollen, der für jedes Preset individuell einstellbar ist. Denn die dort enthaltenen Impulsantworten liefern einen exzellenten Klang, der den Samples behutsam aber dennoch deutlich hörbar zu mehr Glanz und Luftigkeit verhilft. Die integrierten Impulsantworten bieten das übliche Repertoire an Hallen, Räumen, Ambience-Sounds und sogar Höhlen. Auffällig: Trotz eingeschränkter Eingriffsmöglichkeiten – es lässt sich nur die Impulsantwort auswählen sowie Direkt- und Effektanteil regulieren – überzeugt jede Impulsantwort durch einen organischen Klang und unterstützt die individuellen Timbres der Samples auf musikalische Art. Schade ist, dass sich ein Einsatz dieses, übrigens völlig latenzfrei arbeitenden, Effekts erübrigt, wenn er bei einem von vorne herein zu stark verhallten Sample zum Einsatz kommt. Entweder geht der Sound im Klangbrei unter, oder der hinzugefügte Hall ist nicht hörbar.

Doch bei aller Kritik an den mitgesampleten Räumen, es gibt eine Reihe von Sounds, die durch den Einsatz von Hall erst richtig zur Geltung kommen und bei denen es sträflicher Leichtsinn gewesen wäre, sie ohne Hall zu digitalisieren. Überdies beweist der Hersteller bei der Auswahl der Räume ein sehr gutes Händchen, die den Sounds schmeicheln und sie musikalisch unterstützen. Filmmusik-Fans werden bestimmt bei den Gongs und Bass-Drums – vor allem der Ludwig 18 x 40 Trommel – auf ihre Kosten kommen, die mit der nötigen Portion Hall an Volumen und Mächtigkeit gewinnen. Gleiches gilt für das Glockenspiel, dass durch einen leichten Nachhall in seiner Zartheit und Luftigkeit unterstützt wird. Überdies halten sich die Samples, die mit einem übergroßen Hallanteil ausgestattet sind, erfreulicherweise in Grenzen, weshalb die EOP-Library im Großen und Ganzen sehr gut brauchbar ist. 

Fazit

Die Entwickler von Vir2 Instruments haben bei der Produktion der Elite Orchestral Percussion-Library ganze Arbeit geleistet und präsentieren ein über den Themenschwerpunkt hinausragendes Arsenal an Sounds. Ihre Stärken zieht sie aus den Sounds, die mit gesampleten Spieltechniken aufwarten und ein stilsicheres Gespür für musikalisch sinnvoll einsetzbare Klänge beweisen. Dem Anwender bietet sich in der Library ein auf lange Sicht kreativ einsetzbares Repertoire, was durch pfiffige Eingriffsmöglichkeiten lebendig und frisch klingt und ihm eine Menge an MIDI-Programmierarbeit abnimmt.

 

Erschienen in Ausgabe 04/2009

Preisklasse: Oberklasse
Preis: 249 €
Bewertung: gut – sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut