Traumsounds aus dem Himmel

Sie hatten noch nie eine Gitarre in der Hand? Macht nichts. Lesen Sie diesen Test und Sie glauben: Jimi Hendrix lebt – und Sie haben mit ihm gespielt.

Von Harald Wittig 

Noch vor wenigen Jahren mussten Gitarristen ihren Traumsound zweifach teuer erkaufen: Der Gerätepark an Röhrenverstärkern belastete das Bankkonto, die zur Erzielung der gewünschten Endstufenverzerrung erforderliche Lautstärke beendeten das gut nachbarschaftliche Verhältnis. Da halfen nur klangliche Kompromisse in Form von Vorverstärkern – gerne lässig als Preamps bezeichnet –, und Multieffektgeräten. Bis es findigen Softwaretüftlern gelang, solche Amps digital nachzumodulieren.

Bereits die erste Ausgabe des Guitar Rig aus der Native Instruments-Werkstatt in Berlin fand begeisterte Aufnahme bei Gitarristen. Mit der so genannten Dynamic Tube Response Technology war es den Entwicklern gelungen, eine Reihe klassischer Verstärker und deren charakteristische Sounds zu emulieren. Professionelle Gitarrenaufnahmen für jedermann an jedem Ort in Zimmerlautstärke ohne klangliche Kompromisse waren plötzlich möglich. Anstatt sich aber auf dem Lorbeer auszuruhen, haben die Hauptstädter das Guitar Rig aufgefrischt und der Version 2 einige wesentliche Neuerungen auf der Hard- und der Softwareseite spendiert.

Völlig überarbeitet präsentiert sich der Fußkontroller des Guitar Rig. War bei der ersten Ausführung der Kontrolleinheit noch ein leistungsfähiges Audio-Interface nötig, um die eigene Gitarre am Computer über die virtuellen Amps spielen zu können, genügt jetzt der Anschluss an die Rig Kontrol 2. Denn die Steuereinheit enthält auch ein modernes USB 2.0 Audio-Interface inklusive D. I.- Box.

Das massive Aluminiumgehäuse der Rig Control 2 übersteht auch ein temperamentvolles Aufstampfen. Auf der Oberseite sitzen das stufenlose Fußpedal und die insgesamt sieben Schalter (einer verborgen unter dem Pedal). Damit lassen sich alle wichtigen Parameter in Echtzeit kontrollieren. Die Zuweisung erfolgt hierbei über die Software: So können Sie beispielsweise den Studio Reverb aktivieren oder das nächste Werkspreset aufrufen. Wenn Sie eigene Presets erstellen, haben Sie die Möglichkeit, die Schalter und das Pedal ganz nach Ihren persönlichen Vorlieben zu belegen. Beispielsweise lassen sich mit nur einer Pedalbewegung mehrere Funktionen aufrufen: Dient es zur Steuerung des Delay-/Verzögerungseffektes, beeinflusst es je nach Pedalstellung die Verzögerungszeit oder den Anteil des Delays am Grundsound (Wet/Dry-Funktion). Gerade Gitarristen, die eine Fußsteuerung von Verstärker und Bodeneffekten gewohnt sind, werden das schätzen. Insoweit hat der Benutzer, auch wenn er auf sein vorhandenes Audio-Interface vertraut, mit der Rig Kontrol 2 eine leistungsfähige Fernbedienung für die Software unter den Füßen, und kann sich voll aufs Spielen konzentrieren. Eine gute Nachricht für alle, die bereits Guitar Rig 1 einschließlich Kontroller besitzen: Zur Bedienung der Software ist die neue Rig Kontrol 2 nicht erforderlich. Wer lediglich den virtuellen Fuhrpark erweitern will, kann kostengünstig updaten und die Software wie gewohnt über das Rig Kontrol 1 steuern.

Als spezielles Gitarren-Audiointerface hat das Rig Kontrol 2 natürlich die nötigen Anschlüsse, die das Gitarristen- (und Basissten-)Herz begehrt. Input 1 und 2 dienen dem Anschluss von Gitarre und Bass über ein Standard-Klinkenkabel. Mit den beiden Eingangsreglern pegeln Sie das Signal ein, eine LED informiert über die richtige Aussteuerung. Es ist möglich, zwei Instrumente gleichzeitig an die Rig Kontrol anzuschließen, so dass gemeinsames Jammen oder Live-Einspielungen von zwei Gitarren beziehungsweise Bass und Gitarre möglich sind. Die Eingänge sind selbstverständlich hochohmig genug, um auch Gitarren mit leistungsschwachen Einspulern wie beispielsweise Strato- oder Telecaster anzuschließen.

Über die beiden symmetrischen Klinkenausgänge lässt sich die Rig Kontrol 2 an einen Gitarrenverstärker, eine Gesangsanlage oder Aktiv-Monitore anschließe. Zur besseren Anpassung gibt es einen Druckschalter, der das Ausgangssignal auf Wunsch um 14 dB bedämpft. Allerdings lässt sich die Lautstärke des Ausgangsignals nicht regeln – die Feineinstellung müssen Sie also am angeschlossenen Gerät vornehmen. Hilfreich ist hierbei einmal mehr die Software: Nicht nur, dass eine etwaige Übersteuerung sehr feinstufig angezeigt wird: Mittels des so genannten Lern-Schalters pegelt die Software das Ausgangssignal automatisch und sehr zuverlässig ein. Dagegen ist der Ausgang des Kopfhörer-Anschlusses stufenlos regelbar. Der Maximalpegel ist praxistauglich, also laut genug. Allenfalls Gitarristen, die es gewohnt sind, ihren Marshall-Turm permanent in Voll-Leistung zu betreiben, werden sich den Kopfhörer-Ausgang lauter wünschen. Die Mehrzahl wird zufrieden sein.

Zwei Zusatzpedale sind ebenfalls anschließbar, beispielsweise ein Expressions- oder ein Volumenpedal. Schließlich bietet die Rig Kontrol 2 auch MIDI In/Out, um hierüber zusätzliche Hardware-Kontroller anzuschließen.

Damit die Software das analoge Signal der angeschlossenen Saiteninstrumente weiterverarbeitet, muss dieses digitalisiert, also gewandelt werden. Intern arbeitet das Interface mit wahlweise drei verschiedenen Samplingraten/Abtastfrequenzen: 44, 1, 48 und 96 kHz. Die Wortbreite beträgt 16 oder 24 Bit. Damit wird der Kontroller auch hohen Ansprüchen an ein Audiointerface gerecht.

Verstärker und Boxen: Guitar Rig 2 enthält alle Verstärker der Erstauflage. Für Neueinsteiger zunächst die alten Bekannten:
Plexi ist die Simulation des legendären Marshall JTM45 aus den 60er Jahren; unsterblich geworden durch Jimi Hendrix, Cream respektive Eric Clapton. Dieses klassische britische Vollröhrentop in 100 Watt Ausführung gilt als der Rockgitarren-Verstärker schlechthin.
AC Box emuliert den Lieblingsverstärker von Brian May (Queen) und Rory Gallagher, den Vox AC 30. Aufgrund seiner Class A-Schaltung klingt er wärmer als der Plexi und überzeugt auch mit seinem Cleansound.

Twang Reverb stellt natürlich Fenders zweikanaligen Twin Reverb in der so genannten Blackface-Ausführung dar. Ein vom Hersteller für klare Sounds optimierter Röhrenverstärker, der eine charakteristische Höhenpräsenz mit viel Wärme verbindet. Nicht nur für Gitarristen auf der Suche nach dem ultimativen Twang-Sound erste Wahl. Nur echt mit den eingebauten Effekten Vibrato (Tremolo) und Hall.

Gratifier bildet den Mesa Boogie Rectifier nach, einen typischen moderner Tube-Amplifire. Singende High Gain-Leads schafft er ebenso wie volle Cleansounds. Der Gratifier ist vierkanalig ausgelegt: Per Mausklick sind die Kanäle (Clean, Raw, Vintage und Modern) wählbar. Hier ist für jeden etwas dabei, solange nicht der spezifische Klang eines Vintage-Amps bevorzugt wird.

Neu hinzugekommen sind folgende vier Verstärker-Simulationen:

Tweedmann ist einem anderen legendären Verstärker aus dem Hause Fender nachempfunden, dem Bassman von 1959. Obwohl von Fender ursprünglich als spezieller  Bassverstärker entwickelt, schrieb er als Gitarrenverstärker Geschichte. Im Unterschied zum Twin Reverb mit seinem glasigen Ultraclean-Sound hat der Bassmann eher die volle Bruststimme eines Tenors. Das prädestiniert ihn für warme, singende Leads, wenn Brachialsounds verzichtbar sind.

Lead 800 ist an einen anderen populärer Marshall, den JCM 800 angelehnt. Ausgerüstet mit Mastervolumen prägte dieser vor allem den Metal-Sound der 80er Jahre. Im Unterschied zum weicheren Plexi ist seine Wiedergabe von einer starken Höhenpräsenz geprägt, die seine Sounds sehr durchsetzungsfähig macht. Damit ist er nichts für Vintagepuristen.

Jazz-Amp ist die Nachbildung des Roland Jazzchorus JC-120; ein Transistorverstärker, der wegen seines eingebauten Chorus-Effekts bei Gitarristen und Keyboardern geraume Zeit als Referenz für Cleansounds galt.

Bass VT basiert auf dem Bassboliden SVT von Ampeg. Ein Vollröhren-Basstop, im Original mit der gewaltigen Leistung von 300 Watt. Die passende Lautsprecherbox hat nicht weniger als acht Zehn-Zoll-Lautsprecher. Im Rockbereich Quasistandard bei Bassisten.

Verstärker sind nur die halbe Miete, der Klang wird ebenso deutlich von den Lautsprechern geprägt. Hier stehen dem Guitar-Rig-Virtuosen, zählt man die D.I.-Box hinzu, nicht weniger als 26 verschiedene Kombinationen zur Verfügung. Die Boxen können über einen Schieberegler auf Wunsch vergrößert oder verkleinert werden, wodurch sich ein anderes Klangbild ergibt, da sich entsprechend der Gehäusegröße der Resonanzraum ändert. Außer klassischen  britischen Boxen (Vox und Marshall) oder amerikanischen (Fender, Mesa Boogie und Ampeg), haben die Entwickler auch vier Leslie-Cabinets (offen und geschlossen) der eigenen Hammond-Simulation B4 II beigepackt. Zur virtuellen Abnahme der Boxen gibt es insgesamt zehn ebenso virtuelle Mikrofone, wobei außer Klassikern wie Shure 57 auch Kondensator-Mikrofone (zum Beispiel Neumann U 57 oder 87) zur Verfügung stehen. Allerdings lassen sich Boxen und Mikrofone nicht beliebig kombinieren. Dabei sind Sie auf die Vorauswahl des Herstellers angewiesen. Aber keine Sorge: Sie können den Entwicklern vertrauen, hier passt alles.

Effekte: Abgesehen von absoluten Puristen unter den Saitenzupfern, die nichts zwischen Gitarre und Verstärker schalten, gehören Effektgeräte bei den meisten Strom-Gitarreros zur Standardausrüstung. Der Verstärker kann noch so kräftig zerren – ein vorgeschalteter Verzerrer gehört nicht nur bei Metallern zum guten Ton. Guitar Rig 2 hat immerhin zehn Verzerrer an Bord: Außer eher moderaten Klassikern wie dem Skreamer (Ibanez Tube Screamer) und dem Treble Booster, bedienen gelungene Simulationen wie der Mezone (Boss Metal Zone) und der Demon Distortion auch all jene bestens, die Brutalverzerrung mit charakteristischem Mittenloch wünschen. Der interessanteste, weil universell einsetzbare neue Verzerrer ist der Trans-Amp: Hierbei handelt es sich übrigens um die Simulation eines in den 90ern sehr beliebten Amp-Simulators, dem Sansamp PSA1 aus dem Hause Tech 21. Als eigenständiger Preamp sollten Sie den Transamp besser nicht einsetzen, insoweit sind die vorhandenen acht Amps um etliche Klassen besser. Als enorm vielseitiger Verzerrer macht der Transamp aber vor jedem Verstärker-Modell eine gute Figur.

Modulationseffekte gibt es reichlich, hervorzuheben sind der Stoned Phaser der sich am legendären 70er Jahre Vorbild von T. C. Electronic orientiert und Ensemble, ein hervorragender Chorus (einem Roland-Effektgerät nachempfunden). Letzterer übertrifft zusammen mit der virtuellen D.I.-Box den klaren Klang des Jazz-Amps mühelos. Nicht weniger gelungen ist Rotator, der den Leslie-Effekt (rotierender Lautsprecher) imitiert und ebenfalls von Native Instruments Hammond-Simulation stammt.

Abgesehen von den nicht gitarrentypischen Filtern EQ Shelving (Kuhschwanz), EQ Parametric (parametrischer Equalizer) und EQ Graphic (graphischer Equalizer) gibt es als dynamische Filter noch drei Wah-Wahs: Die Emulation des klassischen Cry-Baby-Wahs und des nach Talk-Box klingende Talk-Wahs wird ergänzt um Autofilter, ein automatisches Wah-Wah, bei dem sich das Filter in Abhängigkeit zur Anschlagsstärke verschiebt. Sehr beliebt und prominent war das Auto-Wah bei Funk-Produktionen der 70ger Jahre. Obwohl traditionell überwiegend beim Rhythmusspiel eingesetzt, kann es auch dynamisch gespielten Single-Note-Läufen einen eigen- und einzigartigen Klang verleihen.

Ein raffiniertes neues Effekt-Modul ist Pro-Filter: Es stammt vom virtuellen Instrument Pro-53 und ist eigentlich ein Synthesizer-Filter. Es kann als reiner Klangsteller zur Erzeugung eines besonders satten beziehungsweise fetten Klanges verwendet werden. Wird der Cutoff-Regler über das Pedal der Rig Kontrol beim Spielen verstellt, wird Pro-Filter zum vorzüglichen Wah-Wah.

Bei den Hall- und Delayeffekten beließen es die Entwickler bei  Bewährten: Nach wie vor gefallen kann das Psychedelay mit dem sich unter anderem der Klang eines rückwärts gespielten Tonbands simulieren lässt – Jimi Hendrix lässt grüßen. Nicht weniger gelungen sind die Halleffekte Spring Reverb und Studio Reverb: Während ersterer den Referenz-Federhall von Fender perfekt nachahmt, ist der Studio Reverb als reines Effekt-Plug-in auch für Mix und Mastering zu gebrauchen – eine Alternative für alle, die sich bisher auf den eingebauten Hall ihres Sequenzer-Programms beschränken mussten.

Bei Dynamik und Volumen hat sich auch etwas getan: Als Alternative zu dem eher abrupt arbeitenden Noise Gate bietet sich jetzt das Modul Noise Reduction an, das weicher und feinstufiger einsetzt. Ein nützliches Helferlein, wenn nebengeräuschlastige High-Gain-Distortion angesagt ist. Der Tube Compressor ist nun auch nicht mehr alleine: Mit dem Stomp Compressor bekommen Gitarristen und Bassisten einen Kompressor im Stile eines Bodentreters. Die Bedienung ist dank weniger Regler denkbar einfach – und effektiv ist  er auch noch.

Wenn Sie den Grundsound des Verstärkers ihrer Wahl mit reichlich Effekten garniert haben, werden Sie sich über das Modul Split freuen: Es teilt den Signalweg in zwei unabhängige Richtungen auf und ermöglicht dadurch parallel arbeitende Effekte, beide lassen sich individuell wieder zusammenmischen bevor sie ausgegeben werden. Der Clou bei der Sache: Es lassen sich mit Split zwei unabhängige Kanäle mit eigenen Verstärkern, Boxen und Effekten aufbauen. Ähnlich arbeitet das neue Modul Crossover Mix, allerdings sorgt hier eine Frequenzweiche für die Aufteilung des Signals. Das geschieht so: Zunächst wählen Sie eine Grenzfrequenz als Trennlinie aus. Hiervon ausgehend werden dann die tiefen, also unterhalb der Trennlinie liegenden Frequenzen auf den einen, die hohen auf den anderen Kanal verteilt.

Besonders bestechend beim Guitar Rig 2 ist die brandneue Abteilung Modifier. Synthesizer-Fans wissen, dass es sich hierbei um eine Reihe von Modulatoren handelt, wodurch sich verschiedene Parameter des Klangs beeinflussen lassen. Zur Verfügung steht ein LFO, also ein Low Frequency Oscillator (Tiefrequenz-Oszillator) mit fünf Wellenformen, um regelmäßige Amplituden- beziehungsweise Lautstärkeschwankungen zu generieren (Tremolo-Effekt), eine mehrstufige Hüllkurve zur Modulation von Dynamik, Filter und Frequenz und zwei Sequenzer mit denen sich wahlweise harte oder weiche Übergänge zwischen Einzelnoten einstellen lassen, um beispielsweise maschinenhafte Techno-Rhythmen zu erzeugen. Der Input Level-Modifier schließlich ergänzt die Hüllkurve: Er tastet die Lautstärke des Eingangsignals ab und wandelt diese in ein Steuersignal für den Hüllkurvengenerator (Envelope Generator). Daraus erklärt sich die Bezeichung Envelope-Follower: Die Parameter des Hüllkurvengenerators folgen dem Steuersignal.

Sie ahnen es bereits: Die Möglichkeiten zur Klangveränderung und -verfremdung sind unglaublich vielfältig. Native Gitarristen werden mit der Modifier-Abteilung allenfalls ein wenig experimentieren und ansonsten jede Menge legendäre Gitarrensounds nachzubilden versuchen. Klangtüftler, für die eine Gitarre zunächst nur ein Steuergerät ist, werden richtig tief einsteigen, um die nahezu unendlichen Weiten dieses neuen Klanguniversums zu erforschen. In jedem Fall ist die Modifier-Sektion eine echte Innovation mit der Native Instruments über den gitarristischen Tellerrand hinausgeblickt haben.

Weiterhin dabei sind die beiden Tapedecks, die als Notizbuch im Stand-alone-Betrieb sehr nützlich sind, das Metronom und das autochromatische Stimmgerät. Ganz neu ist die Loop Machine, mit der sich bis zu 99 verschiedene Loops übereinander schichten lassen. Dabei ist der Looper weitaus mehr als ein nettes Werkzeug zum Üben: Es ist möglich, einzelne Loops oder einen kompletten Mix aus verschiedenen aufgenommenen Spuren als Audiodatei abzuspeichern und später in den Audiosequenzer zu laden. Die Loop Machine ist synchronisierbar, entweder zum Metronom oder, wenn Guitar Rig 2 als Plug-In Verwendung findet, zum Sequenzer. Damit wird das taktgenaue Anlegen von Loops spürbar erleichtert.

Testen wir Guitar Rig 2 mal im Alltag; sowohl stand-alone als auch als Plug-in unter Cubase SX und Logic Pro. Die Installation der Software selbst ist einfach, wenngleich die erforderliche Online-Registrierung einige Zeit beansprucht. Bei der Installation der Rig Kontrol 2 müssen Sie je nach Plattform (Windows XP oder Apple OSX) unbedingt die aktuellen Treiber Updates berücksichtigen. Sonst geht es Ihnen wie uns: Bei den ersten Tests fiel der Kontroller auf dem PC und dem Mac mehrfach aus, erst die Installation der neuesten Treiber ermöglicht  problemlosen Betrieb. Da es sich um ein USB 2.0 Interface handelt, benötigen Sie auf dem PC Windows XP Service Pack 2. Mac-User müssen mindestens OS 10.3 installiert haben. Aber keine Panik: Die Software selbst läuft auch auf den älteren Versionen dieser Betriebssysteme. In diesem Fall verwenden Sie eben Ihre bewährte Audio-Hardware und verzichten auf die Rig Kontrol 2.

Für unseren Praxistest spielen wir mehrere Spuren mit verschiedenen Amps und Sounds ein. Die verwendeten Instrumente sind: Eine Fender American Standard Stratocaster und eine Launhardt FS 3 Jazz-Gitarre. Mit der Strat werden einige rockigen Leads unter Cubase SX3 und Logic eingespielt, als Amp-Modelle verwenden wir Plexi, AC Box, Gratifier und Lead 800, sowohl trocken, als auch mit Effekten. Mit der Jazz-Gitarre wird ein Bossa-Nova-Duo eingespielt, die Amps der Wahl sind die beiden Fender-Nachbildungen, Tweedmann und Twang Reverb, beide sauber eingestellt und lediglich mit dezentem Hall (Spring-Reverb) verfeinert. Als Interface dienen sowohl der Mackie Onyx 400 F Preamp als auch die Rig Kontrol 2. Im Praxiseinsatz kann diese vor allem als reines Audio-Interface überzeugen. Sie arbeitet im besten Sinne unauffällig, da der Klang der beiden Instrumenteneingänge angenehm sauber und rauscharm ist. Einspielen in Echtzeit stellt kein Problem dar, da sich auf Mac und PC praxisgerechte Latenz-Zeiten von 8 ms einstellen lassen.

Wer das für zu hoch hält, sollte sich folgendes vergegenwärtigen: Die Schallgeschwindigkeit bei einer Raumtemperatur von 20° C beträgt 343 m/s. Daher entspricht eine Latenz von 2,9 ms in etwa einer Entfernung zur Gitarrenbox von gerade mal einem Meter. Stehen Sie nun – beispielsweise auf der Bühne – fünf Meter von Ihrer Anlage entfernt, beträgt die Verzögerung vom Anschlag bis zum hörbaren Verstärker-Ton bereits 14,5 ms. Daraus folgt: Mit einer Latenz-Zeit von 8 ms lässt sich sehr gut arbeiten.

Die verschiedenen Verstärker-Modelle verhalten sich genau so, wie im wirklichen Leben: Die Charakteristik des Instruments wird beibehalten, abhängig von der Ausgangsleistung der Tonabnehmer und der Anschlagsstärke lassen sich Klangverhalten und Verzerrungsgrad beeinflussen. Gleichzeitig sind die Verstärker keine Schönfärber, sondern geben gnadenlos und ehrlich wieder, was Spieler und Spieltechnik auszudrücken vermögen. Gerade der Klang der (akustischen) Jazz-Gitarre über die Fender-Emulationen gefällt auf Anhieb: Der Ton hat echten Holzcharakter, der direkte Vergleich mit einem modernen Fender Röhrenamp (Concert, Baujahr 1995) fällt sogar zugunsten der nachgebildeten Verstärker aus, da diese den klassischen Fenderklang der goldenen 60er besser emulieren.

Gerade bei verzerrten Klängen sollten Sie nach Möglichkeit von einem besonderen Feature Gebrauch machen, dem unscheinbaren High Res-Button. Dahinter verbirgt sich ein weiterer elektronischer Kniff: Bei verzerrten Gitarrensounds wird dem Grundsignal eine Vielzahl an hochverstärkten Obertönen beigemischt. Bei Röhrenverstärkern sind es vor allem die geradzahligen, die für die als angenehm empfundene harmonische Verzerrung verantwortlich sind.

Auf der digitalen Ebene ist dies ungleich komplizierter: Die verstärkten Obertöne werden zunächst hinzugerechnet, um einen röhrenähnlichen Klirrfaktor zu simulieren. Ist die Samplingrate allerdings niedrig, klingt die Verzerrung unangenehm. Das liegt daran, dass bei jeder Digitalisierung von Audiosignalen Scheinfrequenzen entstehen können, die oberhalb der halben Abtastrate liegen. Wegen der dem Grundsignal zugerechneten Obertönen müssen unzulässig viele Informationen von ein und demselben Wert dargestellt werden. Dieses Phänomen ist typisch für die Digitalisierung von analogen Informationen und wird als Aliasing bezeichnet. Bei Grafiken wird das Aliasing in ausgefransten und verzerrten Linien sichtbar, bei Klängen entsteht ein kratziger, unangenehmer Klang. Abhilfe schafft hier nur eine Erhöhung der Abtastfrequenz, da das Aliasing gewissermaßen eine Unterabtastung darstellt. Durch die höhere Samplingrate werden die unerwünschten Scheinfrequenzen vermieden, die simulierte Verzerrung klingt röhrenähnlicher und authentischer. Folgerichtig verdoppelt High Res die interne Samplingrate von Guitar Rig, so dass gerade verzerrte Sounds detailgenauer und natürlicher klingen.

Der Nachteil liegt ebenso auf der Hand: Die CPU des Computers wird ungleich stärker, exakt um das Doppelte, belastet. Da Guitar Rig ein reines Effekt-Plug-in ist, wird der Rechner des Hostcomputers je nach Setup gehörig beansprucht. Daher der Tipp: Wenn Sie beim Einspielen auf optimalen Klang verzichten können, erhöhen Sie besser erst nachträglich, beim Mixen, die Samplingrate.

Von der enormen Funktions- und Klangvielfalt der Software sollten Sie sich auch als Neuling nicht einschüchtern lassen: Am Besten schalten Sie sich zu Anfang durch die Werkspresets. Die aktiven Einzelkomponenten des aufgerufenen Presets erscheinen sogleich im rechten Fenster der Software. Sie können, falls Ihnen der Klang nicht gefällt, sofort per Mausklick Einzelelemente deaktivieren, an virtuellen Reglern drehen, Boxen hinzufügen, Mikrofone auswechseln – die Möglichkeiten sind schier grenzenlos. Wenn Sie Guitar Rig beenden, werden Sie gefragt, ob Sie die Änderungen speichern möchten. Entscheiden Sie sich hierfür, haben Sie bereits ihr erstes User-Preset erzeugt.

Insgesamt sind schon die mitgegebenen Presets nicht schlecht, vor allem die Clean-Sounds können überzeugen: Hier reicht die Klangpalette vom glasklaren Fenderton, über atmosphärische Klänge für Flächen und Texturen, bis hin zu abgedrehten Psychedelic-Klängen. Dagegen sind die (verzerrten) Leadsounds überwiegend auf High-Gain-Distortion mit üppiger Effektgarnierung ausgelegt. Vor allem Gitarristen, die sich einfach nur einen kräftig übersteuerten Röhrenamp wünschen, werden enttäuscht sein. Das Tolle an Guitar Rig 2 ist aber, dass Sie mit nur wenigen Bedienschritten Ihren persönlichen Lieblingssound erzeugen können. Wenn Sie beispielsweise eingeschworener Clapton/Cream-Fan sind, gehen Sie wie folgt vor: Sie entscheiden sich für den Plexi und ziehen diesen ins rechte Fenster. Der Amp platziert sich automatisch zwischen In- und Output. Unter dem Verstärker erscheint nun sogleich das Modul Cabinets & Mics, denn ohne eine zünftige Box geht natürlich gar nichts. Sie entscheiden sich folgerichtig für zwei 4 x 12 UK 60s Boxen, wählen ein Mikrofon nach Ihrem Geschmack, beispielsweise das Dynamic 57 und fertigt ist der klassische Marshall-Turm. Jetzt drehen Sie denn Amp voll auf (englische Einstellung, alle Regler auf Rechtsanschlag) und spielen ein kurzes Riff. Sie werden’s hören: Das klingt schon mal recht ordentlich, allerdings ist der Output-Level stark übersteuert. Kein Problem, ein Klick auf den Learn-Schalter und Guitar Rig pegelt alles automatisch ein.

Aber ach, Sie finden, der Plexi klingt zu schrill, irgendwie uneingespielt, nach neuen Röhren? Dann sollten Sie den Experten-Modus aktivieren, den es für jede Röhrenamp-Simulation des Guitar-Rig gibt. Sie können nach Herzenslust an den Reglern Variac, Sag, Response und Bias schrauben, die Ergebnisse sind verblüffend: So ist es mit ein wenig Geduld ohne weiteres möglich, den gewählten Verstärker ganz nach dem persönlichen Geschmack zu modifizieren, Alterung der Röhren eingeschlossen. Bei realen Röhrenamps riskieren Sie bei derlei Operationen einen Stromschlag, das Guitar Rig erlaubt dies ohne Lebensgefahr. Und schließlich können Sie alle Ihre Traum-Sounds in Zimmerlautstärke genießen. Was wollen Sie mehr?

Fazit

Ob mit oder ohne Rig Kontrol: Guitar Rig 2 überzeugt allein schon mit der Klangqualität der Amp-Simulationen und den absolut studiotauglichen Effekten. Mit ein wenig Mühe lässt sich praktisch jeder erdenkliche Gitarrensound erzeugen, ohne dass die Wände einstürzen. Daher: Guitar Rig 2 ist in der Tat die Komplettlösung für die Klangfetischisten unter den Gitarristen, die zu jeder Zeit und an jedem Ort professionelle Aufnahmen machen wollen.

 

 

Erschienen in Ausgabe 06/2006

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 499 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut