Klangfarben-Malerei

Izotope präsentiert mit dem virtuellen Instrument Iris ein höchst markantes Konzept zum Generieren von Sounds auf Basis herkömmlicher Samples und will damit die Sounddesign-Welt auf den Kopf stellen. Dabei sind in besonderem Maße Ihre Augen und Ihr zeichnerisches Talent gefragt. Wie das gehen soll und was sich mit Iris anstellen lässt, haben wir für Sie ergründet.

Von Georg Berger

Es kommt mittlerweile nicht mehr so oft vor, dass virtuelle Instrumente mit einer ganz und gar neuartigen Herangehensweise an das Erzeugen von Klängen aufwarten. Drehregler, Fader, Buttons und graphisch editierbare Dialoge etwa zum Einstellen von Filtern oder Hüllkurven sind probate Mittel und das Maß der Dinge. Dennoch findet sich immer mal der eine oder andere Ausreißer, der mit neuen Konzepten, Möglichkeiten und Werkzeugen alternative Wege im Handling und Sounddesign aufzeigt. Dazu zählt jetzt auch der jüngste Wurf des amerikanischen Software-Herstellers Izotope, das vor kurzem vorgestellte virtuelle Instrument Iris. Dort wo sich eigentlich eine Batterie an Drehreglern zum Einstellen von Parametern finden sollte, zeigt Iris ein riesiges Graphik-Display mit einer Spektrogramm-Darstellung, in die sich mit Hilfe von Bildbearbeitungs-Werkzeugen eingreifen lässt, was zu teils erheblichen Änderungen im Klang der dort dargestellten Wellenform führt. Spektrale Anteile einer Wellenform – in diesem Fall eines geladenen Samples – lassen sich auf diese Weise aus dem Kontext wahlweise ausklammern oder isolieren, so dass etwa vom Klang einer fetten Bass-Drum lediglich ein leises Zirpen übrig bleibt. Izotope legt somit einen Schwerpunkt auf visuelle Aspekte bei der Klanggestaltung.

Anstelle von Knöpfchen drehen lautet das Motto also „Malen nach Zahlen“, um Sounds generieren zu können. Wer dabei im Umgang mit Zeichen- und Bildbearbeitungsprogrammen wie etwa Macromedia Freehand, Adobe Photoshop oder Corel Draw geübt ist, ist im Vorteil und wird auffällig viele Parallelen im Umgang mit Iris entdecken. Um in den Genuss dieses visuellen Instruments zu gelangen, verlangt der Hersteller rund 250 US-Dollar, ein durchaus gerechtfertigter Preis, schaut man auf die sich bietenden Möglichkeiten. Im Lieferumfang findet sich überdies eine satte, rund 4,5 Gigabyte große Sample Library, die ausreichend Basismaterial für das Erzeugen von Sounds liefert. Der Import eigener Samples im wav- oder aiff-Format ist selbstverständlich ebenfalls möglich. Gleichzeitig mit Markteinführung von Iris hat Izotope zudem gleich zwei separat erhältliche Iris Sound Libarys veröffentlicht: Die rund 30 Dollar kostende Wood Library enthält 100 Presets, die im Kern auf Geräuschen und Klängen hölzerner Gegenstände basieren. Die Glass Library für rund 50 Dollar bietet bei gleicher Presetzahl Sounds auf Basis von Glas. Wer mag, kauft sich direkt alle drei Produkte als sogenanntes Iris+2 Bundle für knapp 300 Dollar und spart dabei. Wir haben uns das Bundle zum Test kommen lassen und fühlen gleich allen drei Produkten auf den Zahn.

Bevor wir ins Detail gehen, sei zuvor auf die Architektur, das Konzept und die Klangerzeugung von Iris eingegangen, die denkbar simpel wie genial ausfallen. Im Kern ist Iris zunächst einmal ein Sample Player und verfügt über fast sämtliche relevanten Einstellmöglichkeiten und Funktionen rund um das Abspielen von Samples. Einstellbare Loop-Start- und -Endpunkte und sogar eine Crossfade-Funktion markieren die wichtigsten Eingriffsmöglichkeiten. Daneben finden sich die üblichen Parameter wie Lautstärke-Anpassung, Root-Key-Definition, Grob- und Feinstimmung sowie wählbare Optionen wie das Abspielverhalten der Loops (vorwärts, rückwärts, alternierend und one-Shot) und mit dem eigens entwickelten Radius RT-Algorithmus findet sich auch eine Option zum Time-Stretchen von Samples. Einzig die Möglichkeit, den Start- und Endpunkt des Samples definieren zu können, haben wir vermisst. Drei Samples lassen sich pro Preset – in Iris Patch genannt – laden und mit Hilfe eines Mapping-Dialogs über die Tastatur verteilen. Zusätzlich findet sich ein Sub-Oszillator mit zehn wählbaren Wellenformen, die dem Layer-Konstrukt bei Bedarf ein gehöriges Pfund an Kraft und Volumen verleihen. Die Sub-Oszillator-Wellenformen werden ebenfalls als Spektrogramm angezeigt, sind gleichfalls editierbar und lassen sich im Mapping-Dialog frei über die Tastatur verteilen.

Der eigentliche Haupt-Akteur, das Spektrogramm-Display ist mitsamt seiner Bearbeitungs-Features aus Izotopes Audio-Reparatur- und Restautierungs-Anwendung RX2 entlehnt. Dort dient es primär zum Eliminieren von Störgeräuschen, in Iris ist es jetzt zentrales Kreativ-Werkzeug zur Klanggestaltung. Damit sticht Iris deutlich aus dem Parameter-Einerlei der Konkurrenz heraus. Einzig das Alchemy-Plug-in von Camel Audio offeriert ähnliche Möglichkeiten. Durch Einzeichnen von Feldern ins Spektrogramm legt sich über die so markierten Stellen ein weißer, halbtransparenter Schleier. Die darin eingefassten spektralen Anteile des geladenen Samples werden dabei extrahiert und resynthetisiert respektive resampled. Anders als beim Bearbeiten von Wellenformen – etwa Beschneiden, Stauchen oder Dehnen –, die den Klang in Form von Amplituden über die Dauer darstellen, ist ein klein wenig Umdenken im Umgang mit dem Spektrogramm erforderlich. Zwar repräsentiert die Horizontal-Achse ebenfalls den zeitlichen Verlauf des Samples. Doch in der Vertikal-Achse wird das Frequenzspektrum abgebildet, beginnend am Fuß der Darstellung mit den tiefsten Frequenzen. Je nach Klang lassen sich darin leicht harmonische Teiltöne erkennen und bei Bedarf gezielt aus dem Sample herauslösen. Hierbei gilt: Die leicht neongrüne Farbe fungiert als Hintergrund und die teils fleckigen weißen Farbtupfer, -felder und Balken zeigen in unterschiedlichen Intensitäten an, wo sich gerade klanglich etwas tut. Je intensiver das weiß den grünen Untergrund überlagert, desto lauter sind die dort von Iris analysierten und erkannten spektralen Anteile. Sehr schön: Über einen Slider können wir nahtlos zwischen herkömmlicher Wellenform und Spektrogramm überblenden, so dass wir bei der Arbeit stets in gewohnter Weise sehen können, an welcher Stelle wir uns bei der Bearbeitung gerade befinden. Die so vorgenommenen Eingriffe ins Sample werden schließlich in Form einer gelben Wellenform angezeigt, die sich über die Original-Wellenform legt, einen entsprechend unterschiedlichen Amplitudenverlauf besitzt und eine weitere visuelle Rückmeldung über den resultierenden Klang gibt.

Beim Erstaufruf  blicken wir zunächst auf ein leeres, schwarz hinterlegtes, Fenster. Kleine Reiter in der Mitte jeder Innenseite laden zum Klicken ein, woraufhin sich links eine Leiste mit den Bildbearbeitungs-Werkzeugen zeigt, oben erscheint ein Panel mit globalen Parametern, die unter anderem Zugriff zum Sound-Browser gewähren und unten blendet sich eine virtuelle Klaviatur ein, nebst zwei aufrufbarer Popup-Menüs zum Definieren von Modulationsintensitäten sowie eine Macro-Controller-Sektion mit acht Reglern, auf die sich beliebig viel Parameter routen lassen. Der Clou: Eine integrierte XY-Matrix erlaubt ein alternatives Steuern der ersten beiden Macro-Regler. Auf der rechten Seite der Bedienoberfläche zeigt sich die Synth-Spalte, die zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten in das gerade geladene und im Display aufgerufene Sample offeriert. Wir erhalten Zugriff auf eine Lautstärke-Hüllkurve und einen LFO, der wahlweise auf die Tonhöhe oder die Lautstärke einwirkt. Hinzu gesellen sich weitere Eingriffsmöglichkeiten in eine Reihe grundlegender Sample-Parameter, wie unter anderem eine Solo- und Mute-Funktion, die Gesamt-Lautstärke oder die Loop-Richtung. Am Fuß der Spalte erlauben schließlich vier Drehregler das anteilige Abzweigen des Signals auf die integrierten Effekte. Näheres dazu später.

Durch Ausblenden dieser Felder kann bei der Arbeit am Spektrogramm bei Bedarf rasch Platz geschaffen werden. Noch besser: Die Werkzeug-Leiste, der Sound-Browser und der Mixer-Dialog – gleich dazu mehr – lassen sich bei Bedarf auch aus dem Hauptfenster auskoppeln und völlig frei auf dem Monitor platzieren. Zusätzlichen Komfort offeriert die Möglichkeit, sowohl das Plug-in als auch die Stand-alone-Version in der Größe frei skalieren zu können. Zusammen mit den Zoom-Werkzeugen des Spektrogramms lassen sich so kleinste Details beim Editieren von Samples sehr komfortabel erkennen.

Die einzelnen Sample-Layer und den Sub-Oszillator rufen wir zwecks Bearbeitung mit Hilfe der sechs Buttons oben rechts im Global-Panel auf. Durch Betätigen des All-Buttons erscheint eine Gesamtübersicht, die alle vier Layer  ähnlich wie Sequenzer-Spuren untereinander zeigt und in die sich gleichermaßen wie beim Aufruf einzelner Layer zeichnerisch eingreifen lässt. Ein Klick in den zu bearbeitenden Layer rückt ihn zwecks Bearbeitung in den Fokus, wobei sich die Einstellungen in der Synth-Spalte entsprechend ändern. Das Betätigen des Mix-Buttons ruft einen neuen Dialog auf, der ähnlich eines Mischpults, übersichtlich die oben erwähnten Synth-Spalten aller Layer gemeinsam in einem Fenster zeigt. Am Fuß des Mixer-Dialogs ist überdies die Effekt-Sektion integriert. Zur Auswahl stehen ein Verzerrer, ein Chorus, Delay sowie ein algorithmischer Hall. Im Master-Strip auf der rechten Seite finden sich schließlich ein einstellbares Multimode-Filter nebst dazugehöriger Hüllkurve sowie ebenfalls ein LFO, die global auf sämtliche Layer und den Sub-Oszillator einwirken. Die Drehregler zum anteiligen Hinzumischen der vier Effekte auf den Ausgang beschließen die Ausstattung des Master-Strips. Wichtig: Iris erlaubt per Button, die Effekte auf zwei Arten in den Signalfluss einzubinden, einmal über Send-Wege also parallel oder als Inserts in den Summenkanal kurz vor dem Ausgang, wobei das Signal seriell durch Verzerrer, Chorus, Delay und Reverb läuft. Je nach Routing sind im Mixer-Dialog daher entweder die Mix-Regler der Send- oder der Master-Sektion ausgegraut. Hinsichtlich der Modulationsmöglichkeiten gibt sich Iris eher überschaubar und zugeknöpft. Wie erwähnt sind die Layer-Hüllkurven fest auf den Verstärker geroutet. Der Layer-LFO wirkt wahlweise auf die Tonhöhe oder die Lautstärke. Ähnlich verhält es sich im Master-Strip. Dort wirkt die Hüllkurve ausschließlich auf das Filter-Cutoff und der LFO wahlweise auf die Lautstärke oder ebenfalls den Filter-Cutoff. Über das einblendbare Modulations Sub-Menü lässt sich schließlich anteilig bestimmen, wie stark die Anschlagsdynamik und das Aftertouch auf die LFO-Intensität, Filter-Cutoff und -Resonanz sowie die Lautstärke einwirken soll. Damit bieten sich, verglichen mit anderen virtuellen Instrumenten, nicht gerade üppige Möglichkeiten zum lebendigen Ausgestalten von Sounds, was aber durchaus verschmerzbar ist und in Sachen Übersichtlichkeit eher positiv auffällt. Denn die Hauptrolle spielen die Features rund um das Spektrogramm, die wir uns jetzt etwas näher anschauen wollen.

Außer den kurz erwähnten Zoom-Werkzeugen zum Skalieren des Spektrogramms finden sich sechs unterschiedliche Selektions-Werkzeuge, ein Radiergummi zum Löschen und Entfernen von Selektionen, fünf unterschiedlich wirkende Buttons zum Invertieren und raschen (De-)Selektieren des gesamten Samples. Ein Undo- und Redo-Button sowie eine Preview-Funktion zum Vorhören des geladenen Samples beschließen das Repertoire der Werkzeug-Leiste. Mit Hilfe des Time- und Frequency-Werkzeugs ziehen wir rasch vertikale und horizontale Balken ins Spektrogramm ein, wobei sie sich über die gesamte Dauer und den Frequenzbereich des Spektrogramms erstrecken. Das kombinierte Time- und Frequency-Werkzeug erlaubt das freie Einzeichnen von Vierecken. Weiter geht’s mit den Standard-Bildbearbeitungs-Werkzeugen Lasso, Pinsel, Zauberstab und Radiergummi, wobei sich die Werkzeugspitze von Pinsel und Radiergummi per Slider stufenlos anpassen lässt. Mit Hilfe des Lassos markieren wir Bereiche, wobei Anfangs- und Endpunkt der ausgeführten Markierung nach Loslassen der Maustaste automatisch verbunden und der so umrissene Bereich erzeugt wird. Mit dem Pinsel malen wir nach Herzenslust unterschiedlich dicke Linien ins Spektrogramm und lassen es uns auch nicht nehmen, Wörter dort hinein zu schreiben (siehe Aufmacher-Bild). Der Zauberstab sorgt hingegen für ein automatisches Selektieren ähnlicher Frequenzbereiche, ausgehend von dem Punkt auf den wir geklickt haben. Das Markieren harmonischer Teiltöne geschieht damit auf sehr präzise Art.

Allerdings hätten wir uns, ebenso wie in Adobe Photoshop, gewünscht, die Sensibilität des Zauberstabs feineinstellen zu können, um entsprechend kleinere oder größere Bereiche selektieren zu können. Mit diesem Repertoire lässt sich jedenfalls schon einiges anstellen. Doch das ist noch nicht alles. Bislang werden mit diesen Werkzeugen lediglich spektrale Teilbereiche aus dem geladenen Sample extrahiert. Mit Hilfe der Invertierungs-Buttons drehen wir den Spieß jedoch blitzschnell um, so dass anstelle eines kleinen spektralen Bereichs jetzt das komplette Sample, exklusive der selektierten Bereiche gespielt wird. Einfacher geht’s nimmer. Wer jedoch direkt das komplette Sample in seiner Originalform in Iris abspielen möchte oder wem sein erstelltes Kunstwerk nicht gefällt, drückt einfach den Button zum Markieren des gesamten Samples oder deselektiert alles auf einen Schlag. Im Test macht die Arbeit mit den Werkzeugen einen Heidenspaß und wir gehen alsbald auf eine spannende Entdeckungsreise in Sachen spektral zerlegter Samples. Dabei sorgen weitere pfiffige Features für zusätzlichen Komfort. So können einmal erzeugte Markierungen frei im Spektrogramm verschoben werden um etwa höhere oder tiefere Klang-Anteile zu Gehör zu bringen. Allerdings ist ein wenig Vorsicht geboten, wenn beim Verschieben von Feldern andere Felder berührt oder überdeckt werden. Sobald wir die Maustaste loslassen werden beide zuvor noch separaten Markierungen miteinander zu einem neuen, größeren Feld verschmolzen. Das Versetzen von Feldern über die Spektrumsgrenzen hinaus führt dazu, dass das Feld entsprechend des Versatzes rigoros abgeschnitten wird. Wer also nicht aufpasst, hat mit Leichtigkeit aus einem kreisrunden Feld einen Halbkreis erzeugt. Abhilfe schafft dafür der Undo-Button, mit dem jeder Arbeitsschritt im Spektrogramm rückgängig gemacht werden kann und im Test alsbald zu einem unverzichtbaren Feature avanciert.

Schade ist hingegen, dass Selektionen nicht als separate Dateien speicher- und aufrufbar sind und stets fest an die so bearbeiteten Samples gebunden sind. Das Kopieren und Einfügen von Selektionen vom einen auf einen anderen Layer ist ebenfalls nicht möglich, würde aber die kreativen Möglichkeiten von Iris noch einmal erweitern. Einmal erstellte Spektrums-Zeichnungen, die sich bewährt haben, könnten als Schablonen auf diese Weise mit Leichtigkeit auf andere Samples übertragen werden. Genial wäre in dem Zusammenhang auch die Möglichkeit, Selektionen im Ganzen skalieren zu können. Izotope sollte sich überlegen, diese Möglichkeit ins nächste Update einfließen zu lassen, denn sie würden den Bedienkomfort und das Kreativ-Potenzial noch einmal erweitern.

Abseits dessen gibt Iris im Hör- und Praxistest eine glänzende Vorstellung. Auffällig ist der edel klingende Grundsound, der durch enorme Luftigkeit, Plastizität und eine eigentümliche, unterschwellige Betonung im unteren Mittenbereich auffällt und selbst schrill klingenden Samples auf subtile Art einen schön färbenden Anstrich verpasst. In dieselbe Kerbe hauen auch die integrierten Effekte, die auf hohem Niveau Samples behutsam im Klang veredeln. Insbesondere stechen dabei der Verzerrer und der Hall hervor, die, behutsam eingesetzt, den Samples auf sehr organische Art zu mehr Biss und Räumlichkeit verhelfen. Die mitgelieferten Samples und Patches decken eine enorme Bandbreite ab, beginnend bei musikalisch spielbaren Brot-und-Butter-Sounds mit eigentümlich verfremdeter Note bis hin zu abgedrehten Effektklängen. Eine Reihe von Patches wartet jedoch mit lediglich homöopathischen Spektral-Bearbeitungen auf, was wir jedoch als Zugeständnis an den Massengeschmack werten. Interessant wird es bei den Sounds, die erhebliche Eingriffe ins Spektrogramm aufweisen und weidlich Gebrauch von exotischen Layer-Kombinationen sowie den vielfältigen Loop-Optionen machen. So finden sich in den Ambient-, Experimental- und Flächen-Katgeorien Patches, die uns immer wieder an die Anfänge der klassischen elektronischen Musik im Stile von Karlheinz Stockhausen, Herbert Eimert, Gottfried Michael König oder Henri Pousseur erinnern und nach langer Zeit wieder erfrischend neuartig und anders klingen. Klangkonstrukte mit tief dröhnenden, ostinaten Bassanteilen, über die sich wieselflinke Tonfolgen in höheren Lagen verteilen sind zu hören. Mehrere sinusartige Zufalls-Melodien, gepaart mit Klangverläufen, die eine Art Filter-Sweep zu Gehör bringen,  verbinden sich zu einem bisweilen zarten, bisweilen mächtigen Klanggemisch. Zwar erinnern viele der Klangbestandteile an Standard-Wellenformen, die mit einem Filter und einem Sample-and-Hold-Generator bearbeitet wurden. Doch irgendwie klingt alles immer eine Spur anders, denn letztlich wird lediglich ins Frequenz-, respektive Teiltonspektrum eingegriffen.

Wie mächtig die Möglichkeiten der Spektralbearbeitung sind, zeigt sich dabei immer wieder, wenn wir den Preview-Button bemühen und das Sample in seiner Reinform hören, was uns im Test förmlich zu einem Ratespiel animiert, welcher Originalklang sich hinter den bearbeiteten Samples verbirgt. Nach eingehendem Studium der Werks-Library erstellen wir selbstverständlich auch eigene Patches, was jedoch ein gewisses Maß an Einarbeitung erfordert, um zielgerichtet die relevanten Spektralanteile herauszuarbeiten und das geladene Sample komplett zu dekonstruieren. Die oben erwähnten Filter-Sweep-ähnlichen Sounds erstellen wir durch simples Einzeichnen diagonaler Linien oder Flächen, die das Spektrum diagonal zerteilen. Das klingt zunächst recht banal. Deutlich interessanter wird es, wenn wir quasi in Tupftechnik kleine kreisrunde oder viereckige Punkte mehr oder weniger zufällig ins Spektrogramm einfügen. Anschließend ist eine ebenso zufällige Tonfolge hörbar, was am besten mit statischen Klängen, etwa einem ostinaten Streichersound und natürlich den Wellenformen des Sub-Oszillators geht. Je nach Dichte und Lage der Tupfer ist jetzt ein wieselflinkes Geklingel hörbar und das ohne LFO oder Sample-and-Hold-Generator. Vom Ursprungsklang ist dabei so gut wie nichts mehr übrig geblieben. Ein anderes Mal laden wir das Sample einer Steelstring-Gitarre, die eine melodische Phrase spielt. Mit dem Pinsel malen wir eine Schlangenlinie ins Spektrum, die in den Mittenfrequenzen beginnt und sind einmal mehr vom klanglichen Resultat überrascht: Anstelle des Gitarrenklangs ist jetzt eine Art gedämpfter Spieluhr-Sound hörbar, der von der Melodie als solchen nicht mehr viel übrig lässt. Im Verbund mit weiteren Layern sorgt das so bearbeitete Sample für einen feinen, aber merkbaren Schub in Sachen Lebendigkeit. In einem weiteren Test isolieren wir die Bass-Frequenzen eines Cello-Samples, die Mittenfrequenzen einer Oboe und die Höhenanteile einer Piccolo-Flöte und setzen alles zu einem eigenartig klingenden Gemisch zusammen. Alle drei Instrumente sind zwar als solche erkennbar, jedoch klingen sie fremdartig im Sound beschnitten, was letztlich den Reiz ausmacht. Mit Hilfe der LFOs versetzen wir jedes Teil-Spektrum noch einmal in Bewegung und erhöhen den Aufmerksamkeitsfaktor deutlich. Doch das sind im Vergleich zu den Patches der beiden separat erhältlichen Librarys eher Anfänger-Übungen, die wir jetzt am Schluss ein wenig näher betrachten wollen. Beide Librarys erweitern das Werks-Repertoire von Iris um markante Klänge mit jeweils eigenen thematischen Schwerpunkten. Allerdings sollte man sich nicht von den Namensgebungen der Soundsammlungen in die Irre führen lassen. Angeschlagene Weingläser oder Glasharfen, das Rutschen eines Fingers über eine Glasfläche sind in der Glass-Library zwar hörbar, ebenso wie das Aufeinanderschlagen von Drumsticks oder der Klang von Woodblocks in der Wood-Library. Doch zumeist werden diese Originalklänge mit Hilfe spektraler Bearbeitungen erfolgreich kaschiert. Allen Patches wohnt daher zumeist ein elektronischer Charakter inne. Im Zentrum der Glass-Library stehen zumeist atmosphärische und angenehm hörbare Soundscapes, die mit einem tonalen Fundament aufwarten. Viele Patches weisen zudem einen starken Anteil an hohen Frequenzen auf, die sie sehr zart und filigran klingen lassen, weshalb sich die Glass-Library überall dort perfekt dazu eignet, um epische und intime Stimmungen akustisch zu untermalen. Dazu gesellen sich eine Reihe musikalisch spielbarer Percussion-, Lead- und Flächensounds, die ebenfalls zart und subtil daherkommen. Auffällig: Die Eingriffe ins Spektrogramm fallen dabei eher behutsam aus, wobei die Sounddesigner nach der Maßgabe „Weniger ist oft mehr“ gezielt an den richtigen Stellen im Spektrum eingegriffen haben. Im Gegensatz dazu macht die Wood-Library eine harte 180-Grad-Kehrtwende und entpuppt sich quasi als böser Bruder der Glass-Library. Ihre Domäne liegt eindeutig auf bissigen, schrillen und bedrohlich wirkenden Klangverläufen, Whooshes und Stings, die rein gar nichts tonales mehr besitzen, wobei der Iris-Verzerrer in Vollbeschäftigung zum Einsatz kommt. Viele Patches lassen uns automatisch an die Musik von Künstlern wie den Einstürzenden Neubauten, Merzbow, Throbbing Gristle oder Skinny Puppy erinnern, die Krach als musikalisches Ausdrucksmittel nutzen. Auffällig ist dabei, dass die Eingriffe ins Spektrogramm deutlich intensiver, um nicht zu sagen wüster ausfallen. Viele Spektrums-Zeichnungen erinnern dabei an moderne abstrakte Kunst. Folglich eignen sich die Wood-Patches perfekt zur Untermalung bedrohlicher und unheimlicher Szenarien in Film und Hörspiel. Gute Dienste dürfte sie auch in der Postproduction leisten, etwa zur Untermalung riesiger Maschinen-Konstrukte.

Fazit

Izotope legt mit Iris ein höchst markant ausgestattetes und zu bedienendes Instrument vor, das mit seinem Schwerpunkt auf der visuellen Gestaltung von Sound alleine schon deswegen ein heißer Kandidat für einen Editors Choice Award ist. Das Rumschrauben an Knöpfen hat ausgedient. Klänge werden ab sofort nur noch gemalt. Das wirkt nicht nur inspirierend und stößt das Tor zu neuen Welten auf. Obendrein klingt Iris auch noch exzellent und wartet mit teils erfrischend neuen Sounds auf. Sounddesigner und ambitionierte Klangschrauber werden an Iris nicht vorbeikommen.

 

 

 

 

Erschienen in Ausgabe 07/2012

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 299 $
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut