Hochprozentiges Update

Sie kennen das: Vor dem Kauf schien der neue Synthesizer  die Lösung all Ihrer Soundprobleme, jetzt bleibt er meist ungenutzt, weil seine Bedienung zu kompliziert ist. Dass solcher Frust vermeidbar ist, beweist Native Instruments mit der vierten Version des Klangzauberers Absynth.

Von Georg Berger

Was mit der universellen Sound-Plattform Kore Mitte 2006 begann, setzt sich nun in den Software-Produkten von Native Instruments fort. Das Stichwort lautet: intuitive Bedienbarkeit komplexer Software. Für die Berliner Firma ist es nur logisch, sämtliche Eigenprodukte an die Kore Plattform anzupassen, was freilich nicht nur Besitzern von Kore zu Gute kommt. Das aktuelle Beispiel betrifft die vierte Version des Software-Synthesizers Absynth, die durch flexible Möglichkeiten des Sound-Designs besticht (siehe Kasten). Knapp 300 Euro sind beim Neukauf von Absynth 4 zu bezahlen. Die Besitzer der Vorversion erhalten das Update für etwa 100 Euro.

Ebenso wie Massive (Test in Heft 12/2006) verfügt jetzt auch Absynth über eine Datenbankfunktion, um Klänge schnell und bequem zu indizieren und zu suchen. Damit wäre das Pflichtenheft eigentlich schon erledigt. Doch das allein würde diesem Update nicht gerecht werden. Die Version 4 enthält eine Vielzahl neuer Features sowohl hinsichtlich der Formung von Klängen als auch in Bezug auf die noch leichtere Bedienbarkeit. So wartet sie mit insgesamt 16 so genannten Makro-Controllern zur bequemen Editierung eines oder simultan mehrerer Parameter auf. Endlich gibt es jetzt eine einfache ADSR-Hüllkurve, die einen spontanen Eingriff in den Klangverlauf gestattet. Was die Klangerzeugung betrifft, sind die neue Wave-Morph-Funktion und die Sync-Granular-Synthese zu nennen. Zusätzlich ist das halbmodulare Konzept der Verknüpfung einzelner Klangbausteine im Patch-Fenster noch flexibler ausgefallen. Schließlich gibt es noch viele weitere Neuigkeiten in Absynth 4 zu entdecken, von denen wir die wichtigsten Funktionen vorstellen.

Die auffälligste Neuerung bei Absynth 4 ist der neue Look der Bedienoberfläche, die jetzt ungleich heller gestaltet ist. Ein pastellfarbener Grünton ersetzt das eher dunkle Giftgrün auf schwarzem Hintergrund. Die Fader-Elemente besitzen keine weiß-bläulichen Balken mehr; stattdessen heben sich nun gelbe Statusbalken deutlich vom Hintergrund ab. Felder mit Ziffern lassen sich dank fetterer Schrift wesentlich besser ablesen. Die ovalen Punkte daneben –zur Anwahl und zum Ändern der Werte mit Hilfe der Maus – sind beibehalten worden. Der Aufbau der permanent im oberen Viertel integrierten Navigationsleiste mit den Buttons zur Anwahl der einzelnen Unterfenster wurde neu organisiert. Dort finden ab sofort acht Buttons, um die jeweiligen Fenster aufzurufen. Nach wie vor lassen sich darüber die Patch-, Wave-, Envelope-, LFO- und Effekt-Fenster aktivieren. Neu hinzugekommen sind ein Browser- und Attribute-Fenster, um Presets zu suchen und zu indizieren, sowie ein Performance-Dialog, der sämtliche Funktionen zur globalen Einstellung und Steuerung des Synthesizers enthält. Innerhalb des Performance-Fensters gibt es ein zusätzlich eingebettetes Unterfenster mit Reitern, die noch einmal sechs Unterfenster aufrufen.

Als ständiges Element findet sich auf der rechten Seite ein Feld mit vier Drehreglern, die zur Steuerung der Master-Hüllkurve dienen. Über die ADSR-Regler ist ohne langwierige Editier-Arien im Hüllkurvenfenster die Gesamtamplitude eines Sounds direkt regulierbar; das ermöglicht einen noch spntaneren Eingriff in Klänge. Dieses Feature werden vor allem Live-Musiker begrüßen. Als zweites ständiges Element erlaubt die Audio in-Sektion das komfortable Ablesen und Einstellen anliegender Eingangspegel für den Einsatz von Absynth 4 als Effektgeräte-Plug-in. Eine Recording-Funktion zur Erstellung eigener Audio-Samples – wie noch in Absynth 3 vorhanden – suchen wir allerdings vergeblich.

Beim Spielen der Klänge wird man sich zumeist auf der Controller-Seite befinden, um dort die insgesamt 16 Makro-Regler zu bedienen und zu editieren. Besonders interessant: Zwei Controller lassen sich zu einem zweidimensionalen XY-Controller zusammenfassen und ähnlich wie bei der Bewegung eines Joysticks nahtlos in ihren Werten überblenden. Dieses Feature ist nun auf alle Controller anwendbar, so dass sich entweder maximal 16 einzelne oder acht paarweise Controller-Elemente auf dieser Seite finden. Der Zugriff auf die Geschwindigkeit und Modulationstiefe eines LFOs mit nur einer Bewegung ist also kein Problem mehr.

Über das Assignment-Fenster können Sie den Controllern außer einer neuen Controller-Nummer ein oder mehrere Modulationsadressen zuweisen. Absynth 4 stellt hier einen Vorrat an 47 Zielen bereit. Das Ansteuern mehrerer Parameter mit einem Controller erlaubt dabei drastische Klangänderungen. Interessant finden wir auch den mit Audio Mod betitelten Reiter, der eine Art Envelope Follower [G] enthält. Über vier so genannte Mod-Groups lassen sich Modulationsziele amplitudengesteuert beeinflussen. Als Modulationsquelle dienen dabei beispielsweise die Ausgangssignale sämtlicher Felder des Patch-Fensters. Eine Trigger-Funktion erlaubt es schließlich, die Hüllkurven unabhängig vom Druck auf eine Keyboard-Taste auszulösen, was wichtig ist im Zusammenhang mit der Nutzung von Absynth 4 als Effekt-Plug-in.

Insgesamt erweitern sich damit deutlich die Eingriffsmöglichkeiten in Absynth-Sounds im Vergleich zur Vorversion. Die Zuweisung von Modulationszielen auf die Controller geschieht dabei sehr komfortabel. Das Konzept erschließt sich auch ohne eine lange Handbuch-Lektüre. Bei unserem Test ergaben sich keine kritikwürdigen Auffälligkeiten.

Native Instruments hat mit dem Sound-Browser und den Funktionen zur Steuerung von Parametern eine leicht zu handhabende Schnittstelle zwischen Anwender und Computer geschaffen. Einige Verbesserungen entdecken wir auch noch in den Komponenten der Klangerzeugung. So ist das starre Konzept der Einbindung von Klang formenden Komponenten im Patch-Fenster jetzt aufgebrochen worden. Sämtliche Modulfelder – bis auf die oberen drei für die Oszillatoren und das Effekt-Modul am Ende der Signalkette – lassen sich jetzt entweder mit einem Filter, einem Modulator- oder Waveshaper-Modul frei belegen. Wem also bisher der Einsatz eines einzigen Filters in einem Klangkanal zu wenig war, der kann jetzt aufrüsten und zwei Filter in Reihe schalten und somit stärkere Effekte erzielen. Auch die Reihenfolge der eingesetzten Module spielt eine wichtige Rolle. Ob das Waveshaper-Modul als Verzerrer wahlweise vor oder nach einem Filter-Modul geschaltet wird, erzeugt unterschiedliche Ergebnisse und erweitert die Möglichkeiten noch einmal. Zusätzliches Bedienungs-Plus: Durch Rechtsklick auf eine Parameterbezeichnung lassen sich jetzt bequem MIDI-Controller zuweisen, die sich dann im Assignment- oder MIDI-Dialog des Performance-Fensters wieder finden.

Was die Klangsynthese betrifft, wartet Absynth 4 mit zwei Neuheiten auf: Außer der bisherigen Granular-Synthese, die nur die Bearbeitung von Audio-Samples gestattet, gibt es jetzt mit der Sync-Granular-Synthese die Möglichkeit, auch synthetische Wellenformen in kleinste Bestandteile zu zerlegen und in unterschiedlicher Art wieder zusammenzusetzen. Der Klang von so bearbeiteten Wellenformen erinnert durch seine Rauheit dabei an eine Art Bit-Reduktion. Ferner reichert sich der Klang mit Rausch-Anteilen an, die so etwas wie das Anblasgeräusch einer Flöte erzeugen – subtil eingesetzt, lassen sich damit Wellenformen im Klang breiter machen.

Deutlicher hörbar wirkt die neu integrierte Wave-Morph-Funktion, die als zusätzlicher Reiter im Wellenform-Fenster auftaucht. Um sie nutzen zu können, muss über einen Rechtsklick die Wellenform-Auswahl aufgerufen werden. Anders als in Absynth 3 erscheint dazu ein isoliertes Pop-up-Fenster mit einem stark erweiterten Vorrat an Wellenformen. Die dort bereitgestellten Morph-Wellen bestehen aus zwei Formen, die sich im Wave-Dialog separat editieren und durch eine Überblendungsfunktion mischen lassen. Besonderer Clou: Maximal vier Marker definieren für jede Wellenform Bereiche, die bei der Überblendung dafür sorgen, dass Teile der Wellenform gestreckt oder gestaucht werden, was zusätzliche klangliche Facetten erzeugt. Selbstverständlich lässt sich dieser Vorgang auch automatisieren. Die bemerkenswerte Lebendigkeit der Absynth-Klänge erhält dadurch noch einen Schub. Es heißt folglich auch wieder Fehlanzeige bei unserer Suche nach vermeintlichen Schwachstellen in puncto Klangerzeugung.

Ein Blick ins Hüllkurven-Fenster zeigt auch die schon zuvor erwähnten Master-ADSR-Regler. Diese lassen sich einmal oder mehrmals auf Breakpoints innerhalb einer Hüllkurve routen. Die Änderung der Position etwa mehrerer Breakpoints mit nur einer Regler-Bewegung wird dadurch kinderleicht. Selbstverständlich können Sie auch Breakpoints verschiedener Hüllkurven auf einen Regler definieren. Ohne jegliches Routing wirkt die Master-Hüllkurve auf die Gesamt-Amplitude des Sounds. Eher im Verborgenen finden sich folgende zwei Features: In den Templates duplizieren neuartige Sequenzer-Hüllkurven bequem die Funktion eines Step-Sequenzers (siehe Massive Test in Heft 12/2006). Und das Transformations-Menü enthält nun eine Expand to Rhythm-Funktion, welche die Breakpoints automatisch in ein zuvor gewähltes Rhythmus-Raster setzt. Bei der Arbeit im Hüllkurven-Fenster vermissen wir die Möglichkeit aus der Vorversion, das gesamte Fenster in der Größe zu skalieren. Stattdessen lässt sich durch eine Zoom-Funktion die Darstellung der Kurven nur noch innerhalb des vorgegebenen Fensterrahmens ändern.

Als einziges der zentralen Klanggestaltungs-Dialoge wurde das Effekte-Fenster komplett renoviert. Zu jedem Effekt findet sich nun eine übergeordnete Zeile mit so genannten Master Parametern, die erstmals auch per Controller steuerbar sind; darüber die globalen Einstellmöglichkeiten wie ein Hoch- und Tiefpassfilter, ein Effektanteil-Regler, sowie ein Controller-Dialog zur Steuerung des Effektanteils. Besonderer Clou: Erstmals lässt sich der Effekt über Fader in der Lautstärke anteilig auf die Klangkanäle und den Summen-Ausgang regeln.

Absynth 4 wird mit insgesamt 1.200 Presets geliefert, die sich zum Großteil aus dem Arsenal des Absynth 3 zusammensetzen. Neu sind 168 Instrumenten- sowie 32 Effekt-Presets. Dafür wartet Absynth 4 zusätzlich mit einem zirka 500 Megabyte umfassenden Datenvorrat an Audio-Samples auf, der eine breite Palette von akustischen Instrumenten-Klängen bis hin zu synthetischen Texturen enthält und sich im Sample- oder Granular-Modus einsetzen lässt.

Beim Test interessieren uns in erster Linie die neu programmierten Absynth 4-Presets. Der Schwerpunkt der Klänge liegt dabei auf wandlungsreichen Klanglandschaften, die sich so anhören, als ob mehrere Synthesizer gleichzeitig erklingen würden. Eine große Zahl flächenartiger Effektklänge empfiehlt sich für den Film- und Hörspiel-Bereich oder avantgardistische Musikrichtungen. Die meisten Presets enthalten Klangspektren mit tonal nicht eindeutigem Zentrum. Wer für seine Arrangements zur Untermalung noch einen entsprechenden Füll-Sound braucht, wird hier fündig. Auch die Flächenklänge, die sich tonal eindeutig definieren und auch spielen lassen, enthalten immer noch eine zusätzliche klangliche Komponente, die beispielsweise aus einem eher banalen Orgelklang etwas Besonderes macht. Das bloße Anspielen der Presets ohne jeglichen Eingriff ist schon recht beeindruckend. Doch richtig kraftvoll werden die Klänge erst durch Einsatz der Makro-Controller. Gerade die Möglichkeit, über die XY-Controller zwei Parameter auf einmal zu bedienen, verändert einige Klänge tief greifend. Allerdings dürften sich die neuen, zweifelsohne beeindruckenden Presets nicht positiv für Native Instruments auswirken. Denn der Schwerpunkt auf Flächenklängen mit zumeist exotischen Timbres erzeugt ein recht einseitiges Bild. Die eher eingeschränkten musikalischen Einsatzmöglichkeiten könnten Interessenten beim Antesten dieser Sounds abschrecken. Wir hätten uns daher eine breitere Palette vor allem auch von Brot-und-Butter-Klängen gewünscht, die eher der Erwartung der Musikschaffenden entspricht. So bleibt nur der Rückgriff auf die Presets der Vorversion, die noch die von uns gewünschte Palette enthält. Allerdings warten diese noch mit dem reduzierten Controller-Satz auf. Wer hier die neuen Controller-Features anwenden will, muss die Presets erst selbst editieren. Trotzdem erweist sich Absynth 4 als ein deutlich mächtigerer Klang-Zauberer als noch sein Vorgänger.

Im Test erzeugen wir einen einfachen Grundklang unter Ausnutzung der neuen Wave-Morph Funktion und reichern ihn in den beiden anderen Oszillator-Feldern mit zusätzlichen Morph-Wellen an. Die Überblendung der Wellen steuern wir über die Hüllkurven. Durch die freie Zuweisung der Filter und Modulatoren in den weiteren Feldern steht uns ein ungleich größerer und lebendigerer Klang-Kosmos offen, was so in Version 3 noch nicht möglich war.

Die Absynth 4 Effekt-Presets überzeugen ebenfalls, auch wenn sie etwas zahlreicher hätten ausfallen dürfen. Neben eher normalen Effekten wie Chorus, Flanger, Delay oder Verzerrer, die sich durch eine auffällige Wärme und voluminöse Dichte auszeichnen, finden sich weitere Presets, die durch die Absynth-Klangerzeugung etwa einer angeschlossenen Gitarre schwebende und flirrende Klangtexturen hinzufügen. Wer einer Solo-Passage zu Profil verhelfen will, sollte sich einmal einen dieser Effekte vornehmen.

Fazit

Mit den neuen Features erhält Absynth 4 – was den Bedienkomfort betrifft – einen gehörigen Schub und wartet überdies mit zusätzlichen Möglichkeiten zur Klanggestaltung auf. Diese machen den Synthesizer nicht zu einem völlig neu klingenden Instrument; die Berliner offerieren vielmehr Optionen, die für eine noch höhere klangliche Flexibilität sorgen. Dabei ist es den Entwicklern von Native Instruments gelungen, die grundsätzliche Editierung und Programmierung von Klängen in weiten Teilen unangetastet zu lassen. Besitzer der Vorversion können ohne Umschweife mit der neuen Version weiterarbeiten. Die neuen Dialoge sind schnell erfasst und fügen sich unmerklich und intuitiv in die Bedienung des Instrumentes ein. Absynth 4 zeigt auf vorbildliche Weise, wie die Benutzerführung eines komplexen Klangerzeugers auszusehen hat. Ambitionierte Klangschrauber erhalten mit Absynth 4 ein Werkzeug, mit dem sich Klänge noch schneller und leichter erstellen und beim Spielen dynamisch verändern lassen.

Erschienen in Ausgabe 01/2007

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 299 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut