Subtractive Synthesis to the Max

Wenn Synthesizer Spezialist U-He mit einem neuen Plug-in um die Ecke kommt, dann darf man mehr als gespannt sein. HIVE heißt der Neuzugang, ein subtraktiver Synthesizer ist er und er soll maximalen Sound bei einfachster Bedienung und einer dazu extrem gefälligen CPU-Auslastung bieten. Ob es sich dabei um einen weiteren „Gamechanger“ handelt, verraten wir im Test.

Von Stefan Feuerhake

Synthesizer-Liebhaber leben zurzeit wie im Schlaraffenland. Auf dem Hardware-Markt verliert man fast schon den Überblick im Angesicht vieler neuer analoger und/oder virtuell-analoger Synthesizer. Alle großen Hersteller überraschen zu fast jeder Messe mit einem neuen Schmankerl. Hinzu kommt, dass die Gemeinde der Modularsystem-Nutzer mehr und mehr wächst. Natürlich ist das auch in der digitalen Welt der Plug-ins nicht anders. Regelmäßige Neuerscheinungen reihen sich neben eine fast schon unüberschaubare Flut an Freeware-Synthesizern, von denen sich einige in puncto Klang keineswegs hinter den „Bezahlkollegen“ verstecken müssen. Vergessen wollen wir dabei nicht, dass jede DAW schon von Haus aus mit ein, zwei soliden Vertretern ausgestattet ist. Da sollte man sich die Frage gefallen lassen: Warum brauchen wir einen weiteren subtraktiven Synthesizer? Und vor allem jetzt, wo U-He doch erst vor ein paar Jahren selbst mit dem virtuellen Instrument Diva das Thema neu definiert hat. Doch das hat dem Hersteller offenbar nicht gereicht, denn mit HIVE steht ein neuer Klangerzeuger in den Startlöchern, der die Produktpalette markant erweitert. Doch eines sei gleich vorweg genommen: Der rund 150 Euro kostende HIVE ist nicht der Diva Nachfolger und er zielt auch nicht auf die Nachbildung eines bestimmten analogen Vorbilds ab. Urs Heckmann und seine Mannschaft haben ihr ganzen Wissen in einen Topf geworfen und einen subtraktiven Synthesizer gebaut, der einfach zu bedienen ist, einen fetten Sound generiert und dabei auch auf einem schon etwas in die Jahre gekommenen Computer noch Spaß machen soll. Zusätzlich ist HIVE mit Arpeggiator, Sequenzer und Effekten ausgestattet und soll so alles bieten was das moderne subtraktive Herz begehrt. Das schürt die Erwartungen natürlich sehr. Und so haben wir uns ausgiebig Zeit genommen, HIVE genauestens zu prüfen.

 

Look & Feel

Ein Synthesizer muss zuerst einmal einfach und intuitiv zu bedienen sein. Gerade bei der subtraktiven Synthese, die von allen Synthese-Arten die am einfachsten zu programmierende ist. Dadurch soll man schnell angeregt werden, eigene Sounds zu erstellen oder die vorhandenen Presets mal eben unproblematisch anzupassen. Ein „single page user interface“ lautet da das Zauberwort. Oder ganz simpel auf Deutsch gesagt, jeder Parameter besitzt seinen eigenen Regler und alles ist bequem in einem Fenster zu erreichen. So geschehen im HIVE-Instrument, das den Anwender vor mühsamem Klicken durch verzweigte Menü-Strukturen bewahrt. Allerdings gibts drei kleine Ausnahmen.
HIVE besitzt zwei identisch ausgestattete Synthesizer, mit je einem Oszillator und einem Sub-Oszillator, zwei Multimode-Filter, zwei Hüllkurven und zwei LFOs. In der Mitte von HIVE befindet sich der Zugang zum Herz des Synthesizers in Form eines Hexagons oder um im Bild zu bleiben: der Bienen-Wabe. Dort beherbergt er seinen Arpeggiator und den Step-Sequenzer und in einer zweiten Ansicht können hier die sieben Effekte editiert werden. Im unteren Bereich des GUI kann zum zweiten Mal etwas umgeschaltet werden: Wahlweise lässt sich dort ein Keyboard oder die Modulationsmatrix 1 oder 2 aufrufen. Für die Preset-Verwaltung zeigt sich als weitere Ausnahme ein eigenes, schwebendes Browserfenster. Doch das schmälert den Bedienkomfort in keiner Weise. Auch im Browser wird das „quick & easy“ Konzept weiter gefahren. Presets lassen sich einfach per Drag-and-drop bewegen und speichern. Ebenso sind einige Ordner im User-Bereich schnell erstellt und verwaltet. Sehr vorbildlich. Apropos Presets: Knapp 3.000 werden mitgeliefert und sie bieten alles, was das Herz begehrt. Dabei ist es egal, ob Sie elektronische Musik wie Trance, Dubstep, EDM, Techno oder House machen oder lieber Hip-Hop, R‘n‘B oder sogar progressive Rock. HIVE ist universell einsetzbar. Man findet immer sehr schnell ein passendes Preset.
Insgesamt gefällt uns das GUI-Design von HIVE sehr gut, man hat sich ultraschnell eingearbeitet und auch Anfängern wird das Entdecken und Verstehen der subtraktiven Synthese durch den einfachen Aufbau sehr erleichtert. Und so dauert es nicht lange, bis sich die ersten Klangwelten auftun.

 

Klangwelten

Für den Grundklang stehen in HIVE drei verschiedene Sound-Engines zur Verfügung. Normal, Dirty und Clean heißen sie, wobei der Name hier auch gleich sehr gut die Charakteristik beschreibt. Sie unterscheiden sich hauptsächlich durch das Verhalten der Oszillator-Stimmstabilität, der Filtercharakteristik und das Attackverhalten der Hüllkurven. Um den Klang der verschiedenen Engines zu vergleichen, stellen Sie am besten einen Oszillator auf solo – ja das geht hier in HIVE – und aktivieren Sie alle 16 Unisono-Stimmen. Benutzen Sie den Detune-Poti, spielen Sie am Cutoff und an der Hüllkurve, und schalten Sie dabei alle drei Engines in Ruhe durch. Dirty klingt dabei immer schön rotzig, so als ob der Sound durch Sättigung mehr Obertöne und eine ganz leichte Verzerrung bekommt. Die Clean-Engine kommt komplett ohne Sättigung daher und klingt am „kältesten“, aber auch am reinsten, präzisesten. Normal liegt dann irgendwo in der Mitte von beiden.
Die Idee mit den drei Charakteren gefällt uns sehr gut. Dadurch passt sich HIVE noch besser an unterschiedlichstes Songmaterial an. Natürlich darf man aber hier jetzt nicht drei komplett unterschiedlich klingende Synthesizer erwarten. Doch wie klingt er denn nun genau? HIVE hat einen unglaublich klaren, sehr hochaufgelösten, digitalen Sound. Er kann von klinisch klar, was aber auf keinen Fall kalt bedeuten soll, bis brummig knurrig klingen. HIVE ist in der Lage sowohl hauchzarte, ätherische Spektren, als auch voluminös-bombastische Klanggebilde zu erzeugen, wobei der Bassbereich stets klar definiert, präzise und impulsstark daherkommt. Und er behält dabei immer seinen eigenen Charakter, der am besten mit den Worten digital und modern beschrieben werden kann. Digital heißt in diesem Zusammenhang auf jeden Fall digital im guten Sinne. Er beherrscht zwitschernde Acid-Lines à la TB-303 genauso gut wie Bässe im Moog-Style oder super breite Sägezahn-Flächen in klassischer Roland-Manier. Viele Presets erinnern an die Sounds der frühen 90er Jahre, als Techno, Trance und House immer populärer wurden. Auf der anderen Seite gibt es aber auch viele moderne Presets, die sich wunderbar in aktuellen EDM oder Dubstep-Produktionen einsetzen lassen. Im Test ertappen wir uns oft dabei, dass wir später im Mix mit dem EQ eher Frequenzen wegnehmen als hinzufügen müssen, so breitbandig klingen viele Sounds. Er klingt eben wie HIVE und nicht wie Diva, Sylenth oder ein Mini-Moog. Und hier sei auch gleich erwähnt, dass die angedrohte CPU-Auslastung wirklich extrem gering ausfällt. Während des Tests haben wir einen Song aus 16 Instanzen von HIVE auf einem Mac-Rechner mit einem i5-2,8GHz Prozessor programmiert, der mit etwas zusätzlichem Hall und Kompression gerade einmal 20 Prozent CPU-Auslastung angezeigt hat (Zu hören auf: https://www.soundcloud.com/feuerhake/hivedemo). Wir sind beeindruckt von den tiefen Bässen, glasklaren Pads, kreischenden Leads und den lebendig modulierten Sequenzen; solch ein Sound, bei so wenig CPU-Belastung, sucht wirklich seines Gleichen. Wenden wir uns doch gleich mal der Klangerzeugung im Einzelnen zu und schauen, wo der dicke Sound denn her kommt.

 

Oszillatoren & Filter

Insgesamt stehen in HIVE vier Oszillatoren, je zwei Main und zwei Sub, zur Verfügung. Jeder besitzt seinen eigenen Volume-Poti für das Zusammenmischen der Wellenformen, wobei jeder Oszillator mit einem identischen Satz an neun Wellenformen ausgestattet ist. Hier finden sich alle Standards plus Rauschen. Sehr schön gelöst ist, dass jeder Oszillator seinen eigenen Solo-Button besitzt. So verliert man beim wilden Herumschrauben nie die Übersicht, wer eigentlich was gerade macht. Zusätzlich können die beiden Subs auch auf „like OSC“ gestellt werden und geben dann die gleiche Welle wie der Haupt-Oszillator wieder. Dieser Modus ist sehr wichtig, wenn Sie extrem breite Sounds erstellen wollen, da die Unisono-Funktion mit auf den Sub-Oszillator einwirkt. Insgesamt kann ein Sound also maximal 4 mal 16 Stimmen unisono spielen und das klingt wirklich beeindruckend. Wie eingangs erwähnt, wirkt sich hier besonders die ausgewählte Sound-Engine aus. Sehr gut gefällt auch, dass sich die Oszillator-Einstellungen als Preset speichern und wieder laden lassen. Eine sehr gute Idee und zu unserer großen Freude geht das auch bei den Filtern, LFOs und Hüllkurven.
Die beiden Filter in HIVE arbeiten standardmäßig parallel. Als Zusatzoption kann aber auch Filter1 seriell durch Filter2 geschickt werden. Gut gelöst ist auch, dass sich die Parameter der beiden Filter verlinken lassen. Was den Klang der Filter betrifft, sind wir bei U-He bisher immer sehr verwöhnt worden und so ist die Erwartung groß. Aber auch in dieser Disziplin enttäuscht HIVE nicht. Jede Sound-Engine hat ja ihr eigenes Filter, die ausnahmslos exzellent klingen. Im Normal- und Dirty-Modus bringt der Input Gain bei Bedarf auch noch ordentlich Sättigung im Filter mit. Das Highlight im Test ist aber das Filter der Normal-Engine. Schade ist dabei ein bisschen, dass die Filter immer an die Sound-Engine gebunden sind. Wir hätten gern das Normal-Filter im Dirty-Modus genutzt. Aber das ist dann schon meckern auf sehr hohem Niveau. Das Routing der Oszillatoren in die Filter ist bestens gelöst, und ebenso kann man direkt vom Filter aus an die LFOs und Hüllkurven für schnelle Modulationen gelangen. Da ist alles wo es sein soll. Kommen wir als nächstes zu den Modulationsmöglichkeiten von HIVE.

 

Modulatoren

Die beiden LFOs sind mit acht verschieden wählbaren Wellenformen ausgestattet. Hier finden sich alle bekannten Standards, aber auch ein paar Exoten. Die ADSR-Hüllkurven sind standardmäßig mit Amp und Filter verbunden, können aber ebenso als Modulatoren für weitere Ziele in der Matrix genutzt werden. Sie klingen extrem zackig und sind mit drei verschiedenen Trigger-Modi ausgestattet.
Das Erstellen von Modulationen geschieht in HIVE über die Modulationsmatrix. Hier stehen 12 Slots zur Wahl, die alle einen eigenen Bypass-Button besitzen. Pro Slot stehen, Source/Quelle, Via (eine optionale zweite Quelle) und zwei Targets (Modulationsziele) bereit. Alternativ zum Auswählen der Ziele in der Matrix, können sie auch ganz einfach mit der Maus in den Slot gezogen werden. Dazu einfach in ein Ziel klicken, und es etwa mit dem Cutoff-Poti verbinden. Eine sehr gute Idee, mit der sich das Verknüpfen von Modulatoren sehr vereinfacht. Zusätzlich zu den üblichen Modulationsquellen wie LFOs, Hüllkurven, Sequenzer und MIDI CC wurden HIVE drei zusätzliche eigene Quellen spendiert, wie Alternate, Random und Constant spendier, die für noch mehr Modulationsspaß sorgen. Sogar Effekt-Parameter und auch „versteckte Parameter“ wie Pitch-, Phase-Oszillator- oder Pulsweiten-Modulation, die im Synth sonst keinen eigenen Parameter besitzen, sind in der Matrix möglich.
Kommen wir als nächstes zum Arpeggiator und zum Step-Sequenzer.

 

Arp & Seq

Im Herzstück, dem Hexagon von HIVE, befinden sich zwei aufrufbare Ansichten. Die erste beherbergt den Arpeggiator und den Sequenzer. Oben befindet sich die interne Clock, die die Abspielgeschwindigkeit von Arp&Seq steuert. Neben Standardmetren von 1/4 bis 1/32 lassen sich mit Multiply alle erdenklichen punktierten oder triolischen Varianten erzeugen. Zusätzlich gibt es einen Swing Button für Shuffle-Grooves. Der Arpeggiator selbst erinnert ein wenig an das Pendant im Diva-Instrument und ist recht rudimentär ausgestattet. Allerdings interagiert er optimal mit dem Sequenzer, was die beiden zu einer extrem starken Einheit macht, mit der einem nicht so schnell die Ideen ausgehen sollten.
Der mit 16 Steps ausgestattete Sequenzer kommt mit den vier Parametern Gate, Transpose, Velocity und CC pro Step daher und kann mit der Maus programmiert, aber auch im Record-Modus Noten von einem MIDI-Controller empfangen und aufzeichnen. Eine sehr nützliche Funktion. So lassen sich schnell und einfach coole Sequenzen erstellen. Als Bonus obendrauf kann er anschließend mit dem Arpeggiator interagieren und beispielsweise die Noten des Arpeggios aufnehmen. Schaltet man in den Modulator Mode des Sequenzers werden nur noch die CC- und Gate-Informationen ausgegeben, nicht mehr die Noteninfos, was ebenso zu netten Modulationsspielchen einlädt. Fünf verschiedene MIDI-CCs wie breathCtrl, Expression, ModWheel, PitchWheel und Pressure können zugewiesen und sogar aufgenommen oder in der Matrix zum Modulieren genutzt werden. Die Arp&Seq Sektion macht im Test sehr viel Spaß, sie ist extrem flexibel und bietet endlose Gestaltungsmöglichkeiten. Erstellte Sequenzen lassen sich natürlich abspeichern, trotzdem hätten wir einen Wunsch für das nächste Update: Eine Lockfunktion wäre der Hammer, um sozusagen die Einstellungen des Sequenzers beim Umschalten der Presets mitnehmen zu können, wie es etwa bei den Filtereinstellungen möglich ist.

Das ist schon einmal alles sehr beeindruckend, aber ein Synthesizer ohne Effekte wäre dann noch etwas zu trocken. Schauen wir also mal, was HIVE in diesem Bereich zu bieten hat.

 

Effekte

Dazu schalten wie im oberen Bereich des Hexagon von Arp&Seq auf Effekte um. Insgesamt stehen sieben Effekte – Distortion, Chorus, Phaser, Delay, Reverb, EQ und Compressor – zur Verfügung. Sehr praktisch ist, dass die Effekte einen globalen Bypass-Schalter besitzen, der in beiden Ebenen erreichbar ist. So kann man beim Durchforsten der Presets bei Bedarf mal eben schnell alle Effekte abschalten. Ebenso sinnvoll gelöst, wurde auch das Routing der Effekte. So lässt sich durch einfaches Drag-and-drop in der Mitte des Hexagon die Reihenfolge der Effekte festlegen, also ob Sie das Delay lieber vor dem Reverb oder danach haben möchten. Oft sind Effekte in Synthesizern ja eine schöne Beigabe. Später werden sie dann doch meist durch Plug-ins in der DAW ersetzt. Dass U-He auch Effekte kann, hat der Hersteller in der Vergangenheit mit Produkten wie dem Uhbik-Bundle, der Bandmaschinen-Emulation Satin oder dem Presswerk-Kompressor erfolgreich unter Beweis gestellt (Tests in den Heften 8/2013, 10/2014 und 2/2015). Die sieben HIVE-Effekte sind zwar nur mit Basic Parametern ausgestattet, was dem Sound aber ganz und gar nicht schadet und auf der anderen Seite wieder das „easy to use“ Konzept unterstreicht. Sämtliche Effekte klingen durchweg hervorragend, besonders die Modulations-Effekte und die drei verschiedenen Distortion-Modi gefallen uns sehr, aber auch alles andere braucht den Vergleich mit reinen Effekt-Plug-ins nicht zu scheuen und lässt sich wunderbar einsetzen. Beide Daumen hoch. Natürlich lassen sich die Effekteinstellungen auch als Presets abspeichern und die einzelnen Effekt-Parameter tauchen auch in der Matrix zum Modulieren auf.

 

Fazit

Mit HIVE ist U-He ein weiterer großer Wurf gelungen. Unglaublich wie gut er klingt und wie wenig CPU er dabei verbraucht. Das Interface ist wirklich „easy to use“ und lädt auch Anfänger sofort zum Schrauben ein. Mit der Kombination aus Arpeggiator, Sequenzer und Effekten lässt HIVE wirklich keine Wünsche offen und hat alles an Bord, was ein zeitgemäßer subtraktiver Synthesizer mitbringen sollte.

Erschienen in Ausgabe 7/2015

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 149
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut