Audio-Dolmetscher
Der jüngste Streich aus dem Hause Waldorf hört auf den Namen Lector und ist ein Vocoder-Plug-in mit markanter Ausstattung und pfiffigen Features. Das Erzeugen der typischen Roboterstimmen markiert dabei nur den Anfang. Was das Plug-in sonst noch kann, steht im Test.
Von Georg Berger
Der Vocoder rangiert im weiten Rund der Audio-Effekte ohne Zweifel in der Exoten-Kategorie. Kein Wunder denn die Ergebnisse klingen stets stark verfremdet und muten an, als ob zwei Signale durch einen Fleischwolf gedreht und am Ende miteinander vermengt am Ausgang erklingen (siehe Kasten auf Seite 83). Der gesprochene Satz „Wir sind die Roboter“ in Kraftwerks gleichnamigem Stück oder die Roboterstimme beim Runterzählen des Countdowns in der Fernsehserie „Raumpatrouille“ dürften hierzulande die vielleicht bekanntesten klingenden Zeugnisse des Vocoder-Effekts darstellen. Dennoch ist die Beliebtheit des Vocoders, der mittlerweile auf eine über 70-jährige Geschichte zurückblicken kann, nach wie vor ungebrochen. Der Hersteller Waldorf hat dies wohl auch so gesehen und mit dem rund 170 Euro kostenden Lector Plug-in sein Produkt-Portfolio jetzt um einen Vocoder erweitert.
Besonderheit: Lector basiert auf dem Vocoder Plug-in D-Coder, das von Waldorf seinerzeit ausschließlich für die Powercore-Plattform von TC Electronics entwickelt wurde. Mit Lector legt der Hersteller jetzt die native Version seines Vocoders vor und hat es sich nicht nehmen lassen, gleichzeitig eine umfassende Renovierung und Erweiterung des Effekts vorzunehmen. So besitzt Lector jetzt eine Multi-Effekt-Sektion, Kompressoren in den Eingängen, Samples lassen sich im integrierten Synthesizer abspielen und mit dem sogenannten Whitening-Filter findet sich ein speziell entwickelter Entzerrer an Bord zum Eliminieren von Formanten. Doch der Reihe nach. Schauen wir uns den „Vorleser“ Stück für Stück einmal näher an. Die Oberfläche des Plug-ins ist übersichtlich in die vier Sektionen Eingang, Synthesizer, Analyse-/Synthese-Filterbank und Effekte unterteilt. Den Anfang macht die Eingangs-Sektion, die als Besonderheit und erstes Highlight sowohl für das Modulator- (Speech), als auch das Trägersignal (Carrier) einen aktivierbaren, rudimentär einstellbaren Kompressor bereitstellt. Lautstärkesprünge im Vocoder-Signal haben damit ausweislich unseres Tests in Lector keine Chance, was gerade beim Einspeisen von Drumloops in den Speech-Kanal oftmals auftreten kann. Für dieses praxisorientierte Feature heimst Waldorf schon einmal die ersten Punkte ein. Weiter geht’s mit der Unvoiced-Detection-Abteilung, die eigentlich eher zur Synthesizer-Sektion gehört. Sinn und Zweck: Das Verbessern der Sprachverständlichkeit durch das Ersetzen des Carrier-Signals mit Rauschen beim Auftreten von Sibilanten. Drei „Geschmacksrichtungen“ stehen zur Auswahl: weißes Rauschen, das Modulatorsignal selbst, das sich ähnlich wie bei der Parallelkompression hinzumischen lässt oder eine Mischung, bestehend aus weißem Rauschen und dem Carrier-Signal. Über den Sensitivity-Regler lässt sich die Empfindlichkeit des Algorithmus beim Erkennen stimmloser Sprachanteile effizient feinjustieren. Der zweite Hauptbestandteil der Vocoder-Klangerzeugung bildet das Carrier-Signal auf das sich die in Echtzeit ermittelte Modulation des Speech-Signals aufprägen lässt.
Lector offeriert dafür wahlweise einen waschechten On-Board-Synthesizer mit üppiger Ausstattung oder stellt die Möglichkeit bereit, externe Signale via Sidechain ins Plug-in zu routen. Der Clou: Über den Swap-Button lässt sich Speech- und Carriersignal blitzschnell vertauschen, was in teils drastische Klangänderungen im Test ausartet. Modulator-, Träger- und das daraus resultierende Vocodersignal lassen sich übrigens über eigene Drehregler in der Lautstärke regulieren. Um den On-Board-Synthesizer nach alter Väter Sitte ansteuern zu können, muss im Sequenzer übrigens einfach eine MIDI-Spur erzeugt werden, deren Ausgang auf den Lector geroutet ist. Doch zurück zum Carrier-Signal, wobei wir uns zunächst der Sidechain-Option widmen wollen: Wer mit Cubase, Nuendo oder Logic arbeitet ist im Vorteil, denn sowohl die AU-, als auch die VST3-Version stattet das Lector-Plug-in mit aktivierbaren Sidechain-Kanälen aus in die sich die gewünschten Spuren innerhalb des Projekts abzweigen und einspeisen lassen. Wer allerdings mit DAWs arbeitet, die ausschließlich mit VST-Plug-ins in Version 2 arbeiten, muss ein wenig mehr Arbeit investieren und das separat ladbare Carrier-Plug-in in die entsprechende Spur insertieren. Das Plug-in stellt dabei komfortabel eine Verbindung zum Lector-Sidechain her. Der altbekannte aber lästige Trick, Sidechains über eine Vierkanal-Subgruppe zu erzeugen, entfällt dadurch. Maximal vier Carrier-Plug-ins lassen sich ins Projekt einfügen, wobei jedes Plug-in eine eigene frei wählbare ID-Nummer besitzt, die schließlich neben der Sidechain-Schaltfläche in Lector wählbar ist. Für dieses praxisgerechte Feature gibt’s weitere Pluspunkte. Der integrierte Synthesizer besticht durch eine zwar überschaubare Ausstattung, die jedoch mit einigen bemerkenswerten Details aufwartet. Die Eckpunkte sind schnell erfasst: Zwei Oszillatoren, ein Multimode-Filter, zwei rudimentär einstellbare Hüllkurven für Filter und Verstärker sowie ein LFO sind an Bord. Erste Besonderheit: Außer den üblichen Synthesizer-Wellenformen und einem kleinen Vorrat an mitgelieferten Samples ist es auch möglich, weitere Samples im Wav-Format in die Oszillatoren zu importieren. Der Clou: Das Sidechain-Signal kann ebenfalls in die Oszillatoren geroutet werden, um es anschließend via Filter und Hüllkurve weiter verarbeiten zu können.
Allerdings ist es dabei logischerweise nicht in der Tonhöhe transponierbar. Zusätzliche Modulations-Optionen wie Frequenz- und Ringmodulation erweitern die Gestaltungsmöglichkeiten noch einmal. Das integrierte Filter wartet mit den wählbaren Filter-Charakteristiken Hoch-, Tief- und Bandpass sowie Bandsperre in je zwölf und 24 Dezibel-Charakteristik auf plus das bereits erwähnte Whitening-Filter. Anders als die übrigen Filter lässt sich dabei jedoch nur das Cutoff eines dem Whitening-Filter nachgeschalteten Sechs-Dezibel-Tiefpasses und die Filterverzerrung einstellen. Im Test punktet dieses Filter auf markante Art. Der Sound klingt auf eigentümliche Art höhenreicher und schlanker, was übrigens auch für andere obertonreiche Sounds gilt. Sinn und Zweck: Das Vermeiden überlauter Klangspektren im Vocoder-Sound bei Einsatz von Chor-Samples, was tatsächlich zu einem hörbar homogeneren Ergebnis bei Einsatz dieser Sounds führt. Allerdings dürfte der Grundsound des Lector-Synthesizers nicht jeden Geschmack treffen, denn insgesamt besticht er durch eine eigentümliche Höhenarmut. Davon profitieren zwar die Bässe und Mitten, was dem Lector-Synthesizer eine überdeutliche Wärme verleiht. Als reines Instrument eingesetzt kann er sich höchstens als unauffälliger Flächenlieferant behaupten. Im Umkehrschluss kommt diese Charakteristik den Vocoder-Sounds zu Gute, die sich dadurch voluminös in Szene setzen. Das Herz von Lector bilden jedoch die Einstellmöglichkeiten in der Analyse- und Synthese-Filterbank, die sich mittig auf der Bedienoberfläche positionieren und mit kreativen Eingriffsmöglichkeiten aufwarten. Hingucker ist das editierbare Graphik-Display, das dem Anwender farblich abgesetzt und in der Horizontalen geteilt die ermittelten Spektren von Speech- und Vocoder-Signal anzeigt. Über den Band-Regler lässt sich die Anzahl der Analyse-Filter zwischen drei bis 100 einstellen. Dabei gilt das Motto: Je mehr Filter, desto präziser die Modulation, desto besser die Sprachverständlichkeit. Genial: Über die Low- und High-Regler lässt sich die Bandbreite der Filterbank bestimmen, was auch per Maus im Display möglich ist. Konsequenz: Das Eingrenzen des Gesamt-Frequenz-Spektrums nimmt Einfluss auf die Bandbreite der Bandpässe, was zu entsprechend detaillierten Ergebnissen führt. Noch besser: Über Attack- und Release-Parameter ist das Analyse-Signal sogar im Zeitverlauf regulierbar, was nicht alltäglich ist und ein weiteres Ausformen des Speech-Anteils ermöglicht. Den Vogel schießt Lector schließlich in der Synthes-Filterbank ab: Dort lassen sich, ebenso wie im Analyse-Pendant, nicht nur die Außengrenzen der Filterbank frei einstellen. Ein eigens dafür einstellbarer LFO erlaubt die Modulation dieser Einstellungen, was im Display je nach Einstellungen zu entsprechend heftigen Bewegungen in der unteren Hälfte des Displays führt. Je nach Einstellung klingt das Ergebnis so als ob ein Filter-Sweep auf das Vocoder-Signal einwirkt, was synchron zum LFO mit einem An- und Abschwellen der Sprachverständlichkeit einhergeht. Extrem eingesetzt sind fast unbeschreibbare, eigentümliche tremolohafte Effekte hörbar.
Doch Lector bietet noch viel mehr in dieser Sektion: Die Filter der Synthesebank können per Resonance-Regler in Selbst-Oszillation versetzt werden und sind in der Bandbreite einstellbar. Im Test erreichen wir durch Anheben der Resonanz und Einengen der Bandbreite wiederum ein Plus an Sprachverständlichkeit. Hierbei gilt: Je größer die Bandbreite, desto verwaschener das Signal. Kreativ eingesetzt, erzeugen wir mit Hilfe des Resonanz-Parameters ein eigenartiges Klingeln im oberen Frequenzbereich, nicht unähnlich der Sound-Artefakte früher Pitch-Shifter, was dem Vocoder-Signal zusätzlich Charakter verleiht. Ein nachgeschalteter Drei-Band-Equalizer komplettiert schließlich die Ausstattung der Synthese-Filterbank. Besonderheit: Hinter den Reglern werkeln keine zusätzlichen Filter-Algorithmen. Vielmehr nehmen sie proportional Einfluss auf das Gain der Bänder in der Filterbank. Anders ausgedrückt: Bass- und Höhen-Parameter sorgen für ein Verstärken und Dämpfen der Bandpassfilter in diesen Bereichen. Mit Hilfe des Frequenzwahl-Reglers im Mittenband ist die Anzahl an zu regulierenden Bändern bestimmbar. Last but not Least hat Waldorf seinem Vocoder eine Effekt-Sektion spendiert, bestehend aus den einzeln aktivierbaren Effekten Overdrive, Chorus, Delay und Reverb, die sich zwischen Vocoder-Sektion und Ausgang ansiedeln. Ausstattung und Klangqualität sind ordentlich, wobei sich Chorus und Overdrive bestens darauf verstehen, den reinen Vocoder-Sound nachhaltig zu schönen respektive zu schärfen. Im Hör- und Praxistest speisen wir unterschiedliche Signale sowohl in den Speech-, als auch den Carrier-Kanal. Die sattsam bekannten Roboterstimmen markieren dabei nur den Anfang, wobei die vielen Eingriffsmöglichkeiten zum Herstellen der Sprachverständlichkeit effizient einsetzbar sind. Abseits dessen erstellen wir mit Lector rhythmisch zerhackte Gitarrenlinien, Drumloops, die wie von Zauberhand eine harmonisch-tonale Komponente erhalten und noch viel mehr. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Auffällig in allen Signalkombinationen ist ein in den Mitten schmeichelnder Grundsound, der den Flächencharakter der Vocoder-Sounds bestens betont, wobei die Höhen gleichzeitig eigentümlich zurückgenommen sind. Selbst scharfe Klangspektren klingen immer noch ohrenfällig und voluminös. Unschlagbares Highlight ist jedoch die Lebendigkeit der Vocoder-Sounds, die sich mit Hilfe der gebotenen Ausstattung in der Filterbank-Sektion realisieren lässt und dem ansonsten eher statischen Effekt neue Aspekte in Sachen Klanggestaltung verleiht. Passionierten Klangschraubern sei Lector in jedem Falle empfohlen.
So funktioniert ein Vocoder
Der in den 1930er Jahren entwickelte Vocoder sollte zunächst im militärischen Bereich zur Verschlüsselung von Sprache dienen, fand sich aber bald danach in der Telekommunikations-Technik wieder. Für musikalische Zwecke wurde der Vocoder erst in den 1960er Jahren entdeckt und seitdem immer wieder eingesetzt. Das Prinzip des Vocoders basiert, banal ausgedrückt, auf der Zerlegung von Sprache in Tonhöhe und Modulation. Nach erfolgter Zerlegung nutzt der Vocoder nun lediglich das extrahierte Modulationssignal, um ein zweites eingespeistes Signal, beispielsweise ein Gitarrensignal oder einen Synthesizer damit zu modulieren. Durch das Aufprägen dieser Modulation auf einen Klangerzeuger entsteht der Eindruck, als ob das Instrument spricht. Das Verfahren selbst geschieht dabei wie folgt: Das Modulator-Signal, beispielsweise gesprochene Sprache, wird über eine Filterbank, bestehend aus schmalbandigen Bandpass-Filtern sowie nachgeschalteten Hüllkurvenfolgern zunächst in einzelne Frequenzbestandteile aufgesplittet und analysiert. Auf diese Weise liefert die Analyse-Filterbank für jeden Frequenzausschnitt eine eigene Amplitude. Die Amplituden werden anschließend in eine zweite Filterbank, die Synthese-Filterbank, mit der gleichen Anzahl schmalbandiger Bandpass-Filter geschickt. Gleichzeitig wird das zu modulierende Signal – Carrier, respektive Trägersignal genannt – ebenfalls in den Vocoder eingespeist und über die Synthese-Filterbank in einzelne Frequenzbestandteile zerlegt. Die Amplituden der Analyse-Filterbank nehmen jetzt Einfluss auf die Bandpässe der Synthese-Filterbank, was dazu führt, dass die Modulation des Modulator-Signals, dem Trägersignal aufgeprägt wird.
Fazit
Waldorf präsentiert mit Lector ein markant ausgestattetes Vocoder-Plug-in, das dem vermeintlich angestaubten Effekt neue Aspekte in Sachen Klanggestaltung hinzufügt. Dabei sind die vielen Zusatz-Funktionen nicht bloß nutzloser Schnickschnack, sondern wohldurchdachte, praxis-orientierte Features, die für das Know-how der Entwickler sprechen.
Erschienen in Ausgabe 11/2011
Preisklasse: Oberklasse
Preis: 169 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut
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