Eierlegende Wollmilchsau für den Tanzflur 

Mit einer vielversprechenden Kombi aus Multi-Synthesizer und Drum-Machine schickt Vengeance seine brandneue Softsynth-Workstation ins Rennen, die einen Rundumschlag in Sachen Dance- und Pop-Sounds verspricht.

Von Johannes Dicke

Fällt in Producer-Kreisen der Name Vengeance Sound, beginnen oftmals die Augen der Beteiligten zu leuchten. Gelten doch die Samples, Soundsets und Plug-ins der deutschen Klangschmiede als Institution für hochamtliche Sounds für die Dance- und Pop-Welt. Kurzum: Praktisch jeder im DJ- und Producer-Business arbeitet in irgendeiner Form mit den bewährten Tools des mittlerweile überaus reichhaltigen Sound-Arsenals. Zu den prominenten Nutzern gehören etwa Armin Van Buuren, Axwell, Dimitri Vegas & Like Mike, David Guetta oder Benny Blanco. Kurzum: Vengeance-Mastermind und Avenger-Entwickler Manuel Schleis trifft seit der Jahrtausendwende mit seinen Produkten stets den Nagel auf den Kopf.

Sein neuester Wurf ist die Synthesizer-Workstation Avenger, die wir in diesem Rahmen einem ausgedehnten Praxis-Test unterziehen. Sein Clou: Mannigfaltige Klangerzeugungsoptionen, gepaart mit übersichtlicher, weil modular angelegter Bedienoberfläche. Neben klassischen virtuell-analogen Wellenformen, Shapes, Wavetables, Frequenz- und Amplitudenmodulation sowie Multi-Sampling wurde außerdem eine Drum-Machine miteingebaut. Die wirklich reichhalten Klangerzeugungsoptionen sollen sogar in naher Zukunft nochmals erweitert werden. So sollen die integrierten Oszillator-Module bald auch noch die Granularsynthese beherrschen.

Abgerundet wird das Ganze mit vielfältigen Sequencing-, Routing- und Effektierungsmöglichkeiten sowie einem überaus umfangreichen Vorrat an Werks-Presets. Gerade im Hinblick auf Letztere winkt somit ein prall gefülltes Komplettpaket, das für einen Kaufpreis von 199 Euro einen Vengeance-typischen Rundumschlag unter anderem aus Lead-, Bass-, Pad-, Drum- und FX-Sounds bietet.

 

Modulare Workstation-Maschine

Das Besondere am Avenger-Konzept ist neben den genannten Klang-Features der bereits erwähnte modulare Aufbau, der sich aus sieben individuell konfigurierbaren Sektionen zusammensetzt. In Werkseinstellung ist jede Abteilung bereits mit einem Modul-Tab bestückt und kann darüber hinaus nach Belieben bis an ihre jeweilige Kapazitätsgrenze mit weiteren Modulen bestückt werden.

Auf der Bedienoberfläche findet sich zunächst oben, neben dem Preset-Browser das Klangerzeugungsfenster mit den Oszillator-Tabs und der Drums-Abteilung, wobei wir uns als erstes mit den Oszillatoren beschäftigen. Bis zu acht Oszillator-Tabs gleichzeitig lassen sich erzeugen, wobei jeder einzelne von ihnen neben den bereits erwähnten Klanggenerationsoptionen auch diverse Manipulationsparameter in petto hat. Bei letzteren bieten unter anderem Formant-Shaping und diverse Unisono-Justagen zahlreiche zusätzliche Klangformungsmöglichkeiten. Zudem lässt sich jede einzelne Osc-Tab-Leiste zwecks besserer Übersicht individuell benennen, was sich gerade in komplexen Preset-Kreationen als dankbares Feature hervortut, das optimale Übersicht schafft und eine schnelle Identifikation der jeweiligen Klangschicht erlaubt. Wohin dann die einzelnen Osc-Tab-Signale sowie die Summe der Drums weitergeschickt werden sollen, lässt sich in der Route-Sektion am rechten Rand jedes Tabs bestimmen. Zum einen stehen dazu bis zu vier FX-Racks (im GUI links unten) sowie ein Send-Rack und ein Master-Effekt-Rack zur Summenbearbeitung bereit. Zum anderen wartet auf der rechten GUI-Seite eine ganze Reihe obligatorischer Signalformungs-Einheiten auf uns.

Zur Verfügung steht zunächst eine Amp-Sektion inklusive AHDSR-Hüllkurve mit maximal vier möglichen Modul-Tabs. Es folgt eine ebenso ausgestattete Filter-Abteilung. Dahinter wartet dann eine Shaper-Sektion mit bis zu vier Distortion-Tabs auf ihren Einsatz sowie maximal vier LFOs. Jeder in besagten Abteilungen erzeugte Tab taucht in jedem einzelnen Route-Menü auf, wo sie beliebig zur Beschickung seitens Osc- und Drums-Signalen ein- oder ausgeschaltet werden können. Weiterer Clou am Avenger: Da sich so Oszillatoren einzeln oder in Gruppen separat filtern, durch Hüllkurvengeneratoren jagen, verzerren oder modulieren lassen, eröffnet sich damit zusätzlicher Detailreichtum in der Klangprogrammierung.

 

Beats an Bord

Damit die Sounds der Oszillator-Tabs nicht ohne Rhythmussektion bleiben, wartet rechts daneben eine komplett ausgestattete und auf Sample-Basis arbeitende Drum-Machine auf ihren Begleiteinsatz. Zu diesem Zweck können zahlreiche, bereits fix und fertige Drum Sets aus insgesamt zwölf verschiedenen Einzel-Sounds hereingeladen werden. Diese sind in Avengers Werks-Library in rauen Mengen enthalten, ebenso, wie entsprechende MIDI-Sequenzen. Zugänglich ist beides über einen unterhalb des Route-Bereichs gelegenen Browser.

Ist ein neues Kit geladen, lassen sich nicht nur im Drums-Tab Grundeinstellungen an den Einzel-Samples vornehmen. Auch öffnet ein Klick auf die entsprechende Sample-Wellenform einen Editor im zentralen Display zur Fein-Justage. Dort werden auch die Daten geladener MIDI-Sequenzen im Reiter DRM SQ angezeigt, wo sich selbstverständlich auch eigene Modifikationen vornehmen lassen. Damit Sie am Ende Oszillatoren und Drum-Beat unabhängig voneinander auf Ihrem MIDI-Keyboard spielen können, bietet ein weiterer Reiter namens Zones die passenden Einstellmöglichkeiten. Clever: Dort lassen sich separate Klaviaturbereiche für die Drums und jeden einzelnen der bis zu acht Oszillator-Tabs festlegen. Dies eröffnet vielfältiges Kreativpotential – nicht nur beim Layern von Sounds, sondern vor allem auch beim Erstellen kompletter Track-Arrangements mit Beats und Basslines bis hin zu Pad- und Lead-Sounds inklusive passender MIDI-Sequenzen.

Apropos: Im zentralen Display findet sich auch in puncto Osc-Tabs der entsprechende Editor für alle Sequencing-Aufgaben, und zwar in Gestalt des ARP-Reiters. In ihm lassen sich analog zur maximalen Oszillatorsumme bis zu acht separate Arpeggiator-Tabs anlegen. Jeder einzelne ist via Browser-Menü mit einem ebenso reichhaltigen Vorrat an MIDI-Sequenzen befüllbar, die für alle Gelegenheiten etwas Passendes zu bieten haben. Daneben hält das Zentral-Display außer weiteren Funktionen, wie Systemeinstellungen und einem virtuellen Mischpult, einen Modulations- und einen Pitchverlaufs-Editor sowie einen Step Sequencer mit jeweils bis zu acht Tabs bereit.

Last but not least eröffnet der zuvor mit der Drums-Einheit in Erscheinung getretene Editor-Reiter auch in Sachen Oszillatoren ein weiteres, schmackhaftes Feature. Arbeitet der angewählte Oszillator-Tab nämlich mit einem oder mehreren Samples, erscheint dort wie bereits in Kombination mit der Drums-Sparte ein Sample-Editor. Ist hingegen eine der zahlreichen Wellenformen an Bord, lässt sich die geladene Welle über ein dann erscheinendes grafisches Interface eigenhändig nach Lust und Laune durch Einzeichnen per Maus verformen.

 

Modulationsmeister

Als wäre all das noch nicht genug, machen am Ende zahleiche Modulationsmöglichkeiten die Kreativpalette so richtig fett. Dazu lassen sich alle Avenger-Komponenten, die mit sechs kleinen Würfelaugen an ihrer Tab-Leiste gekennzeichnet sind als Modulationsquellen nutzen. Neben jedem Amp-, Filter- und LFO-Tab sowie allen Tabs unter ARP, Step SQ und PITCH im Zentral-Display bieten auch alle Macro-Potis und -Schalter sowie diverse Funktions-Buttons über dem virtuellen Keyboard zuzüglich Pitch- und Modwheel dieses Feature. Geroutet werden kann dann auf jeden per Dreh- oder Schieberegler justierbaren Parameter des Avenger. Das wiederum bewegt dann die jeweilige Zielfunktion automatisch durch den mit ihr verbundenen Modulator.

Wie das im Detail funktioniert, zeigen wir an folgendem Beispiel: Angenommen, Sie möchten einen Wobble-Sound mit charakteristisch rhythmischer Filterbewegung basteln, wie er in Dubstep, Complextro und Co. zum guten Ton gehört. Wenn Sie dazu im Init Preset zunächst auf besagten Sechpunktbereich links am LFO 1-Tab klicken und dabei die Maustaste gedrückt halten, erscheint eine gelbe Linie. Diese lässt sich dann wie ein virtuelles Patch-Kabel auf ein beliebiges Ziel ziehen. Bewegen Sie nun die Linie auf den Cutoff-Regler im Filter 1-Tab, sodass das Poti hell leuchtet, und lassen anschließend die Maustaste los. Sogleich erscheint links oben neben dem Drehregler ein kleines, orangefarbenes Dreieck. Dieses zeigt an, dass am betreffenden Poti ein Modulations-Patch erstellt wurde. Außerdem lässt sich mittels Klick auf‘s Dreieck und entweder nach rechts oder links Ziehen die Modulationsstärke einstellen. Nun öffnet und schließt der LFO – im per Rate-Poti eingestellten Rhythmus und anhand der am Filter-Poti festgelegter Intensität – das Filter und der gewünschte Wobble-Effekt ist gepatcht.

Für größtmögliche Transparenz und Übersicht über jedes Modulations-Patching sorgt am Ende die Mod Matrix im rechten, unteren GUI-Bereich. In ihr werden automatisch alle hergestellten Modulationsverknüpfungen aufgeführt und lassen sich zusätzlich noch einmal parallel zum eigentlichen Ort des Geschehens bequem bearbeiten, ohne Letzteren durchsuchen zu müssen. Gerade bei zahlreichen Modulations-Patches ist das Gold wert, um stets die Übersicht zu wahren. Last but not least wartet ganz unten rechts auf der Bedienoberfläche noch ein weiteres Extra in Sachen Modulationssteuerung in Gestalt dreier Macro-Drehregler und zweier Macro-Buttons. Sollen mehrere Parameter gleichzeitig bewegt werden, müssen diese nur mit einem der Macro-Bedienelemente verbunden werden. Praktisch!

 

 

All-In-One-Klangschmiede in der Praxis

Nachdem wir uns einen Überblick über die große Vielfalt von Avengers Synthesearchitektur verschafft haben, erproben wir das Ganze im Studioalltag. Dazu schauen wir uns zuallererst die mitgelieferte Preset-Library an, die in den allermeisten Fällen den Startpunkt bei der Suche nach geeigneten Klängen darstellt. Ein Klick auf das Factory-Symbol im Library-Browser öffnet uns sogleich eine ganze Armada an Instrumentenkategorien und Einzel-Sounds. Mit Arpeggios, Bässen, Leadsynths, Glöckchen, Drums, FX-Sounds, akustischen Instrumenten, Pads und vielem mehr decken diese beileibe alles ab, was für amtliche Dance-Produktionen benötigt wird.

Beim Durchsteppen sind wir nicht nur von der schieren Menge enthaltener Sounds, sondern vor allem vom glasklaren und fett-punchigen Grundklang des Avenger nachhaltig begeistert. Dem nicht genug, entpuppen sich daneben auch seine Fähigkeiten als Multiinstrumentalist als wahrer Knaller. Gerade in den beiden Kategorien Arp und Sequences werden diese besonders deutlich und demonstrieren eindrucksvoll das geballte Potential des Vengeance-Boliden. Gleich das erste Mitglied der Arp-Fraktion, welches auf den nicht nur für Trance-Kenner verheißungsvollen Namen „A State Of Trance“ hört, ist ein gutes Beispiel dafür. Beim Drücken einer Taste auf unserem MIDI-Keyboard ertönt zunächst ein überaus schönes Plucked Arpeggio-Lead, das unter anderem mithilfe von Arpeggiator-Sektion und Filter-Einsatz erstellt wurde und ab Werk praktische Eingriffsmöglichkeiten bereithält. Zunächst lässt sich mittels Modwheel die Frequenz des Lowpass-Filters steuern, was gerade in Trance und Co. ein effektvolles Mittel für Spannungsbögen darstellt. Das allein jedoch ist nur die Spitze eines Eisbergs, denn darüber hinaus birgt das Programming noch so einige weitere Extras, die sich erst beim näheren Hinsehen und weiteren Ausprobieren zeigen.

 

Coole Bonus-Features

Seitens der Klangerzeugung ist in unserem Beispielklang nämlich neben dem mit „Arp“ benannten, ersten Oszillator-Tab noch ein zweiter namens „Bassline“ vorhanden. Dieser bietet gleich den zum Arpeggio-Lead passenden Basslauf an, der allerdings werkseitig durch einen heruntergezogenen Fader im Mixer stummgeschaltet ist. Somit muss nicht erst lange nach einem passenden Bass-Sound gesucht, sondern schlichtweg nur der betreffende Fader im Mischpultreiter hochgezogen werden. Bei Gefallen spart das wertvolle Zeit. Sprich: Warum soll ich noch lange suchen, wenn doch bereits ein erfahrener Profi schon einen perfekt passenden Klang für mich ausgesucht hat? Dem nicht genug, ist die Bassschicht außerdem bereits auf einen zweiten, eigens dafür programmierten Arpeggiator-Tab geroutet, der sogleich auch noch eine passenden Bassmelodie parat hält. Möchten Sie die Basslinie jedoch ohne Arp-Automatik und unabhängig vom Lead-Arpeggio selbst einspielen, brauchen Sie nur den Arp-Tab im entsprechenden Route-Menü zu deaktivieren und getrennte Spielzonen im Zones-Reiter einzurichten.

 

Macro-Spielwiese

Wer nun denkt, dass es das schon gewesen sei in puncto Multiklang, der irrt. Über die Macro-Bedienelemente lassen sich nämlich wie bereits angerissen mehrere Klangmodifikationen auf einmal „on the fly“ bewerkstelligen und fernsteuern. In unserem Preset-Beispiel lässt sich nicht nur der Sound des Lead-Arpeggios mithilfe des ersten Macro-Rades schön anfetten sowie mit dem zweiten im Klangcharakter verändern. Mithilfe des dritten Drehreglers, den Preset-Autor Manuel Schleis himself mit den Volume-Potis von Bassdrum und Ride-Becken in der Drum-Abteilung verbunden hat, lassen sich schließlich auch die passenden Beats flugs hinzumischen. Da er außerdem zuvor deren beide Regler geschlossen hat, werden diese nun ausschließlich durch das mit Kick & SC beschriftete Macro-Rad geöffnet. Wird dieses nach rechts aufgedreht, erklingt – dank entsprechendem Programm im DRM SQ-Reiter – der passende Vierviertel-Beat.

Damit dieser besonders fett daherkommt, wurde noch ein weiteres Schmankerl in die Preset-Programmierung eingebaut, genauer gesagt im ersten Rack der umfangreichen Effektsektion. Dort sorgt ein Spezialmodul namens Mini-Chain dafür, dass die beiden einzigen auf FX1 gerouteten Klangerzeuger Arp und Bassline bei jedem Bassdrum-Schlag geschmackvoll heruntergedrückt werden (Stichwort: Ducking). Somit kann die Bassdrum noch härter durchschlagen. Zusammen mit dem Bass grooven beide als wichtigste Elemente gerade in Dance-Tracks so miteinander verzahnt nochmals ungemein besser.

Sollte sich übrigens am Ende jemand zur alleinigen Kickdrum- noch weitere Drum-Begleitung wünschen, ist auch das kein Problem für den Avenger. Ein Blick in den Drum-Sequencer zeigt uns nämlich, dass in weiser Voraussicht auch für Snare 1 und Closed Hihat 2 bereits die passenden Rhythmen einprogrammiert sind. Um diese ebenfalls mit nur einem Dreh entfesseln zu können, müssen wir lediglich – wie schon bei Kick und Ride-Becken vorliegend – eine Modulationsverbindung zwischen besagtem Macro-Poti und den beiden Volume-Reglern im Drums-Tab vornehmen. Auf die gleiche Weise lassen sich anschließend auf Wunsch noch weitere Drum-Sounds hinzuaddieren.

 

Fazit und Einsatzempfehlung

Mit dem Avenger ist dem Vengeance-Team und Mastermind Manuel Schleis ein wahrhaftig großer Wurf gelungen. Die Synth-Workstation bietet nicht nur jede Menge großartige, top einsetzbare sowie zeitgemäße Sounds – überdies durch ein ständig wachsendes Angebot an Expansion Packs erweiterbar. Auch ermöglicht der Avenger durch seine Multiinstrumenten- und Multi-Sequencing-Möglichkeiten die Erstellung kompletter Tracks direkt im Plug-in – quasi wie eine Workstation innerhalb der eigentlichen DAW. Selbst wer abgesehen vom integrierten Sequencing nur die Layering-Qualitäten nutzt, spart dabei eine ganze Menge Arbeitszeit, denn alle grundlegenden Klangerzeugungs- und Klangformungsmittel sind bereits in Topqualität mit an Bord. Summa summarum ist diese Synth Workstation das Beste und Allumfassendste, was uns seit langer Zeit in puncto virtuelle Instrumente über den Weg gelaufen ist. Für all diejenigen, die sich für Synthesizer interessieren oder in Sachen Dance- und Pop-Produktionen unterwegs sind, besteht unbedingte Antest-Pflicht.

 

Erschienen in Ausgabe 06/2017