Hollywood Sounds

Urs Heckmanns Berliner Firma u-he ist bekannt für eine gewisse Nähe zu Filmmusikern. Manifestiert hat sich dies in der Vergangenheit in Form einer Hans Zimmer Special Edition des Zebra-Synths. Im Sommer 2019 ist Filmmusikkomponist Johnny Klimek auf der Suche nach speziellen Sounds und Synth-Features an u-he herangetreten. Herausgekommen ist das Metaphorium Soundset für Hive 2.1 inklusive Synth-Update und Filmmusik zu „Matrix Resurrections“. Autor Heiner Kruse hat nachgeforscht und Urs Heckmann einige spannende Fragen gestellt.

Von Heiner Kruse

Metaphorium
Professional audio 03/2022

Ich erinnere mich vor etwa sechs Jahren einen Test über Hive geschrieben zu haben. Im Vergleich zu Diva und Zebra sollte Hive anfangs ein eher ein einfacher Synth sein, der schnell und ohne versteckte Optionen sowie mit Übersichtlichkeit und seinem Sequencer für Spaß sorgen sollte. Per Arp oder Sequencer rhythmisch bewegte Klänge waren schon immer eine Stärke von Hive. Das hat sich nun mit den Updates noch mehr verfestigt.

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Die Arbeit mit Modularsystemen ist den Berlinern nicht fremd, das hat der Release des Moduls CVilization bewiesen, des ersten Hardware-Produkts von u-he (Test in professional audio 02/21). Hive 2 lieferte zusätzliche von Modularsystemen inspirierte Features. Zum Beispiel neue Modulationsquellen, wie Function Generators im West Coast Style mit vielfältigen Modi (z.B. Lag Generator und Clock Divider) und neue S&H und Quantize Options in der Matrix. Oder den Shape Sequencer als Set komplexer, grafisch editierbarer Envelopes sowie die optionale Scope Ansicht. In vier gleichzeitig darstellbaren XY Pads können automatisch Parameter zugewiesen werden. Drag & Drop Modulationszuweisungen erscheinen seit Hive 2 in der Modulationsmatrix. Hinzu kamen veränderte, farbigere Looks sowie neue und .nks-kompatible Presets. Im mittigen Sechseck wechselt dabei die Darstellung, was Edits erleichtert.

Das Update 2.1 brachte Performance-Verbesserungen, zusätzlich Apple M1 und Big Sur Kompatibilität, Unterstützung fürs Oddsound MTS-ESP System (vorgestellt in professional audio 11/21) und neue Optionen: z.B. neue Filter-Modi (Comb, Dissonant, Reverb, Sideband), Filter Stereo Offset-Parameter, Pan-Parameter für Delay und Reverb, Noise als Modulation Source, Modulation der Shape Sequencer Position und Shape Sequencer „Halt“, ein Scale Quantizer Menü mit 15 vordefinierten Scales sowie 100 neue Presets.

Hive 2.1.1 mit neuer, farbig gestalteter Effektsektion.

Hive 2.1.1 mit neuer, farbig gestalteter Effektsektion.

Hive beherrscht mikrotonale Stimmungen, kann aber zusätzlich darauf eingestellt werden, dass nur bestimmte Tasten des Keyboards zugelassen sind. Diese de-facto Skalenquantisierung hilft, bei ausufernden Arp- und Sequencerexperimenten und sogar bei Pitch-Modulationen im Oszillator innerhalb der geplanten Stimmung zu bleiben. Dabei wird im letztgenannten Beispiel sogar die Microtuning-Einstellung berücksichtigt. So ist Hive längst nicht mehr nur ein einfacher Synth, sondern in der Lage, harmonisch sich selbst generierende und komplexe, sich verändernde Sounds zu erzeugen.

Wavetable-Synthese ist die Spezialität des u-he Zebra-Synth und sehr in Mode. Auch Hive beherrscht seit Version 2 diese Klangerzeugung, und zwar auf besondere Weise. Es gibt verschiedene Algorithmen, um zwischen sogenannten Frames zu interpolieren. Wavetables in Hive können Sets sein, die aus einer oder mehreren Wellenformen bestehen. Hive kann Wavetables aus Standard-Audiofiles herauslesen und interpretiert dabei 2048 Samples als Frames (mit bis zu max. 256 Frames = 524.288 Samples). Darüber hinaus kann man Wavetables aus Scripts erstellen, diese sind eine Liste von Operationen, die man selbst definieren kann. Die Scripts erzeugen Wavetables schrittweise, indem sie die Operationen interpretieren. Gescriptete Wavetables können Frames aus anderen Wavetables layern oder zwischen ihnen morphen. Für die Operation sind Blending Modes verfügbar, die die Berliner mit Photoshop Layer Blending-Modes vergleichen. Im Ergebnis sind – ergänzend zu den Sequencing-Optionen – komplexe, ungewöhnliche Soundbewegungen im Klangerzergungsbereich möglich.

Das Metaphorium Soundset macht von den neuen Features insbesondere in Form rhythmisch komplexer Sounds Gebrauch. Es besteht aus über 220 Sounds und kann leicht per Drag & Drop auf die Oberfläche installiert werden. Es integriert sich bestens in den Browser. Weitere Schwerpunkte sind Bässe, melodische Loops, atonale und tonale Pads, Soundscapes und FX der Kategorie Ambient und Drama. Das Metaphorium Soundset nutzt dabei die vier gleichzeitig verfügbaren XY Pads besonders intensiv, so dass die Sounds gut live performt und in etwas Neues verwandelt werden können. Bei aller hinzugekommenen Komplexität hat man für Hive dessen Wurzeln als spontan und mit Spaß bedienbares Performance-Tool nicht nur nicht vergessen, sondern auf beeindruckende Weise kultiviert.

Hive 2.1.1 mit vierfacher XY Pad Ansicht. Mit vier XY Pads kann der Sound intuitiv verändert werden. Unten ist der Shape Sequencer zu sehen.

Hive 2.1.1 mit vierfacher XY Pad Ansicht. Mit vier XY Pads kann der Sound intuitiv verändert werden. Unten ist der Shape Sequencer zu sehen.

Urs Heckmann hat uns netterweise ein paar Fragen persönlich beantwortet…

Hi Urs, danke, dass du uns Frage und Antwort stehst. Könnt ihr ein Beispiel für eine Szene nennen, bei der ein bestimmter Sound des Soundsets in Matrix Resurrections zum Einsatz kam oder besonders gut passte?

Ich habe den Film leider noch nicht gesehen. Im Soundtrack z.B. auf Apple Music oder sogar Youtube kann man aber immer wieder hören, wie prominent die Sounds dort eingesetzt wurden. Die Szenen hat man dann natürlich nicht vor Augen.

Welche Arten von Sounds habt ihr gesucht, die es im bisherigen Portfolio nicht gab?

Johnny [Klimek, australischer Filmkomponist von u.a. Matrix Resurrections, Anm. d Red.] hatte uns einen ganzen Stapel Beispielsounds gegeben, die so in Hive (und unseren anderen Plug-ins) tatsächlich nicht in der Factorybank mit drin waren. Vom ganz klassischen Base-Drop, der in keinem Film fehlen darf, bis hin zu glasigem oder metallischem Obertongezwitscher aller Couleur. Hinzu kam, dass wir in unseren Factory-Bänken versuchen, Effekthascherei zu vermeiden. Aber im “Cinematic”-Genre, um ein furchtbar modisches Wort zu bemühen, wird natürlich extrem mit Hall, Delay und deren Bearbeitung hantiert. Man könnte sagen, auf einer Skala, die so etwas wie eine „ästhetische Diffusion“ abbildet – ein besserer Ausdruck fällt mir gerade nicht ein – wäre vielleicht “Klarheit” das Extrem auf der einen Seite und “Atmosphäre” das auf der anderen. In unseren Factory-Bänken bemühen wir uns sehr stark um Klarheit und das, wo wir vielleicht unterrepräsentiert sind, ist Atmosphäre. Daher sind nun viele Sounds in Metaphorium sehr “atmosphärisch”.

Wenn ein Oszillator im Wavetable-Mode ist, sind mittig Edits möglich, Wavetables und deren Veränderung werden in Echtzeit dargestellt.

Wenn ein Oszillator im Wavetable-Mode ist, sind mittig Edits möglich, Wavetables und deren Veränderung werden in Echtzeit dargestellt.

Warum habt ihr euch für Hive entschieden und welche wichtigste Änderung von Hive 2.1 entstand vor allem, damit ihr dieses Soundset hinbekommt, das ihr euch vorgestellt habt?

Johnny hatte Zebra vorgeschlagen, weil er schon immer damit gearbeitet hat. Hive kannte er gar nicht so. Da das Zebra mit nunmehr Version 2.9 und nach über 15 Jahren so langsam auf eine Rundumerneuerung zusteuert, wollten wir jetzt kein aufwändig produziertes Soundset machen, das dann vielleicht kurz – sprich: wenige Jahre – vor einem fundamentalen Upgrade herauskommt. Außerdem wollten wir zeigen, was in Hive steckt. Dem hängt ja oft noch das Vorurteil an, etwas zu simplizistisch gestrickt zu sein, weil es in der allerersten Version vielleicht von den Möglichkeiten her als „zu anämisch“ betrachtet wurde. Das hatte sich aber ja schon zu Version 2.0 deutlich geändert. Für die Sounds, die Johnny so vorschwebten, brauchten wir vor allem in Hive die Möglichkeit, dissonante und metallische Klänge zu erzeugen. Klassisch hätte man das mit FM gemacht oder Audioratemodulation im Allgemeinen. Das sind aber Eigenschaften, die wir schon als Stärken in anderen Synths haben, und die dem Konzept von Hive entgegenstehen. Ich wollte vermeiden, dass Oszillatoren erst komplex interagieren müssen und zusätzliche Features benötigen, die nicht von allen Sounds gebraucht werden. Kurz: Ich wollte vermeiden, dass es die UI-Knöpfe braucht, die meist nicht angefasst würden. Als Gegenentwurf zur klassischen FM/Crossmodulation usw. haben wir dann die Filtersektionen mit zwei Kammfiltern, einem Reverb- und einem Sidebandfilter erweitert. Diese machen ordentlich schräge und atmosphärische Sounds, ohne dass es dafür eine Interaktion mehrerer Module braucht. Das Ganze ließ sich umsetzen, indem bei diesen Modi das Filter-Display durch drei kleine Schieberegler ersetzt wird. Das lief also quasi ohne große Änderungen des Layouts oder Nutzungskonzepts.

Habt ihr schon öfter, z.B. mit Hans Zimmer, eure Synths redesignt, um Wünsche eines Komponisten zu erfüllen? Gibt es hierfür eventuell ein kleines Beispiel, welches andere Synth-Feature so entstand?

Hans hat immer Ideen und Änderungswünsche, die er uns schickt. Aber da ist er nicht der einzige, wenngleich wohl derjenige mit dem größten Ruf. Letztendlich ist Diva entstanden, weil Hans mir seinen Lieblings-Minimoog geschickt hat, damit ich diesen auseinander nehme und verstehe, warum der so gut klingt. Er wollte dessen Sound in Zebra haben. Als ich dann sagte, so richtig kriegt man das nur hin, wenn man die Architektur des Synthies auch entsprechend aufbaut, z.B. für die Art und Weise, wie analoge Hüllkurven funktionieren, hat er uns gebeten, doch zumindest die Filter in Zebra einzubauen. So entstand Zebra HZ, welches er zunächst für sich selbst hatte und das dann später in unser Soundset “The Dark Zebra” mit eingebunden wurde.

Johnny Klimek war ja länger in Berlin unterwegs und hat auch mit Reinhold Heil gearbeitet. Wie entstand die Zusammenarbeit? Habt ihr, also Du, Viktor oder Howard, zwischendurch auch Musikelemente mitkomponiert? Ist es richtig, wenn IMDB schreibt, dass auch Tom Tykwer bei Matrix Resurrections mitkomponiert hat?

Das ist eine ganz andere Geschichte, als man wohl vermuten würde. Ich bin ganz einfach mit Johnnys Zwillingsschwester, Jayney Klimek, verheiratet, die ja die Sängerin in Johnnys ursprünglicher Band The Other Ones war und die später dann z.B. mit Tony Banks, Tangerine Dream und Terranova gearbeitet hat. Johnny und Reinhold gehören praktisch zur Familie. Tom kenne ich auch, aber der ist halt absolut immer busy, man trifft sich meist nur auf Premieren oder Geburtstagen. Reinhold und Johnny kennen sich durch Johnnys und Jayneys Bruder Alf Klimek, dem Sänger von The Other Ones, der zuvor mit Reinhold bei der Spliff Radio Show dabei war. Alf arbeitet heute für uns, und über Alf habe ich vor 16 Jahren Howard Scarr kennengelernt. Das war jetzt ungefähr die knappste Form, in der ich das erzählen konnte [lacht]. Tom folgt schon seit jeher dem Prinzip, die Filmmusik vor dem Dreh zu schreiben. Er hat ein unfassbares Gespür dafür, wie Musik und Bild harmonieren, und aus Erzählungen weiß ich, dass er eine Gabe hat, zu jeder Szene die richtige Stelle aus dem musikalischen Material vor seinem „geistigen Ohr“ abzurufen. Im Team mit Johnny ist Tom wohl vor allem für Themes bzw. Melodielinien und Harmonie verantwortlich, während Johnny wohl alles macht, was Rhythmus, Dissonanz und Komplexität hat. Aber so genau kann ich das gar nicht sagen, und es sind ja auch noch viele andere Leute involviert. Ich glaube, dass viele Leute vermuten, dass Tom eher eine Produzentenrolle oder die eines Artdirectors hat in der Filmmusik, ich denke aber das stimmt so nicht. Zwar macht Johnny sicher die meiste Basisarbeit, Projekte anlegen, Layouts machen und so. Aber dann wird hin- und hergeschoben, bearbeitet, drübergelegt und umstrukturiert. Und das unentwegt, von vor dem Dreh bis parallel zum Schnitt. Tom ist auch immer mit dabei, wenn die Orchester aufgenommen werden. Wir hatten mit der Komposition selber nichts zu tun. Manche Sounds sind zwar irgendwie generativ oder spielen kleine Sequenzen ab, aber ich würde diese nicht als Komposition im modernen Sinne bezeichnen.

Gibt es weitere Sounds des Metaphorium Soundsets, von denen ihr wisst, dass sie irgendwo zum Einsatz gekommen sind?

Gibt es weitere Sounds des Metaphorium Soundsets, von denen ihr wisst, dass sie irgendwo zum Einsatz gekommen sind?

Ja, und das war sehr lustig. Howard und ich waren bei Johnny im Studio, um die Sounds und Hive in seinen Workflow zu integrieren. Da war gerade die dritte Staffel von Babylon Berlin in der Postpro, und schwupp waren ein paar Bässe und Percussions aus Metaphorium direkt in den Szenen drin, an denen Johnny während dieser Zeit gearbeitet hat. Soweit ich weiß benutzt Johnny die Sounds ständig, also wohl auch in den aktuellen Serienproduktionen, die ja auf der IMDB gelistet sind.

Versucht ihr eure Softwareprodukte mit euren Hardwareprodukten gemeinsam arbeiten zu lassen, z.B. Tools wie Hive und Zebra auch mit CVilization zu verbinden?

Ja, das haben wir vor, aber dazu müssen wir erst noch mehr Erfahrung mit Hardware sammeln. Glücklicherweise konnten wir uns vor kurzem um einen Mitarbeiter erweitern, der ausschließlich Hardware macht. Es ist also eher eine Frage des „Wann“ als die Frage danach, ob wir mal einen Hive/Zebra-Oszillator für Eurorack machen, der dann die Wavetablepresets von dem einen oder dem anderen liest. Aktuell hängt unsere Planung von der globalen Teileknappheit ab. Sobald sich das entspannt, hoffe ich mal, dass es ARM Prozessoren mit dem Helium-Instructionset (DSP-Funktionen ähnlich NEON bei iPhone/iPad/M1) gibt, die uns erlauben, so richtig loszulegen. In der Zwischenzeit arbeiten wir an vornehmlich analogen Eurorack-Modulen und solchen, wo die Teile keine Engpässe darstellen.

Vielen Dank für die interessanten Einblicke und fachlichen Details!

Dieser Artikel ist erschienen in Professional audio Ausgabe 03/2022