Der Himmel voller Geigen
Wer davon träumt seine selbst komponierte Musik einmal mit richtig gespielten Streichern zu hören, muss kein Orchester engagieren. Dafür gibt es reichhaltige und authentisch klingende Libraries, die im Vergleich dazu spottbillig sind.
Von Georg Berger
Eines wollen wir gleich klarstellen: Einen Testsieger gibt es nicht. Dafür sind die getesteten Libraries zu schwer unter einen Hut zu bringen. Jede besitzt ganz eigene Qualitäten. Insgesamt acht einzelne Libraries in einer Preisspanne von 99 bis knapp 900 Euro gehen in den umfangreichen Test: Fünf Produkte aus dem Hause Vienna Symphonic Library (Horizon Series Opus I, Vienna Instruments Solo Strings, Chamber Strings, sowie Orchestral Strings I und II), zwei der Firma East West (The Ultimate String Collection, Symphonic Orchestra Volume I), sowie Peter Siedlaczeks String Collection von Best Service. Eine Gemeinsamkeit gibt es dennoch: Im Vordergrund stehen Orchester-Streicher. Einige enthalten zusätzlich Solo-Instrumente und runden so den gesamten Klangkörper verfügbarer Streicherklänge ab. Die vier Vienna Instruments-Libraries, die Teil des Symphonic Cube und auch einzeln erhältlich sind, haben wir aus diesem Grund als eine Einheit betrachtet. Opus I stellt einen Sonderfall dar, da die Streicher dort Teil einer kompletten Orchester-Library sind, die wiederum eine Auswahl aus der Pro Edition von Vienna Symphonic Library (VSL) entnommen wurden. In der Tabelle (siehe Seite 48/49) finden Sie dazu auch nur den Teil, der die Streicherklänge betrifft. Denn Opus I besteht aus insgesamt vier DVDs, die sämtliche Instrumentengruppen eines Orchesters abdecken.
Drei Kriterien werden von uns untersucht: der Gesamtklang, die Bedienung und die Ausstattung.
Schon ein oberflächlicher Vergleich der Datenmengen fördert beachtliche Unterschiede zu Tage. Mit 590 Megabyte benötigt die Ultimate String Collection den geringsten Platz auf der Festplatte. Den opulenten Gegenpol stellen die vier Vienna Instruments dar, die zusammen auf 127,4 Gigabyte kommen. Aber auch die Solo Strings, die 55,7 Gigabyte groß sind, könnten so manche Festplatte gehörig ins Schwitzen bringen. Speicherplatzschonender sind die anderen Produkte, die mit durchschnittlich 20 bis 25 Gigabyte ungleich praktikabler sind.
Die Ultimate String Collection (USC) und Opus I, enthalten Klänge im Gigasampler-Format – letztere enthält auch das Logic EXS24 mkII-Format – und setzen den Besitz der entsprechenden Abspielsoftware voraus. Alle anderen Kandidaten enthalten ein eigenes Plug-in. Peter Siedlaczeks String Collection (PSSC) und East West Symphonic Orchestra Volume I (EWSO) sind mit Player-Versionen der Native Instruments Software-Sampler Kontakt beziehungsweise Kompakt ausgestattet. Die Vienna Instruments enthalten sogar ein eigens programmiertes Plug-in. Besonderes Augenmerk gilt Opus I: Auf der Homepage von VSL steht ein so genanntes Performance Tool zum Download bereit, welches zwischen eigentlichem Plug-in und Sequenzer zwischengeschaltet wird und zusätzliche reichhaltige Eingriffsmöglichkeiten in die Klangprogramme gestattet. Eine Weiterentwicklung dieses Tools findet sich schließlich im Vienna Instruments Plug-in.
Die Anzahl der gesampleten Orchester-Instrumente hält sich bei allen Kandidaten in etwa die Waage. Im Durchschnitt kommen 14 Violinen, zehn Bratschen, acht Celli und sechs Kontrabässe zum Einsatz.
Die Reichhaltigkeit der Spielvarianten, sowie die Ansteuerung wird in gut gemachten Handbüchern erläutert. Ausreißer sind die Ultimate Strings, die lediglich mit einem spärlichen Help-File auf der CD aufwartet, sowie die Vienna Instruments, die ein zwar detailliertes Handbuch zum Plug-in beilegt, ansonsten aber keine Dokumentation zur Organisation der Klänge liefert.
Die VSL-Homepage hält jedoch die dazu gehörigen Dokumentationen als pdf-Files zum Download bereit. Mit knapp 120 Seiten Text für die Solo-Strings und ähnlichem Seitenumfang für die anderen Libraries dieser Serie geraten sie äußerst detailliert. Die Gefahr droht, den Überblick zu verlieren.
Alle Libraries sind dem Modulations-Rad, der Anschlagsdynamik, sowie – Ausnahme Ultimate String – dem Key-Switch verpflichtet. Damit lassen sich je nach geladenem Klang blitzschnell unterschiedlichste Spieltechniken ansteuern. Bemerkenswert ist die Siedlaczek-Library, die außer den oben genannten Spielhilfen standardmäßig an derselben Stelle 12 Key-Switches bereit hält, sowie vier MIDI-Controller zur Beeinflussung der geladenen Klänge. Diese Vereinheitlichung ist ein deutliches Plus in Sachen Bedienung. Die Vienna Instruments trumpfen sogar noch auf. Das eigens programmierte Plug-in stellt insgesamt neun frei zuweisbare MIDI-Controller für Klangeingriffe bereit. Das Haupt-Feature ist eine so genannte Matrix, die zweidimensional (horizontal und vertikal) Zellen enthält, in die Grundklänge abgelegt werden. Maximal 144 Stück finden Platz in einer Matrix, die sich über Modulations-Rad oder Key-Switch ansteuern lassen und dadurch fantastische Variationsmöglichkeiten des Spiels ermöglichen.
Die so programmierten Instrumenten-Patches können in einem nächsten Schritt mit anderen zu so genannten Presets kombiniert werden, was den Variantenreichtum der Spielweisen potenziert.
Bei dieser Menge an Einstellmöglichkeiten ist schon einiges an Geduld und auch Einarbeitungszeit erforderlich, um das Potenzial dieser Library ausschöpfen zu können. Das Performance-Tool für Opus I schlägt in eine ähnliche Kerbe. Sinn und Zweck dieser Programmiermöglichkeiten ist, einen authentischen Klang gerade im Spielbetrieb herzustellen. Wer kennt nicht abrupt beendete, künstlich zerhackte Wiederholungen eines Tons oder unnatürlich ausklingende Sounds, die sofort verraten, dass hier der Sampler erklingt? VSL hat mit der Programmierung dieser Software vermeintlich statischen Samples einen gehörigen Schub in Richtung Lebendigkeit gegeben. Aber auch die anderen Libraries machen eine gute Figur. Die Siedlaczek Collection und das Symphonic Orchestra warten ebenfalls mit eigens erstellten Auskling-Samples auf, die nahtlos beim Loslassen der Taste ans Ende des Klanges gesetzt und nahtlos in der richtigen Lautstärke abgespielt werden. Bei diesen beiden Produkten geschieht das automatisch. Die eingeschränktesten Bedienmöglichkeiten zeigen die Ultimate Strings. Auffälligerweise ist die Organisation der Key-Switches beim Symphonic Orchestra etwas unstrukturiert. Der Schwerpunkt bei dieser Library liegt mehr auf dem Klang als auf einer tief greifenden Bedienung. Drei Mikrofone wurden dafür in einem Konzertsaal in unterschiedlichen Positionen zum Samplen aufgestellt: Direktabnahme, etwas entfernt am Bühnenrand und am Ende des Saals. Jeder Klang enthält so drei Samples mit unterschiedlichen Rauminformationen, die simultan und vor allem für die Saal-Signale zeitkorrigiert erklingen. Über den Lautstärke-Regler an den einzelnen Samples lässt sich so ein variantenreicher räumlicher Mix erstellen. Technisch bedingt lassen sich nur die direkt aufgenommenen Samples im Panorama verändern. Die String Collection enthält ebenfalls Klänge, die drei unterschiedliche Raumqualitäten aufweisen. Doch im direkten Vergleich siegt hier das Symphonic Orchestra von East West, da die Räumlichkeit hier im Vordergrund steht. Raum-Klänge der Siedlaczek-Library müssen dafür gesondert in den Player geladen werden.
Besondere Spiel-Merkmale zeigen noch Opus I und Ultimate Strings: Klänge mit Bogenauf- und -abstrich sind auf der Tastatur in zwei separate Bereiche geteilt. Der Tonraum für den Aufstrich findet sich so in den unteren Oktaven und der Abstrich in den oberen eines Keyboards.
Allgemein ist allen Libraries zu eigen, dass die Klänge je nach Instrumentengattung unterschiedliche Tastaturbereiche auf dem Keyboard einnehmen. Eine entsprechende Planung der einzusetzenden Klänge und vor allem die Kenntnis der Tastaturbereiche ist erforderlich. Wer beispielsweise zuvor mit synthetischen Streicherklängen Spuren eingespielt hat und nun diese Sequenzen mit richtigen Streichern versehen will, läuft Gefahr, dass diese Sequenzen entweder Key-Switches aktivieren, oder Noten überhaupt nicht erklingen. Die Aufteilung einer solchen Sequenz in mehrere Einzelspuren bleibt nicht aus, soll ein Streicherarrangement alle Noten spielen. Der Aspekt, in den Sequenzen entsprechende Spielvariationen einzufügen, ist da noch nicht berücksichtigt. In einem zweiten Schritt müssten die entsprechenden MIDI-Controller in die Sequenzen einprogrammiert werden. Mit dem Laden und Abspielen der Klänge ist es eben nicht getan. Die Ultimate String Collection liefert zwar am ehesten noch diese Möglichkeit. Alle anderen fordern vom Nutzer ein höheres Maß an Aufmerksamkeit.
Zwischenfazit: Die komplexesten Programmier- und Bedienmöglichkeiten bieten die VSL-Produkte. Dies ist auch nötig um die riesige Menge an Klängen bändigen zu können. Dies schreckt diejenigen ab, die Klänge sofort spielen wollen. Bedienungs-Sieger ist die String Collection von Peter Siedlaczek durch ihr standardisiertes und dadurch intuitives Layout aus Key-Switches und MIDI-Controllern. Die Ultimate Strings sind zwar noch einfacher zu bedienen, können aber nicht mit demselben Umfang an Spielvariationen aufwarten.
Ein klanglicher Vergleich der vorgestellten Libraries erübrigt sich. Denn genauso wie jedes Orchester seinen ganz eigenen Klang besitzt, verhält es sich auch mit den Testkandidaten. Folgende Eigenheiten waren im Test festzustellen:
Die Streicher des Symphonic Orchestra schmeichelten sich als erstes ins Ohr. Alleine durch die Rauminformationen gefiel der Grundklang im allerersten Vergleich am Besten. Die Bassanteile klingen satt und voll, ohne zu dröhnen. Im Diskantbereich empfanden wir den Klang jedoch ein wenig schwach. Eher passiv und verhalten klingen die Streicher insgesamt. Sie besitzen etwas lyrisch-zartes in ihrem Klang. Dies wird durch die Raum-Samples zusätzlich verstärkt. Wer druckvolle und aggressive Klänge bevorzugt, die prominent in den Vordergrund rücken, der wird mit der Symphonic Orchestra-Library nicht glücklich. Freunde zarterer Klänge werden sie jedoch lieben. Vor allem die Solo-Instrumente, namentlich die Violine, konnte uns in Ausdruck und Expressivität überzeugen.
Bemerkenswert: Einige Auskling-Samples enthielten ganz am Schluss ein vernehmbares Stühle rücken der Instrumentalisten. Das ist vielleicht ein nettes Feature bezogen auf die Authentizität. Aber gerade bei Solo-Passagen könnte das zu Irritationen führen.
Die Ultimate String Collection stellt dazu das Gegenteil dar. Sie wartet zwar mit zwei unterschiedlichen Orchesterklängen auf – amerikanisch und europäisch – die jeweils noch unterschiedliche Rauminformationen enthalten, was ein Plus an Klangfarben bedeutet. Dennoch zeigen sich bei den Klängen einige Schwächen. Eindeutiger Schwerpunkt liegt auf der amerikanischen Streichersektion. Sie besitzt fast keinen Raumanteil. Der Gesamtklang ist im Vergleich zum Symphonic Orchestra dadurch ungleich aggressiver. Er wirkt aber auch ein wenig mittig und komprimiert. Die Bässe neigen ein wenig zur Schwammigkeit. Der Gesamtklang kann weiterhin einen gewissen Rauschanteil nicht verbergen. Dies wird durch Bogengeräusche zusätzlich verstärkt, wenn entsprechende Klänge in einer hohen Lage gespielt werden. Darüber hinaus sind bei einigen Klängen auch die Loop-Punkte hörbar. Die europäische Sektion weist dieselben Charakteristika auf. Einziger Unterschied: Mehr Rauminformationen und eine deutliche Schwebung in den Klängen.
Die Siedlaczek-Library besitzt den trockensten Klang. Allgemein ist ein ausgewogener und universell einsetzbarer Grundklang feststellbar. Er hat von allem etwas. Wenn es ordentlich in forte zur Sache gehen soll, dann vermögen die Klänge sich auch durchzusetzen. Und auch in zarten Solo-Passagen klingen die Instrumente nicht unterbelichtet. Einzig die Samples mit Rauminformationen sind nicht so prominent wie bei der Symphonic Orchestra-Library.
Der Gesamtklang der Opus I-Streicher ist da mit ein wenig mehr Rauminformation versehen, die in allen Klängen vorherrschen aber nicht störend wirken. Der Klang erhält im Vergleich zur Siedlaczek-Collection mehr Körper und Charakter. Je nach geladenem Klang klingen sie mitunter sehr direkt und manchmal auch rau. Allgemein besticht der Gesamtklang durch eine bemerkbare Betonung des Mittenbereiches, was den Instrumenten diesen Charakter verleiht.
Die vier Vienna Instruments Libraries sind im Vergleich dazu ungleich besser. Der Gesamtklang ist wunderbar ausgewogen. Mehr noch: er ist klanglich am vielseitigsten. Der Bassbereich klingt satt und durchsetzungsfähig, kann aber auch zart und schüchtern klingen. Der Diskant erklingt sowohl silbrig fein, als auch schneidend scharf. Alle Klänge besitzen, wie auch schon in Opus I, eine geringe Rauminformation. Zusammen mit der Fülle an Spielvarianten kommen diese Libraries verdammt nah ans Original heran.
Alle Librarys haben ihre Daseinsberechtigung. Es ist schwer, eine entsprechende Gewichtung vorzunehmen. Klanglich haben die Vienna Instruments deutlich die Nase vorne. Das kann allerdings nur mit entsprechend hohem Speicherplatzbedarf und einer fundierten Einarbeitungszeit realisiert werden, mal ganz abgesehen vom Preis. Wer primär der klassischen Musik verpflichtet ist und authentisch klingende Streicherarrangements in den Mittelpunkt seiner Musik stellt, der kommt nicht um die Vienna Instruments herum.
Diejenigen, die hin und wieder einmal eine kurze, authentisch klingende Streicherpassage benötigen, kommen mit den Ultimate Strings aufs Beste zurecht. Als Klanglieferant für Arrangements, die im Hintergrund eines Stückes spielen sollen, sind sie ausreichend.
Diejenigen, die jetzt zwischen diesen beiden Extremen aus Einsatzmöglichkeiten, Speicherplatz und Preis schweben, sollten sich Gedanken hinsichtlich ihrer Präferenzen machen. Das East West Symphonic Orchestra hat schon einen eindeutigen Grundklang, der nicht jedem gefallen könnte. Mit fast 900 Euro Verkaufspreis und den vorhandenen Steuermöglichkeiten könnten sie zusätzliche Skepsis hervorrufen. Einen guten Mittelweg aus Spielmöglichkeiten und Klang bieten die Peter Siedlaczek String Collection und Opus I. Beide Libraries bieten eine breite Palette an Spielmöglichkeiten und Klangvarianten. Diese Produkte eignen sich für Nutzer, die Streicherklänge öfters einsetzen wollen. Vorteil bei Siedlaczek: Sie besitzt zusätzlich noch Solo-Instrumente, die in entsprechenden Passagen sehr gute Dienste leisten. Die Opus I Streicher eignen sich mehr für Hintergrundarrangements, haben aber durchaus auch das Zeug, in Solo-Passagen zu glänzen, nicht zuletzt durch das Performance Tool.
Fazit
Jede der hier vorgestellten Libraries hat seinen Zweck und seine Daseinsberechtigung. Einen Sieger zu küren wäre deshalb ungerecht. Der Klang ist wie immer eine Frage des Geschmacks. Die aufgezeigten Ergebnisse sollten als Richtschnur für künftige Kaufentscheidungen
aufschlussreich genug sein.
Erschienen in Ausgabe 06/2006
Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 345 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut
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