Klangfarbenwahl
Abgesehen von der Gehäusefarbe gleichen sich Sie äußerlich wie eineiige Zwillinge. Klangfarblich unterscheiden sich Violet Designs Amethyst Standard und Vintage hörbar.
Von Harald Wittig
Der lettische Mikrofonentwickler Juris Zarins und seine unter den Marken Violet Design und JZ erhältlichen Schöpfungen sind inzwischen alte Bekannte bei den Stammlesern von Professional audio: Das erste Kennenlernen mit den eigenwillig gewandeten Schallwandlern hatten wir vor rund vier Jahren, als wir das Topmodell von Violet Design, das sündhaft teure Röhrenmikrofon Flamingo und das Transistormikrofon Amethyst Vintage in Ausgabe 12/2007 testeten. Beide Mikrofone sorgten für eine faustdicke Überraschung und konnten vor allem klanglich voll überzeugen. Dabei erwies sich vor allem Juris Zarins „blauer Amethyst“ in jeder Hinsicht als Spitzenmikrofon, denn für einen ausgewogenen, tendenziell warmen Klang bei praktischer Rauschfreiheit ist das auch in puncto Verarbeitung sehr gute Großmembran-Kondensatormikrofon mit knapp 1.400 Euro auch einigermaßen erschwinglich – sofern als unmittelbare Mitbewerber nur die Spitzenmikrofone der namhaften Hersteller in Frage kommen. Eine Menge Geld ist es gleichwohl und es kam nicht ganz überraschend, als uns vor einigen Wochen ein Leser anschrieb und nachfragte, was den von dem Amethyst Standard, dem violetten Geschwister des Vintage zu halten sei.
Findig wie Professional audio-Leser anscheinend sind, hatte er nämlich herausgefunden, dass das Standard für rund 1.100 Euro über den Ladentisch geht. Daher seine berechtigte Frage: „Ist das Vintage die 300 Euro Aufpreis wert?“ Nun, wir wollten es ganz genau wissen und haben deswegen beschlossen, die Zwillinge einmal gemeinsam zum Test antreten zu lassen, um herauszufinden, welches Mikrofon unterm Strich der bessere Kauf ist. Grundsätzlich gehört das Amethyst, unabhängig von der jeweiligen Ausführung, zu den Unversalmikrofonen von Violet Design und soll sich folgerichtig für alle Anwendungen eignen, wo detailreiche und transparente Aufnahmen von Stimmen und Instrumenten verlangt sind und stets beste Ergebnisse liefern. Allerdings macht der Hersteller in der kleinen Broschüre deutlich, dass sich die Mikrofone klanglich sehr wohl unterscheiden sollen: Während das Standard einen präsenteren Klang – Violet Design spricht von einem „modernen Sound“ – habe, stünde das Vintage in der Tradition der großen Kondensatormikrofone aus Analog-Zeiten und habe den klassisch-warmen Klang der Großmembranen der 1950er und 1960er Jahre. Damit sind schon mal gewisse Erwartungen an das Klangbild der Mikrofone geweckt. Wie sich die beiden letztlich unterscheiden, klären wir im Rahmen des Praxis-/Aufnahmetests. Bekanntlich ist – die Diskussionen über elektronische Bauteile hin oder her – die Kapsel das hauptsächlich klangentscheidende Element eines Mikrofons. Genau hier, bei der Kapselkonstruktion unterscheiden die beiden Amethyste: Im Standard ist die Einmembran-Kapsel VD26 eingebaut mit dem typischen Ein-Zoll-Membrandurchmesser, während im Vintage die aufwändigere Doppelmembran-Kapsel VD67, die übrigens auch im Flamingo Standard für den guten Ton sorgt, verbaut ist. Da es sich beidesmal um Mikrofone mit fester Nierencharakteristik handelt, handelt es sich bei der der zweiten Membran der VD67-Kapsel um eine nicht polarisierte Passivmembran, welche die polarisierte Membran rückseitig abschirmt. Diese Bauweise findet sich, um auch mal einen prominenten Mitbewerber einzubeziehen beispielsweise auch im Valvet X von Brauner Microphones. Zumindest laut Violet Design sei die unterschiedliche Bauweise als Einmembran- beziehungsweise Doppelmembran-Kapsel der Hauptgrund für die unterschiedliche Klangcharakteristik der bedien Nierenmikrofone. Ansonsten soll es in Bezug auf die Einzelbauteile keine Unterschiede geben: Die Gegenelektrode ist immer aus solidem Messing gefertigt, die Membranen bestehen aus einer sechs Mikron dünnen Folie aus Mylar, die mit einer speziellen Goldmischung mittels Sputterdeposition beschichtet ist. Mylar, eine Polyethylen-enterephalat-Polyesterfolie, zeichnet sich durch hohe Zugfestigkeit, chemische, mechanische und thermische Stabilität sowie Transparenz aus. Es handelt sich um die leichteste Folie bei höchster Transparenz, die herstellbar ist und eignet sich deswegen – Stichwort Impulsverhalten – vorzüglich für Mikrofonmembranen. Die Kapseln beider Amethyste sitzen in ihren eigenen, von der Verstärkereinheit abgesetzten, Gehäusen, was durchaus typisch für die Mikrofone von Juris Zarins ist.
Theoretisch ist diese Bauweise nur von Vorteil, da sich damit zum einen klangverfälschende (Gehäuse-)Reflexionen reduzieren lassen, zum anderen ist es damit möglich, die Kapsel schocksicher zu lagern. Letzteres ist in der Tat bei den beiden Testkandidaten, aber auch beim Flamingo oder dem ausgezeichneten Röhremikrofon The Garnet (Test in Ausgabe 1/2011) der Fall: Die Kapseln schweben gewissermaßen innerhalb des Gehäuses, sie werden lediglich von vier elastischen Halterungen sanft in Position gehalten. Damit ist eine separate elastische Halterung, selbstverständlich abhängig von den Vibrationen in der jeweiligen Aufnahmeumgebung, nicht zwingend vonnöten. Violet Design bietet gleichwohl die elastische Halterung AS an, in die das Gehäuse der Amethysts einfach eingespannt wird. Anders als noch vor vier Jahren beim ersten Amethyst Vintage-Test gehört die Halterung inzwischen bei den meisten Händlern zum Lieferumfang. Bevor wir uns der Verstärkereinheit annehmen, noch ein Wort zu dem Kapselgehäuse beziehungsweise seiner auffallend ausgefallenen Form: Angeblich bedinge die Rechteckform einen klareren Klang speziell bei Nahmikrofonierung, wofür sich beide Mikrofone nicht zuletzt wegen des nur gering ausgeprägten Nahheitseffekts besonders gut eigenen sollen. Zumindest das lässt sich in der Aufnahmepraxis überprüfen – Hören wir mal. Die Mikrofonverstärker sind identisch in Class A-Schaltung aufgebaut, die Elektronik ist ihrerseits schocksicher im purpurnen beziehungsweise graublauen Metall-Gehäuse, das einen sehr soliden Eindruck macht, gelagert. Trotz einer gewissen Retro-Orientierung bei Violet Design vertraut der Hersteller auf die modernere elektronische Symmetrierung im Unterschied zur heute nur noch vereinzelt anzutreffenden Trafo-Symmetrierung. Die eisenlose Übertragung bringt neben einer geringeren Eigenklanglichkeit – Übertrager können, das bestätigen auch namhafte Mikrofon-Hersteller, den Klang eines Mikrofons mitunter sehr stark beeinflussen –, vor allem auch Vorteile bei der Baugröße. Die Amethysts sind zwar keine Miniatur-Großmembranmikrofone wie beispielsweise eine Microtech Gefell M930, aber zählen doch zu den kompakten Schallwandlern, die sich fast in der Hand verstecken lassen. Am Boden des Verstärkergehäuses finden sich die XLR-Anschlussbuchse mit vergoldeten Kontakten sowie ein Stativgewinde für die Direktmontage am Stativ. Beide Buchsen sind hartverchromt und bombenfest mit dem Gehäuse verschraubt. Auch bei längerer intensiver Beanspruchung dürften sich diese kaum lockern oder verkratzen. Nach Gebrauch bettet der Anwender die Mikrofone in den mit Samt ausgeschlagenen, ebenfalls einen langzeitstabilen Eindruck hinterlassenden Holzetuis in der Violet Design Schmuckfarbe zur Ruhe. Mit einem Geräuschpegelabstand von 81,8 (Standard) und 82,3 (Vintage) gehören die Testkandidaten zur Gattung der sehr rauscharmen Schallwandler. Praktisch sind es rauschfreie Mikrofone, da beide zudem vergleichsweise empfindlich, sprich laut sind. In dieser Disziplin liegt allerdings das günstigere Amethyst Standard vorne: Das Professional audio-Messlabor ermittelt eine Empfindlichkeit von 23 mV/Pa. Das Amethyst Vintage bringt es demgegenüber auf „nur“ 18,1 mV/Pa, wenngleich auch diese geringere Empfindlichkeit, gepaart mit dem sehr guten Geräuschpegelabstand im Verbund mit einem Preamp der Leisetreter-Fraktion auch bei leisen Signalquellen sehr rauscharme Aufnahmen gewährleistet. Die Frequenzgänge der beiden schmucken Letten unterscheiden sich in markanten Bereichen: So weist die Freifeld-Messkurve des Standard eine leichte Bassanhebung zwischen 40 und 70 Hertz auf, bei 700 Hertz kommt es zu einer Senke von etwa drei Dezibel, am Prägnantesten ist schließlich ein Anstieg oberhalb sieben Kilohertz, der im Gipfel, bei zehn Kilohertz immerhin sechs Dezibel beträgt.
Der Frequenzgang des Vintage ist dagegen insgesamt sehr ausgewogen, die Großmembran-typische Höhenanhebung fällt mit etwas über drei Dezibel bei zehn Kilohertz sehr moderat aus. Kommen wir zur alles entscheidenden Frage nach den klanglichen Unterschieden der Zwillinge. Damit Sie selbst einen ersten Klangeindruck bekommen können, haben wir mit beiden Mikrofonen ein kurzes Stückchen für Gitarre solo eingespielt, die Aufnahmen gibt es in unserer Soundbank. Um klangfarbliche Unterschiede besser hörbar zu machen, gibt es das Stück immer in zwei Versionen: Einmal auf einer Stahlsaiten-, ein zweites Mal auf einer Nylonsaiten-Gitarre eingespielt. Aufgenommen wurde auf Sonar 8, die bewährte Referenz-Kombination Lake People Mic-Amp F355/Mytek Digital ADDA 8×192 besorgte Vorverstärkung und Digitalisierung der Mikrofonsignale.
Soweit es den Nahheitseffekt betrifft, hat der Hersteller nicht zu viel versprochen, denn dieser ist bei beiden Mikrofonen nur sehr gering ausgeprägt weswegen sich Standard und Vintage für Nah-Mikrofonierungen von Instrumenten, wenn eine Bassandickung gerade nicht verlangt ist, empfehlen. Die messtechnisch feststellbare leichte Bassanhebung des Standrad wirkt sich in der Praxis kaum aus, tatsächlich sind die beiden Aufnahmen, Soundfile 1 und Soundfile 3, mit der sehr bassstarken Stahlsaitengitarre kaum zu unterscheiden. Beide Mikrofone lösen sehr gut auf, wobei das Standard eine Spur schärfer zu zeichnen scheint. Dieser Eindruck trügt aber, denn diese Illusion ist dem im Vergleich zum Vintage präsenteren Klang des Mikrofons geschuldet. Dabei klingt das günstigere Amethyst keineswegs scharf, sondern immer, gerade im direkten Vergleich zu den namenlosen Billigheimern aus Fernost edel. Violet Design selbst empfiehlt das Standard für akustische Gitarren mit Stahlsaiten, was oberflächlich gesehen in Ordnung geht. Wir wollen aber genauer differenzieren: Wer bei Gitarren dieses Typs einen leicht silbrigeren Klang bevorzugt, wird beim Standard fündig. Auch als Gesangs- und Sprechermikrofon, vorzugsweise für männliche Stimmen ist es empfehlenswert, denn der präsentere, auch luftigere Klang gibt dem Timbre mehr Kontur.
Aber das sind letztlich nur Faustformeln, denn Mikrofone sind letztlich eben doch Musikinstrumente, genauer gesagt wie diese zu bewerten. So stimmen wir Violet Design grundsätzlich zu, soweit es um die Gitarreneignung des Vintage geht: Die weicher klingende Nylongitarre verträgt sich hervorragend mit dem samtener und wärmer klingenden Mikrofon. Was nicht bedeutet, dass das Blaugraue nicht auch mit der Stahlseitengitarre harmonieren würde. Wer sich auch für solche Instrumente – dabei denken wir in erster Linie an Solo-Aufnahmen – einen eher warmen, an der Konzertgitarre und ihrer Ästhetik orientierten Klang bevorzugt, wird das Vintage lieben.
Interessanterweise wirken die Aufnahmen mit dem teureren Amethyst weniger kompakt als die mit dem Standard erstellten. Das liegt vermutlich an einer gegenüber dem purpurnen Geschwister anderen Richtcharakteristik, die eher einer breiten als einer klassischen Niere entspricht. Dafür spricht, dass wir im Rahmen der Testaufnahmen mehr Nebengeräusche einfangen. Wer daher aus guten Gründen eine klassische Niere bevorzugt, ist, unabhängig vom unterschiedlichen Timbre, mit dem Standard besser bedient. Steht ein ruhiger, sehr gut Klingender Raum zur Verfügung, würden wir unterm Strich aber dem Vintage den Zuschlag geben. Ein guter Kauf sind beide Amethyst-Ausführungen aber in jedem Fall.
Fazit
Sowohl das Amethyst Standard als auch das Vintage sind Spitzenmikrofone, die sich für eine Vielzahl von Anwendungen, vorzugsweise für Sprach-/Gesangs-Aufnahmen und Aufnahmen von Saiteninstrumenten empfehlen. Das Standard klingt präsenter und etwas silbriger, während das Vintage im Timbre deutlich wärmer und runder tönt. Letztlich entscheiden der persönliche Geschmack und die Klangästhetik des Anwenders über die Wahl, denn ein guter Kauf sind beide Schallwandler.
Erschienen in Ausgabe 02/2012
Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 1100 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut
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