Profis über die Bandmaschinen-Praxis

Zum Thema Bandmaschinen, den positiven wie negativen Eigenschaften und der allgemeinen Retro-Verklärung können am ehesten jene etwas sagen, die seit Jahrzehnten damit arbeiten – oder auch bewusst darauf verzichten. Wir lassen einige Tontechnik- und Produzentenstimmen mit ihren Erfahrungen zu Wort kommen. Mit dabei sind Bob Ludwig, Neil Dorfsman, Sven „Samson“ Geiger, Krischan Kunkel und Gerd Krüger.

Von Sylvie Frei und Nicolay Ketterer.
(Fotos: N. Ketterer, SPL, N. Dorfsman, C. Heitker, S. Frei, K. Kunkel, A. Scholz)

 

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Produzent Krischan Kunkel

Krischan Kunkel ist ein Berliner Toningenieur, Produzent und Dozent für Tontechnik an der Akademie Deutsche POP. 1996 hat er seine Ausbildung in Minneapolis in den USA abgeschlossen. Im Laufe seiner Karriere arbeitete er mit Szenegrößen wie Kip Blackshire von Eminem, Jazz-Trompeter Joo Kraus, Prince und seiner Band NPG (The New Power Generation) und Wir sind Helden-Produzent Patrik Majer.

Vorteile des analogen Workflows
„Ich mag die Arbeit mit der Bandmaschine, weil man eben gerade keine 200 Takes aufnehmen
und nicht den perfekten Take aussuchen oder aus unterschiedlichen Takes zusammenschneiden kann. Stattdessen muss ich aus dem Bauch heraus entscheiden, ob der letzte Take gut war, oder ob wir ihn noch einmal überspielen – da gibt es dann kein Zurück mehr. Beim Zurückspulen des Tonbands entstehen außerdem kleine Zwangspausen, sodass die Künstler bei der Aufnahme auch einmal kurz durchatmen können. Bei einer digitalen Produktion geht es nicht so entspannt zu, da die Musiker oft ohne Pausen durch bis zu 20 Takes gejagt werden. Außerdem mussten wir uns bei der Zwei-Zoll-Bandmaschine darauf einstellen, dass die Spurenanzahl auf 24 Spuren begrenzt ist.“

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Klangliche Tiefe
„Auch insgesamt bin ich der Meinung, dass man sich bei einer analogen Produktion mehr auf die Musik konzentrieren kann, da man nicht durch den Bildschirm oder Software-Grafiken abgelenkt wird – dadurch stellt sich eine sehr intime und effektive Arbeitsweise ein. Außerdem habe ich den Eindruck, dass die Spuren besser
miteinander verschmelzen und sich leichter mischen lassen. So erhalte ich schnell klangliche Tiefe, die ich mit der DAW nicht so einfach hinbekomme.“

Fetter Bass durch halbe Geschwindigkeit
„Wir nutzten ein RMX 900-Band und eine Bandgeschwindigkeit von 15 IPS, also halbe Geschwindigkeit. Dadurch klingen die Aufnahmen im Bassbereich fetter.“

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Die richtige Spurbelegung
„Zunächst ist es wichtig, die Spuren in sinnvoller Reihenfolge zu belegen. Da es zwischen ihnen systembedingt zu Übersprechen kommt, habe ich mir dieses Verhalten für die Spurenreihenfolge zu Nutzen gemacht. Wenn ich zum Beispiel die erste Backing-Vocals-Spur, die Lead-Vocals-Spur und die zweite Backing-Vocals-Spur nebeneinander lege, können die Stimmen miteinander verschmelzen. Außerdem achten wir darauf, dass wichtige Spuren nicht als Randspuren angelegt, sondern die Spuren von hoher nach niedriger Priorität von innen nach außen angeordnet werden. Die Randspuren werden schneller abgenutzt, schleifen mehr am Gehäuse, verlieren dadurch an hohen Frequenzen und haben insgesamt etwas schlechtere Klangqualität. Zwar ist das bei guten Maschinen kein gravierendes Problem, aber wir halten uns dennoch daran, die wichtigsten Spuren auf die mittleren Band-Segmente zu legen.“

 

abb2_webMastering-Engineer Bob Ludwig

(Foto: SPL)
Bob Ludwig gilt als „Mastering-Legende“ und hat laut eigener Aussage seit Ende der 1960er Jahre zwischen 8.000 und 9.000 Alben gemastert – darunter alles, was sich in gängigen Plattensammlungen findet: Bruce Springsteen, Dire Straits, Mark Knopfler, Lou Reed, Jack White, Led Zeppelin, Rush, Jimi Hendrix, Queen, Metallica, Megadeath, The Band, AC/DC, Guns’N’Roses, David Bowie, Radiohead, Beck oder Nirvana. Beim Thema Remastering fällt nicht zuletzt die Frage nach der passenden Bandmaschinen-Technik ins Gewicht.

Die passende Technik
„Ich habe fünf unterschiedliche Wiedergabe-Varianten, die ich zum Abspielen eines analogen Masters wählen kann, darunter eine Studer A-820-Maschine, eine modifizierte ATR-102 mit symmetriertem oder unsymmetriertem Ausgang sowie die diskrete Class-A Solid-State-Technik von Aria und die Röhren-Elektronik von Esoteric Audio Research. Bei der Neuauflage von Elton Johns ‚Goodbye Yellow Brick Road‘ zum 40-jährigen Jubiläum des Albums, an der ich kürzlich arbeitete, ging es darum, den passenden ¼-Zoll-Wiedergabekopf für das Masterband zu wählen. Es gibt zwei Standards: den amerikanischen, der einen 2 mm Spalt zwischen linkem und rechtem Kanal hat, und den europäischen Kopf mit 0,75 mm Spalt – letzterer wurde ursprünglich für die Aufnahme verwendet. Mit dem falschen Wiedergabekopf hätte eine zusätzliche Bass-Anhebung stattgefunden.“

Digital oder analog?
„Digitale und analoge Aufnahmen sind in den Händen großartiger Tontechniker und Produzenten schlicht musikalische Werkzeuge. Was besser funktioniert, muss man im Einzelfall beurteilen. Was die meisten Tontechniker angeht: Auf analoges Band abzumischen kann den Mix angenehm ‚zusammenkleben‘, auf eine Art, die Digitaltechnik bisher nicht leisten kann. Bei Tontechnikern wie Bob Clearmountain oder Chris Lord-Alge, bei denen aus dem Mischpult alles genau so herauskommt, wie sie es am Ende hören möchten, bewirkt die leichte Sättigung und die Frequenzanhebungen der Tonköpfe – die vielzitierte Wärme von analogem Band – einen Verlust an Klarheit, das Ergebnis klingt etwas matschig. Bei Projekten mit begrenztem Budget, die digital aufgenommen und gemischt wurden, wurde ich manchmal gebeten, die Abmischungen zunächst auf Analogband zu überspielen und von dort zu mastern. Ich würde schätzen, dass es in 30 Prozent der Fälle wunderbar klingt, bei 70 Prozent hingegen nicht. Wenn es allerdings funktioniert, ist das Ergebnis erstaunlich, und ich frage mich immer noch, warum ein einfacher Transfer derart viel Musikalität hervorbringen kann. Die Wahl der Bandmaschine, der Wiedergabe-Elektronik, des Band-Herstellers und die Art, wie die Maschine eingemessen wird, geben mir reichlich Möglichkeiten, festzulegen, wie Transienten und Sättigung am Ende klingen.“

 

abb3_webProduzent Neil Dorfsman

(Foto: Neil Dorfsman)

Neil Dorfsman hat als Produzent und/oder Tontechniker etwa mit Bruce Springsteen, Bob Dylan, den Dire Straits, Paul McCartney oder Sting zusammengearbeitet. Mitte der 1980er galt Dorfsman als Digital-Pionier: Mit dem Dire-Straits-Album „Brothers In Arms“ hatte er eines der ersten digital aufgenommenen Alben produziert, kurze Zeit später folgte Stings „Nothing Like The Sun“.

Schattenseiten der Magnetband-Technik
„Ich erinnere mich, dass wir ein Grand Piano für den Song Private Investigations für das Love Over Gold-Album der Dire Straits aufgenommen haben und viel Zeit auf der Suche nach dem passenden Sound verwendeten: Wir ließen drei Steinway-Flügel ins [New Yorker] Power Station-Studio bringen: Wir wollten keinen perfekten Klang, sondern einen großen, klassischen Piano-Sound, der aber gleichzeitig über mehr Biss im Mittenbereich und Attack verfügen sollte. Ich werde das nie vergessen: Nach ein paar Tagen Experimentierens schauten Mark Knopfler und ich uns an und wussten, dass wir etwas Besonderes gefunden hatten. Wir nahmen es auf und baten Alan Clark, den Pianisten, in den Regieraum zu kommen, um das Playback zu hören. Beim Abspielen sah mich Mark mit entgleisten Gesichtszügen an, als wolle er fragen: “Was ist passiert?“ Ich spulte zurück und spielte es nochmal ab, und jedes Mal wurde der Sound etwas dunkler, mit weniger „Luftigkeit“, das war deutlicher wahrnehmbar. Wir haben die Techniker gerufen, um sicherzustellen, dass die Einmessung und der Andruck der Bandmaschine stimmten. Es war eine der ISO-Loop 3-M M-79-Maschinen, mit hohem Band-Andruck. Vielleicht war das ein Teil des Problems, dass der hohe Andruck den Höhenanteil beeinflusst hat. Auf jeden Fall störte es Mark sehr, dass mit jedem Abspielen unser hart erarbeiteter Klang buchstäblich verschwand. Ich denke, das war der Moment, als er sich geistig entschieden hatte, das nächste Album, Brothers In Arms, komplett digital aufzunehmen.“

„Ehrlich gesagt, vermisse ich Band nicht. Ich kenne viele großartige Engineers, die Band verwenden und tolle Sounds damit hinbekommen – die lieben die Klangveränderung, die Band mit einbringt. Mir geht es da anders. Ich mag es auch nicht, mir um die Einmessung Gedanken machen zu müssen, darüber, dass Bänder in anderen Studios wieder unterschiedlich klingen können, auf anderen Maschinen. Ich kann mich sogar noch an Sessions aus den 1980ern erinnern, bei denen man einen Master Take aufgenommen hatte, und am nächsten Tag würde das Ergebnis komplett anders klingen. Das hat mich wahnsinnig gemacht … “

Analoge Band-Synchronisation
„[Der 14minütige Song] Telegraph Road war eine Bestie – dafür wurden viele Takes zusammengeschnitten. Wir haben reichlich Overdubs aufgenommen und zwei M-79-Maschinen synchronisiert. Ich meine, mich zu erinnern, dass wir damals das Q-Lock-System verwendet haben, seinerzeit das Beste. Trotzdem dauerte es nach dem Anlaufen des Bandes zwischen vier und sechs Sekunden, bis die Synchronisation stand. Bei Punch-ins musste ich immer entsprechenden Vorlauf einkalkulieren – das war auf Dauer für die Musiker und mich ziemlich anstrengend. Letztlich mischten wir schlicht einen Stereo-Mix auf ein zweites Mehrspur-Band ab, um dazu weitere Overdubs aufzunehmen.“

Echtes Tape-Flanging
„Wir führten das Tape-Flanging beim Song „It Never Rains“ sozusagen ‚old School‘ aus. Der Stereo-Mix wird auf zwei 1/4-Zoll-Studer-Bandmaschinen verteilt, die auf „Record/Repro“ geschaltet waren. Eine der beiden Maschinen wird kontinuierlich mit dem Vari-Speed-Regler in der Geschwindigkeit verändert, bis man den passenden Sweet Spot von intensiven Kammfiltereffekten erhält. Eine Qual, da die Maschinen etwas langsam auf meinen Vari-Speed-Controller reagieren. Das Ergebnis richtig hinzukriegen, ist fast reine Glückssache. Wenn es klappte, versuchst Du, die ‚Flanger-Welle zu reiten‘, als Echtzeit-Performance. Wenn‘s nicht geklappt hat, stoppe ich die Mehrspur-Maschine, spule ein gutes Stück zurück und fange bei der Sektion wieder von vorne an. Das Ergebnis wurde auf eine ½-Zoll Studer A-80-Mastermaschine aufgenommen. Anschließend verbrachte ich reichlich Zeit damit, die verschiedenen Durchläufe zu einem durchgängigen Ganzen zusammen zu schneiden, bei die Übergänge nicht mehr auffallen. Ich bin immer noch nicht überzeugt, ob wir so den klassischen ‚Itchy-koo Park‘-Sound [Small-Faces-Song von 1967 mit typischem Tape-Flanger-Effekt] hinbekommen haben, den wir uns vorgestellt hatten. Meiner Meinung nach kommen die kleinen vertikalen MXR Rack-Mount Flanger-Effekte dem echten Tape-Flanging am nächsten. Die klingen fantastisch und wurden zur Geheimwaffe in der Power Station.“

Pre-EQ’ing
„Im Power Station-Studio wurde mir das Pre-EQ’ing, das Anheben der Höhen, bevor das Signal aufgezeichnet wird, beigebracht. So hebe ich nicht nach der Aufnahme die Höhen und damit auch Bandrauschen mit an.“

Vorteile der Digitaltechnik
„Während viele Produzenten mittlerweile zurück zur analogen Produktion gegangen sind, bin ich der Digitaltechnik treu geblieben, aus zwei Gründen: Erstens wegen des Budgets – Bandmaterial ist teuer, die meisten Bands haben dafür kein Geld – nicht mal, wenn man die gleiche Rolle für jeden Song wiederverwendet und die Tape-Aufnahmen gleich auf Pro Tools überspielt. Der andere Grund ist – und das mag seltsam klingen – dass ich die teils zufällige Art nicht gerade schätze, wie Tape den Klang einer Aufnahme verändert. Mir gefiel nie, dass ich etwas aufnehmen würde und das Ergebnis über die Bandmaschine anders klang als das, was ich in die Maschine reingeschickt hatte. Ob das eine kleine Anhebung im Bassbereich war, oder die leichte Kompression der Transienten – mir ging es immer so, dass ich eigentlich sehr hart an einem bestimmten Sound gearbeitet hatte, und davon blieb etwas auf der Strecke, als es aufgenommen war. Ich ertappte mich immer wieder bei dem Gedanken, wie ich die verlorenen Aspekte wiederbeleben könnte.“

Analoger Klang = „Fokussierung“?
„Ich erinnere mich, dass sich Sting – im Gegensatz zu Mark Knopfler – mit dem digitalen Klang überhaupt nicht wohl fühlte. Als wir Nothing Like The Sun aufgenommen haben, meinte er, er könne zu viel Information hören. Er sagte: ‘Ich will gar nicht so viel Detailreichtum hören. Das hat gar nicht die Relevanz.‘ Er hat danach immer noch digital aufgenommen, aber anfangs war es ein unangenehmer Prozess für ihn.“

 

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Audio-Engineer Sven Samson Geiger

Ob hinter dem FOH-Pult oder in seinem Mastering-Reich, den Neckarklang-Studios – Audio-Experte Sven „Samson“ Geiger fühlt sich überall zu Hause. Seine Live- und Studio-Referenzliste beinhaltet unter anderem die Scorpions, Motörhead, BAP oder Camouflage, um nur die bekanntesten zu nennen. Mittlerweile beschäftigt sich Geiger auch mit Mastering für DVD-Produktionen, Vinyl-Mastering und – auf Kundenwunsch – komplett analoger Produktion in Studio.

Die junge Generation
„Ich bin ein absoluter Analogfreak. Ich pflege auch die analogen Aufnahme-Geräte. Ich habe quasi alles von Stereo ¼-Zoll bis ½-Zoll bis zur 2-Zoll-24-Spur-Bandmaschine. Meine Maschinen sind alle im Top-Zustand. Wer mag, kann bei mir komplett analog produzieren. Aber viele junge Musiker wissen überhaupt nicht mehr, was das bedeutet: Ich habe mal mit einem jungen Sänger Aufnahmen mit der Bandmaschine gemacht und wir wollten eine Stelle ausbessern. Ich sagte ihm: ‚Du singst da jetzt mit und ich droppe an der Stelle rein und danach wieder raus.‘ Da fragte er mich: ‚Und die alte Aufnahme ist dann weg?‘ – ‚Ja, wenn das neu aufgenommen wird, dann wird die vorherige Stelle überspielt und ist gelöscht. Und wenn ich dabei jetzt Mist baue und an der falschen Stelle rein und wieder rausgehe, dann musst Du das ganze nochmal komplett neu einsingen.‘“ (lacht)

Finanzielle Aspekte
„Reine Analogproduktionen sind nicht billig. Ein Mehrspur-Band kostet gut und gerne 300 Euro. Dann hat man 24 Spuren – 22, wenn man Spur 1 und 24 für Click und Timecode nutzt. Bei 76 cm/s Bandgeschwindigkeit entspricht das rund 15 Minuten. Je nach Songlänge und Spurenzahl passen ein bis zwei Titel auf ein Band. Mehrere Versionen vom gleichen Titel aufzunehmen, ist Luxus. Im Gegensatz zu hunderten von Takes, welche die DAW am Computer erlaubt, muss hier eine Entscheidung getroffen werden.“

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Gutes Bandmaterial
„Man kommt heute noch immer recht gut an Bänder. Da gibt es beispielsweise RMG und die US-amerikanische Firma ATR Mastertape, die vermutlich die Maschinerie von Ampex übernommen haben. Die machen qualitativ gute Tapes, sind aber noch einmal ein ganzes Stück teurer als die RMG-Bänder.“

Digital oder analog?
„Ich betrachte den Computer als eine Art digitale Bandmaschine. Mich interessiert eigentlich nur, ob das rauskommt, was ich reinschicke. Je nachdem, was man erreichen möchte, ist es aber auch ein Problem, wenn genau das rauskommt, was reingeht. Eine analoge Bandmaschine hat schließlich definitiv einen Eigenklang. Der verändert sich, je nachdem, wie stark ich die Bandmaschine mit meinen Signalen ansteuere. Bei einem guten Digitalsystem kommt der Klang praktisch so raus, wie man ihn einspeist.“

Gute Plug-ins, schlechte Plug-ins
„Wenn ich den Sound einer 24-Spur-Bandmaschine haben möchte, dann nehme ich mit einer 24-Spur-Bandmaschine auf. Es gibt aber auch das eine oder andere Plug-in, das eine Bandmaschine gut simuliert. Mein Lieblings-Plug-in ist definitiv Satin von U-He, die haben sich bei der Entwicklung wirklich mit der Technik einer Bandmaschine auseinandergesetzt und das richtig gut hinbekommen. Viele andere Software-Hersteller erzeugen Eigenschaften, die der Hersteller einer Bandmaschine so niemals haben wollte. Hätte damals jemand bei Studer eine Bandmaschine gebaut, die klingt wie so manches Plug-in, der wäre entlassen worden.“ (lacht)

Das Beste aus zwei Welten
„Die Leute schreien heute nach ‚Analog‘, dabei wissen sie oft gar nicht mehr, was das bedeutet. Dazu sollte man klar definieren, was ein analoger und was ein digitaler Produktionsprozess ist, und dann das Beste aus den zwei Welten nutzen.“

 

abb4_webProduzent Gerd Krüger

(Foto: C. Heitker)
Wir Sind Helden, Element Of Crime, Die Ärzte, Clueso, Seeed, Einstürzende Neubauten – die Referenzenliste des Tritonus-Studio in Berlin spricht Bände. Chef Gerd Krüger, Produzent und Tontechniker, hat vor Jahren die analoge Aufnahmetechnik wieder für sich entdeckt.

Effekte bauen mit der Bandmaschine
„Bei der Seeed-Produktion zum ersten Album [New Dubby Conquerors, 2001] haben wir die alten Bandmaschinen rausgeholt und ich habe mich daran erfreut, was man mit den richtigen Musikern damit machen kann. Tontechniker und Musiker standen zu viert am Mischpult – wie in einer Band. Jeder bekam eine Aufgabe. Zusätzlich zu zwei verwendeten Bandechos haben wir auch Echoschleifen mit einer ¼-Zoll- Mastermaschine gebaut: Wir haben mit einen Effektweg das Signal auf das ¼-Zoll-Tape gesendet und in Verbindung mit Vari-Speed und dem Wiedereinmischen und erneutem Effektieren des Repro-Signals Echos und Feedbacks gebaut. Spannend ist dabei der Punkt der Schleifenverstärkung, an dem sich das Feedback – sozusagen ‚kontrolliert unkontrolliert‘ – hochschaukelt.“

Klangfärbung durch die Elektronik
„Die Studer A-827 24-Spur-Maschine benutze ich teilweise auch ohne Band, zum Einpatchen, um das Signal über die Verstärkersektion zu schicken. Früher hat man über die Inputs abgehört, schon die Elektronik war für das Klangerlebnis ‚Band‘ mit verantwortlich. Nach dem Aufnehmen kam das Signal noch mit einer leichten Bassanhebung, leicht geglätteter Höhenwiedergabe und weicher geformten Transienten zurück. Teilweise hat man mit dem System gearbeitet und mehr Höhen reingeschickt.“

Mehrspur-Maschine als „Overdub-Arrangementfenster“
„Mit Joy Delane habe ich Vocals aufgenommen, alle Overdubs direkt auf Band. Man hat das Playback auf zwei Spuren, und über 20 Spuren, um sich für verschiedene Takes auszutoben. Nachher, wenn man das Ergebnis auf‘s Pro Tools überspielt, kann man auswählen. Den Sound hat man von Grund auf, das ist die halbe Miete und man hat Spaß daran, anstatt später nochmal für den Klang extra auf eine Halbzoll-Maschine zu überspielen. Durch das Wiederentdecken der Analogtechnik habe ich gemerkt, wie schwach digital eigentlich klang.“

Punch-ins = „weiche“ Übergänge
„Manchmal geht man bei Punch-ins beim Gesang in eine Note ‚rein‘ – beim Rechner versucht man mühsam, die Übergänge zu überblenden, bei der Bandmaschine läuft das intuitiv. Durch die Vormagnetisierung und die leichte Ungenauigkeit beim Einstieg auf Band ‚verlief‘ das Ergebnis automatisch ineinander. Früher hat man das gemacht, wenn ein Sänger ganz nach oben musste und den Ton nicht lange genug halten konnte – dann ist man zwei Mal hintereinander ‚rein‘ zum Verlängern, im Ergebnis hat man das nicht gehört. Mitunter war das analoge Arbeiten schneller als die Welt im Rechner – vorausgesetzt, der Künstler trifft den Ton einigermaßen.“

rschienen in der Ausgabe 09/2016