Saitenzauber

Die Gitarre gehört zu den wichtigsten Instrumenten bei Musikproduktionen. Akustische und elektrische Gitarren gut aufzunehmen, ist nicht schwierig, wenn Sie einige Grundregeln beachten. In unserem Workshop zeigen wir Ihnen, wie Sie die richtige Mikrofon-Positionierung finden, geben Tipps zum Einsatz von Effekten und vergleichen zwei virtuelle Gitarren-Amps. Mit diesen Ratschlägen bringen Sie Ihren Lieblings-Sound optimal auf die Festplatte.

Von Harald Wittig

Für gute Gitarrenaufnahmen brauchen Sie keinen Geräte-Fuhrpark. Oft ist es die Beschränkung auf das Wesentliche, die Gitarrenaufnahmen optimal klingen lässt. Klar, zunächst sollten Sie gute Instrumente haben. Falls Sie mit ihren Gitarren nicht zufrieden sind: Warum nicht mal die tolle Gitarre eines Freundes für eine Aufnahme ausleihen?

Ansonsten brauchen Sie nicht viel: Das beste Mikrofon, das Sie sich leisten wollen, ein Audio-Interface mit soliden Mikrofon-Vorverstärkern und Instrumenten-Eingängen für ihre Stromgitarre und schließlich Ihren Rechner einschließlich Host-Sequenzer. Sollte Ihre Ausrüstung noch unvollständig sein, holen Sie sich doch einfach Anregungen in der Bestenliste (siehe Seite 106). Unser Mikrofontest in Ausgabe 5/2006 beschreibt Kleinmembran-Mikrofone verschiedener Preisklassen und hilft Ihnen bei der Auswahl, da wir auch erklären, für welchen Einsatzzweck sich die Teile eignen. Übrigens: In einer der nächsten Ausgaben bringen wir einen noch umfangreicheren Mikrofontest und testen dann auch Großmembran-Mikrofone auf Kapsel und Niere.

Mit diesem Zubehör sind Sie für den Workshop gerüstet. Wenn Sie die wichtigen Zwischenschritte beachten, machen Sie mit Leichtigkeit richtig gute Gitarren-Aufnahmen. Versprochen. Das Tollste: Beim Mischen müssen Sie nicht mehr viel nachbessern, da das Basismaterial dank unserer Ratschläge schon in guter Qualität vorliegt.

Dieser Workshop von Professional audio Magazin besteht aus vier Abschnitten: Zunächst befassen wir uns mit der Aufnahme von akustischen Gitarren, danach widmen wir uns der E-Gitarre. Neben einem sehr übersichtlichen Knigge für Studiogitarristen geht es hier schwerpunktmäßig um das Aufnehmen von E-Gitarren mit Amp Plug-ins. Da die wenigsten Home-Recorder ihren Röhrenstack mit voller Endstufensättigung zu Hause aufnehmen können – immerhin möchten Sie mit Ihrem Partner und mit den Nachbarn auch künftig gedeihlich zusammenleben – konzentrieren wir uns auf die Softwarelösung; wir vergleichen unter Praxisgesichtspunkten das Guitar Rig 2 von Native Instruments mit Amplitube 2 von IK Multimedia. Damit Sie den größten Nutzen aus diesem Test ziehen können, geben wir Ihnen zum Schluss Einstellempfehlungen. So verwirklichen Sie nach dieser Lektüre ohne Mühe einige klassische Gitarrensounds.

Akustische Gitarren sind sensible Instrumente und aus mehreren Gründen schwieriger aufzunehmen als E-Gitarren. Es sind leise Instrumente, weswegen Nebengeräusche besonders deutlich hervortreten. Menschen, die mit der Gitarre nicht vertraut sind, stören sich häufig an Griff- und Anschlagsgeräuschen. Diese lassen sich auch mit hoch entwickelter Spieltechnik und durch Verwendung geschliffener Saiten lediglich unterdrücken, nicht gänzlich vermeiden. Im scheinbaren Widerspruch zur geringen Lautstärke der Gitarre steht ihr Dynamikumfang: Ein beherzt angeschlagener Ton kann bei guter Grundaussteuerung ohne weiteres in den roten Bereich der Aussteuerungsanzeige Ihres Interfaces oder Ihres Sequenzers springen. Deswegen erfordert das Einstellen der Lautstärke besondere Sorgfalt. Schließlich haben akustische Gitarren unendlich viele Klangfarben, die Gitarristen naturgemäß beim Einspielen nutzen. Daher kommt es bei der Aufnahme entscheidend darauf an, die Mikrofone richtig zu positionieren.

Ihre Gitarre sollte immer bestmöglich gestimmt sein. Banal? Keineswegs. Es gibt tatsächlich professionelle Produktionen, bei denen dies nicht beachtet wurde. Und Ihre Musik kann noch so schön sein, sie können noch so virtuos gespielt haben: Eine schlechte Intonation lenkt auch Zuhörer ohne musikalische Ausbildung von der Musik ab. Daher sollten Sie immer peinlichst genau stimmen: Die Güte des Basismaterials entscheidet über die Qualität der Produktion. Und bisher gibt es noch keine Tools, mit denen ein in sich unsauber gestimmtes polyfones Instrument nachträglich korrigiert werden könnte.

Es ist eine Frage des persönlichen Geschmacks, ob Sie für die Aufnahmesitzung neue Saiten aufziehen oder lieber die bereits eingespielten behalten wollen. Wechseln Sie die Saiten während der Produktion nicht aus: Das Instrument wird anders klingen, was homogene Aufnahmen nahezu unmöglich macht. Die Saiten tragen insoweit zum Gesamteindruck einer Aufnahme bei – das darf nicht unterschätzt werden.

Sie haben ihr Instrument – und sich selbst – bestens in Laune gebracht und sind bereit, aufzunehmen. Die Stimme ihrer Gitarre wird von einem oder mehreren Mikrofonen eingefangen, deswegen ist es besonders wichtig, dass Sie diese sorgfältig positionieren. Sie haben sicher schon von erfahrenen Produzenten und Gitarristen gehört, dass es dabei immer auf den konkreten Einzelfall ankommt. Das ist richtig: Jedes bessere Instrument hat seinen eigenen Klang, was auch für Ihren Aufnahmeraum gilt. Und schließlich kann auch das Mikrofon klingen. Diese drei Faktoren müssen Sie immer berücksichtigen. Davon ausgehend machen Sie sich auf die Suche nach dem Sweet Spot, also der besten Position des Mikrofons zum Instrument. Wenn Sie sich an unsere Checkliste halten, ist das ganz einfach:

Schritt eins: Lernen Sie Ihr Instrument kennen. Als erfahrener Spieler fragen Sie sich jetzt, was denn das soll. Dennoch ist dieser Tipp ernst gemeint. Gitarristen kennen den Klang des Instruments, wenn Sie damit noch nie Aufnahmen gemacht haben, nicht aus der Hörerperspektive. Denn: Sie sitzen hinter ihrer Gitarre, der eigentliche Klang wird aber über die Resonanzdecke vom Spieler weg abgestrahlt. Den hört das Mikrofon. Deswegen raten wir unbedingt zu mehreren Probe-Takes. Zum einen bekommen Sie einen Eindruck des Klangs, zum anderen lernen Sie Ihre Gitarre neu kennen. Damit diese Begegnung auch wirklich aussagekräftig wird, sollten Sie eine gute, erste Mikrofonposition wählen; von der ausgehend können Sie dann experimentieren und variieren.

Schritt zwei: Die Allroundposition als Basis. Es muss Ihnen bewusst sein, dass die Resonanzdecke maßgeblich den Klang einer akustischen Gitarre bestimmt. Boden und Zargen können aus noch so teuren Edelhölzern sein: Deren Anteil am Klang des Instruments beträgt allenfalls 20 Prozent (großzügig geschätzt). Nun gibt es eine Faustregel, wonach das Mikrofon bei einer Monoaufnahme auf einen Punkt zwischen Griffbrett und Schallloch auszurichten ist. Diese Regel verkennt, dass an dieser Stelle die Decke am wenigsten schwingt, was bauliche Gründe hat. Besser ist es, eine Position zwischen Schalloch und Steg zu wählen, weil in diesem Bereich die Decke am intensivsten schwingt und die Abstrahlung – zumindest bei guten Gitarren – hier zentriert ist.

Um eine gute Allround-Position zu finden, spreizen Sie, ausgehend von der normalen Spielhaltung, Daumen und kleinen Finger Ihrer rechten Hand. Der Daumen liegt auf der tiefen E-Saite, der kleine Finger zeigt zum Steg. Strecken Sie Zeige-, Mittel- und Ringfinger, so dass diese etwa im 90°-Winkel zum Daumen stehen. Die nach unten zeigenden Fingerspitzen markieren jetzt die Punkte, auf die Sie das Mikrofon richten (siehe Grafik auf Seite 83). Wenn Sie einen etwas kühleren Ton möchten, nehmen Sie die Markierung des Ringfingers, soll der Ton wärmer und dunkler sein, wählen Sie die beiden anderen Punkte in der Nähe zum Schallloch. Nun haben Sie eine Grundposition, auf die Sie die Kapsel des Mikrofons ausrichten. Als nächstes müssen Sie einen guten Abstand zwischen Mikrofon und Decke wählen.

Schritt drei: Nah ist nie verkehrt. Unabhängig vom Aufnahmeraum empfiehlt es sich, einen Bereich von 20 bis 30 Zentimetern anzupeilen. Durch dieses close miking erhalten Sie ein direktes, vielleicht etwas nacktes Signal, das sich aber im Unterschied zu einem diffusen Klang mit viel Rauminformation besonders gut bearbeiten lässt. Verwenden Sie ein Mikrofon mit Nieren- oder Hypernieren-Charakteristik: Nur so ist gewährleistet, das hauptsächlich der von der Decke abgestrahlte Schall aufgezeichnet wird – genau darum geht es Ihnen schließlich. Gerade Kleinmembran-Mikrofone bewähren sich hier, da diese bassschwächer sind und Sie so von vorneherein weniger mit dem Nahbesprechungseffekt zu kämpfen haben. Sollten Sie ein Großmembran-Mikrofon bevorzugen, können Sie die störende Bassüberbetonung, hervorgerufen durch den Nahbesprechungseffekt, auf einfache Weise vermeiden: Vergrößern Sie einfach den Abstand Gitarre/Mikrofon auf 50 bis 60 Zentimeter. Dieser Effekt tritt gerade bei guten Konzertgitarren und den meisten Westerngitarren in Dreadnought-Bauweise häufig auf.

Wenn Sie den Nahabstand beibehalten möchten, sollten Sie am Mikrofon das Trittschallfilter – sofern vorhanden – zuschalten. Gegebenenfalls verfügt Ihr Pre-Amp oder Audio-Interface über ein solches Filter, manchmal auch Low Cut genannt. Beachten Sie, dass ein störender Basston auf der Aufnahme nur umständlich über Equalizer zu entfernen ist. Berücksichtigen Sie den Nahbesprechungseffekt also unbedingt vor der Aufnahme.

Schritt vier: Nicht verwinkelt ausrichten. Schließlich sollte die Mikrofonkapsel im ersten Ansatz parallel zur Decke und nicht im Winkel ausgerichtet sein – das können Sie später ganz nach Geschmack immer noch tun. Für die ersten Vorbereitungs-Takes benötigen Sie eine verlässliche Basis. Diese erhalten Sie bei dieser Positionierung am ehesten.

Schritt fünf: Pegelei. Es gibt eine goldene Regel, um eine akustische Gitarre für die Aufnahme korrekt einzupegeln: Spielen Sie Ihr Stück komplett durch, hören Sie über Kopfhörer und achten Sie auf Verzerrungen. Beobachten Sie gleichzeitig die Pegelanzeige ihres Sequenzers. So bekommen Sie die wichtigsten Informationen für den Maximalpegel. Kalkulieren Sie auf jeden Fall einen Sicherheitsabstand ein: Die wenigsten Menschen spielen völlig entspannt bei der Aufnahme und neigen aus Nervosität dazu, kräftiger zuzulangen als erforderlich. Daher empfiehlt es sich, den ermittelten Absolutwert um etwa ein bis zwei Dezibel zu reduzieren (siehe hierzu Ullis Pegel Einmaleins, Seite 54). Nehmen Sie sich die Zeit und spielen Sie Ihr Stück ruhig ein-, zweimal mit verschiedenen Pegeleinstellungen. Die eigentliche Aufnahme gelingt dann umso besser.

Wenn Sie unsere Checkliste in der Praxis komplett durchgegangen sind, besitzen Sie nun wahrscheinlich schon anhörenswertes Material. Widmen wir uns nun einigen Details.

Sie haben jetzt eine schöne Mono-Gitarrenaufnahme. Um mehr Farbe ins Spiel und aufs Band zu bringen, gehen wir einen Schritt weiter und nehmen ein zweites Mikrofon hinzu. Zeichnen Sie beide Signale auf eine Stereospur beziehungsweise zwei Monospuren auf. Auf diese Weise lässt sich der Klang sehr schön verbreitern, da er um neue Klangfarben angereichert wird. Sie sollten dabei einen Fehler tunlichst vermeiden: das zweite Mikrofon auf das Schallloch zu richten. Zwar hören Sie bei dieser Positionierung am wenigsten Nebengeräusche, dafür werden Sie mit einem undifferenzierten Klang mit einem gewissen Wummern und einer enormen Basslastigkeit bestraft – da hilft es auch nichts, den Pegel der zweiten Spur zu reduzieren. Besser ist es, das zweite Mikrofon aufs Griffbrett zu richten. Bei neutralen Mikrofonen ist der Hals-Korpus-Übergang eine gute Wahl, Mikrofone mit einem eher dunklen Timbre sollten auf den Bereich zwischen fünftem und siebten Bund platziert sein. Der Nachteil dabei: Die Griffgeräusche treten stärker in den Vordergrund. Bevor Sie jetzt den Pegel reduzieren, vergrößern Sie doch einfach den Abstand. Dadurch wird das Signal leiser, gleichzeitig ändert sich der Klang, da die Schallwellen einen weiteren Weg zum Wandler zurücklegen. Wenn Sie keinen trockenen Aufnahmeraum haben, können die zusätzlich vom zweiten Mikrofon erfassten Rauminformationen einen interessanten Farbtupfer hinzufügen. Hier entscheidet natürlich Ihr Ohr. Sie sollten aber darauf achten, dass das direkte Signal dominiert. So behält der Klang der Gitarre seine Plastizität. Nun können Sie anfangen, zu mischen und über Effekte nachdenken.

Kompressoren und Limiter sind bei der Aufnahme einer Sologitarre tabu. Damit würden Sie Ihr eigenes dynamisches Spiel konterkarieren. Anders kann es bei Produktionen mit einer Band sein. Gerade Strumming-Parts können, wegen der nur schwer in Griff zu bekommenden Dynamikspitzen, vom Einsatz des Kompressors profitieren, da es hier oft wünschenswert ist, das die Rhythmus-Gitarre auf einem Dynamiklevel bleibt.

Wenn Sie die Aufnahme sorgfältig planen und vorbereiten, braucht es keinen Equalizer beim Finalisieren. Lediglich Hall ist oft ein Muss. An dieser Stelle konkrete Einstellempfehlungen zu geben, ist unmöglich – es entscheidet nur der persönliche Geschmack (siehe auch den Hall-Sonderteil in Ausgabe 9/2006). Dennoch ein Tipp: Setzen Sie den Hall nur sehr dezent ein, so dass er das Instrument unterstützt, aber selbst nicht wahrgenommen wird. Meistens gelingt dies schon, wenn der Dry-Wet-Regler auf einem Anteil von 30 Prozent oder weniger steht.

Elektrische Gitarren werden üblicherweise nicht solistisch aufgenommen, sondern im Bandkontext. Vielleicht haben Sie es selbst schon erlebt: Der Supersound, den Sie noch beim Üben zu Hause hatten, ist im Arrangement nicht mehr vorhanden. Stattdessen klingt alles verwaschen, bestimmte Parts scheinen regelrecht verschwunden zu sein, obwohl Sie beim Einspielen nichts ausgelassen haben. Bevor Sie auf die Suche nach neuem Equipment gehen und darüber das Spielen vergessen, lesen Sie bitte weiter: Denn es gibt so etwas wie den Knigge des Studiogitarristen, der beim Aufnehmen Gold wert ist. Das Beste: Es gibt nur zwei goldene Benimmregeln.

Presets in Hardware- oder von einer Software emulierten Prozessoren sind meistens mit Effekten zugekleistert. Damit klingt die Gitarre beim Üben meistens grandios, im Bandzusammenhang geht sie völlig unter, da Effekte dem Signal die Direktheit nehmen. Aus diesem Grund sollten Sie beim Einspielen nach Möglichkeit auf Chorus, Flanger, Delay und am besten auch auf Hall verzichten. High-Gain-Distortion ist ebenso problematisch: Der Ton wird zu stark komprimiert, Akkorde verlieren an Durchsichtigkeit. Dies gilt übrigens in gleicher Weise für Powerchords. Mit einem bestenfalls nur leicht angezerrten Sound fahren Sie in jedem Fall besser. Wenn Sie ein volles Gitarren-Brett benötigen, sollten Sie sich an Benimmregel zwei halten.

Die berühmten Gitarrenwände bei Heavy-Produktionen werden im Studio meistens durch Doppeln der Parts erzeugt. Nicht selten spielen die Musiker Rhythmus-Gitarren mindestens viermal nacheinander ein. Das macht den Gitarrensound richtig fett und mächtig. Schlecht beraten sind Sie, wenn Sie einfach eine Spur in Ihrem Host-Sequenzer kopieren: Das erzeugt nur einen Verweis auf die existierende Datei auf der Festplatte. Der Part wird allenfalls lauter, aber nicht fetter, das Klangbild wirkt steril und langweilig. Es fehlt der menschliche Faktor: Niemand ist in der Lage, zwei Parts exakt gleich zu spielen. Aber gerade die unvermeidlichen kleinen Unterschiede bei den Spuren machen die Lebendigkeit aus; für den Hörer klingen die gedoppelten Parts deswegen authentischer. Mitunter kann es reizvoll sein, einen Heavy-Part zusätzlich mit einer akustischen Gitarre einzuspielen. Auch wenn die Akustikgitarre im fertigen Mix nicht mehr heraushörbar ist, sorgt dies für eine interessante Färbung. Das Doppeln oder Trippeln empfiehlt sich auch für Melodielinien und (auskomponierte) Soli: Die so entstandenen Gitarren-Chöre klingen besser als jede Simulation mit Chorus und Delay.

Wenn Sie ein gutes Audio-Interface haben, sind Sie schon mal auf der sicheren Seite, soweit es darum geht, den cleanen Primärton Ihrer E-Gitarre einzufangen. Allerdings muss Ihr Interface über hochohmige Instrumenten-Eingänge verfügen, die für passive E-Gitarren unerlässlich sind. Wenn Ihr Interface keine Hi-Z-Eingänge aufweist, benötigen Sie eine D.I.-Box für die Impedanzanpassung: Anderenfalls würde Ihre Gitarre sehr matt klingen.

Es gibt inzwischen erstaunlich leistungsfähige Amp Plug-ins verschiedener Hersteller, die klassische Verstärker emulieren und für Gitarristen, die voll auf die eigene DAW setzen, äußerst attraktiv sind: Immerhin sollen diese Softwarelösungen einen Riesenfuhrpark an Amps und Effekten ersetzen können, deren Hardware-Originale teilweise unbezahlbar geworden sind. Das Guitar Rig 2 von Native Instruments gehört zu diesen Programmen (siehe Test in Ausgabe 6/2006). Auch andere Hersteller haben schöne Töchter – so auch IK Multimedia, die mit dem neuen Amplitube 2 in Konkurrenz zum Guitar Rig 2 stehen. Nachfolgend vergleichen wir beide Plug-ins unter Praxisgesichtspunkten, damit Sie selbst eine Ihren Ansprüchen gemäße Wahl treffen können.

Guitar Rig 2 und Amplitube 2 sind sehr umfangreich ausgestattet. Unterschiede ergeben sich allerdings im Detail: Mit seinen 14 Pre-Amps und den zusätzlichen sieben Power-Amps, die jeweils frei kombinierbar sind – damit lassen sich ganz eigene Soundungetüme vom Anwender kreieren – hat Amplitube 2 gegenüber Guitar Rig 2 mit nur acht Verstärkermodellen rein quantitativ die Nase vorn. Allerdings fehlen diesem Plug-in der Plexi-Marshall und der Fender Twin Reverb, immerhin zwei Amps, die Klang- und Musikgeschichte geschrieben haben und in letzter Zeit wieder sehr gefragt sind. Dafür gibt es bei Amplitube 2 Emulationen der Fender-Amps Super Reverb und Deluxe Reverbs, beides Verstärker, die gerade bei Power-Blues und Stevie Ray Vaughn-Fans ganz hoch im Kurs stehen. Ob Gitarristen indes zwei recht ähnliche Marshall-Emulationen (JCM800 und JCM900) benötigen, erscheint uns etwas fragwürdig. Native Instruments verbindet mit der Emulation des legendären JTM 45 (auch als Plexi bekannt) und dem modernen Lead 800 (gemeint ist der JCM 800) Klassik und Moderne. Dies wirkt etwas konsequenter als die Lösung bei Amplitube. Darüber hinaus punktet Guitar Rig 2 mit ganzen 26 Cabinets (einschließlich Leslie-Emulation) und zehn nachgebauten Mikrofonen, während sich Amplitube 2 auf 16 Boxen und sechs Mikrofone beschränkt.

Bei der Effektsektion legten die Entwickler von IK Multimedia besonderen Wert auf die Bodentreter: Hier findet der Gitarrist viele der Stomp-Boxes, die seit Jahrzehnten den Boden der Proberäume und die Bühnenbretter bedecken. Beispielsweise einen Boss CE-1-Chorus oder den Dynacomp, einen klassischen Vintage-Kompressor aus dem Hause MXR. Exklusiv gibt es mit dem Harmonator einen dreistimmigen, digitalen Harmonizer, der auf einfache Weise eine Lead-Melodie dreistimmig harmonisiert – sehr interessant für Brian May/Queen-Fans, denen das separate Einspielen mehrstimmiger Parts zu aufwändig ist. Allerdings hat der Guitar Rig 2 nicht weniger Effekte: Insgesamt sind 35 Effekte an Bord, wobei nur Guitar Rig 2 einen Stepsequenzer und Modulatoren bietet, die soundmäßig ganz neue Galaxien erschließen.

Es ist an dieser Stelle nur möglich, die Ausstattung grob darzustellen – aber Sie sehen selbst, dass sich beide Plug-ins einnehmend präsentieren. Die Unterschiede beruhen wahrscheinlich auf den Philosophien bei der Konzeption: Mit Guitar Rig 2 sollen vor allem die Vintage-Freunde bestens bedient werden, während Amplitube 2 vermutlich näher an der klassischen Moderne sein möchte.

Amplitube 2 läuft nicht als Stand-alone – Sie benötigen in jedem Fall ein Host-Programm, idealerweise ist das der Sequenzer. Guitar Rig 2 kann dagegen völlig autark benutzt werden. Sie können sogar mit den beiden virtuellen Tapedecks aufnehmen. Das ist prima, wenn Sie einfach nur üben wollen oder an neuen Songideen arbeiten. Aber davon abgesehen unterscheiden sich beide Plug-ins vom Bedienkonzept her.

Amplitube 2 setzt auf Ein-Fenster-Bedienung, was in der Praxis ein wenig umständlich ist; es sind immer mehrere Maus-Klicks erforderlich, um die aktuellen Einstellungen zu überprüfen: Es gibt nämlich zwei parallele Signalketten, bei denen Bodeneffekte, Amp, Box, Mikrofon sowie Rackeffekte wie beispielsweise Equalizer oder Hall der Reihe nach angeordnet sind. So lassen sich zwei unabhängige Setups gleichzeitig spielen oder alle Komponenten miteinander verschalten – dies alles sehen Sie aber nur in getrennten Fenstern. Guitar Rig 2 ist übersichtlicher, denn hier finden Sie sämtliche aktuellen Setups im rechten Fenster. Aus dem linken ziehen Sie Komponenten mit der Maus nach rechts oder rufen eines der beinahe 300 Presets auf. Die virtuellen Regler der Amps, Boxen und Effekte sind zudem etwas komfortabler als bei Amplitube 2 verstellbar: Dort sind die Beschriftungen zugunsten einer schönen Optik doch etwas klein und schwer ablesbar ausgefallen. Damit lässt sich aber leben – schließlich kommen beide Plug-ins vorzugsweise im Studio zum Einsatz. Dort sollte Zeit für die Einstellarbeit sein.

Professional audio Magazin testet Amplitube 2 und Guitar Rig 2 als AU Plug-in unter Logic auf einem Power-PC G5 Quad mit reichlich CPU-Power unter der Haube. Als Audio-Interface nehmen wir den Mackie Onyx 400 F, der über Hi-Z-Eingänge verfügt und klanglich tendenziell sauber und unauffällig ist – für den Schmutz im Ton sollen schließlich die Plug-ins sorgen.

Wir spielen insgesamt drei Songs ein: Einen Bossa Nova, eine Salsa-Nummer im Stil von Señor Carlos und einen Moll-Blues. Die Gitarren, eine Launhardt FS-3 Vollresonanz-Jazzgitarre und eine Fender Stratocaster, spielen wir direkt live ein. Beide Plug-ins erlauben bei einer Puffergröße von 128 Samples timingfestes Live-Einspielen. Natürlich trägt hierzu der Mac bei: Mit Latenzen von jeweils ungefähr 6 ms müsste jeder klarkommen – auch wenn sehr schnelle Licks angesagt sind. Klanglich schenken sich Amplitube 2 und Guitar Rig 2 nichts: Vor allem bei cleanen oder nur leicht angezerrten Sounds gefällt beides Mal die authentische Reaktion auf die Spieldynamik. Es ist ein Leichtes, einzelne Töne in Obertöne umkippen zu lassen. Das Spielgefühl unterscheidet sich kaum von echten Amps. Die Presets von Amplitube 2 sind verblüffend gut und können direkt verwendet werden. Zumindest wir waren uns spontan einig, dass „Carlos 2“ den Sound der Legende sehr gut trifft. Sogar ohne Paul Reed Smith-Gitarre, nur mit einer Strat. Die Presets des Guitar Rig 2 sind dagegen etwas durchwachsen. Das Santana-Preset fällt zu mittig aus – hier mussten wir an der Klangregelung nachbessern. Außerdem beißt sich die Grundeinstellung mit Bass und Keyboards. Ein klassischer Fall für einen guten Stand-alone-Sound, der im Mix nicht durchkommt. Ähnliches gilt für die Heavy-Sounds. Allerdings ist eine der Stärken von Guitar Rig 2 die Vintage-Qualität der Amps und Effekte: Erdige Bluessounds und 60er-Jahre Jazzklänge lassen sich auf klassische Weise nachbauen. Gitarre, Kabel, Amp – mehr braucht es meistens nicht, um George Benson, Wes Montgomery, Eric Clapton oder Buddy Guy zumindest soundmäßig nachzueifern. Mit Amplitube 2 gelingt das nicht in letzter Konsequenz. Für den Clapton-Sound der Bluesbreakers-Ära ist eben ein Plexi mit vorgeschaltetem Treble-Booster erste Wahl; und den gibt es nur bei Guitar Rig 2.

Unterm Strich sind beide Plug-ins erstklassig. Subjektiv würden wir uns zwar die Presets von Amplitube 2 und die Amp-Klassiker des Guitar Rig 2 in einem Produkt vereint wünschen. Objektiv fällt der Vergleich aber unentschieden aus.

Zum Schluss des Workshops beschreiben wir Ihnen einige Custom-Settings, mit denen Sie mit beiden Plug-ins den legendären Sounds von fünf berühmten Gitarristen sehr nahe kommen. Natürlich hängt das Klangergebnis stark von Ihrer Spielweise und Ihren Instrumenten ab. Zögern Sie auch nicht, an den Reglern zu schrauben. Mit ein wenig Nachbearbeitung sollten Sie sehr schnell Ihre Leiter zum Gitarren-Himmel gebaut haben. Viel Spaß mit den Sounds von Wes Montgomery, George Benson, Eric Clapton, Buddy Guy und Carlos Santana.

Erschienen in Ausgabe 10/2006

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 379 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut