
Wer bei Eventide nur an den Harmonizer denkt, denkt zu kurz. Denn der Hersteller hat noch manch anderen tontechnischen Meilenstein auf den Markt gebracht. So etwa den Omnipressor, der seinerzeit atemberaubende Dynamikeffekte realisiert hat und nun zu seinem 50-jährigen Jubiläum vom Originalhersteller wieder auf den Markt gebracht wird. Was das Besondere an diesem Prozessor ist, steht im Test.
von Georg Berger
“….und es begab sich zu einer Zeit, in der das bloße Eingrenzen von Dynamikbereichen fortan aufgebrochen wurde. Der Omnipressor schwebte über den Studios und brachte dem Toningenieurs-Volk den Sidechain. Er verlieh der Dynamik die Weihen eines Spezialeffekts und eröffnete dem tonschaffenden Volk neue kreative Möglichkeiten des musikalischen Ausdrucks….”
So oder so ähnlich könnte dereinst in Jahrhunderten vielleicht über das Auftauchen und die Bedeutung des Omnipressors für die Tontechnik geschrieben werden. Abseits dieses prosaisch-biblischen Schwulstes hat es dieser Dynamik-Prozessor – ihn schnöde als Kompressor zu bezeichnen würde ihm bei weitem nicht gerecht werden – geschafft, gleich mehrere Dynamikeffekte/-prozesse auf sich zu vereinen. Abseits der herkömmlichen Kompression kann das Gerät auch als Expander, Noise Gate und Limiter fungieren. Zudem war der Omnipressor seinerzeit der erste Dynamik-Prozessor, der das Einspeisen externer Signale in den Sidechain erlaubte. Als ganz besonderes, damals ebenfalls einzigartiges, Feature kann er überdies sogar negative Kompression realisieren. Will heißen, dass laute Signale leiser und leise Signale lauter gemacht werden. Je nach Einstellung hört sich das in etwa wie ein rückwärts gespieltes Tonband an. Ausführliche Informationen zur Geschichte, Genese und den Besonderheiten dieses Dynamik-Wizards könnt ihr unter https://www.eventideaudio.com/50th-flashback-3-the-omnipressor/ finden.
Dass ein Originalhersteller seine Blaupausen von damals wieder hervorholt und seine Klassiker, zumal heiß begehrt, wieder aufleben lässt, kann ich nur gut heißen. Denn solange wie noch Patente auf die Geräte und Schaltungen existieren, müssen Hersteller von Klonen abwarten, bis diese auslaufen. Und das kann teils ja noch sehr lange dauern. Doch das hat auch seinen Preis. Wer einen neuen Omnipressor 2830Au, so seine komplette Bezeichnung, sein Eigen nennen will, muss dafür rund 2.200 Euro berappen. Eventide hievt seinen Dynamik-Knecht mit diesem Preis ins Spitzenklasse-Segment. Der Hör- und Praxistest hat zu zeigen, ob er gerechtfertigt ist. Aber lasst uns erst einmal auf die Ausstattung schauen.
Authentische Nachbildung mit modernen Extras
Das Layout der Frontplatte des zwei Höheneinheiten messenden Gerätes ist dem Original von 1974 fast naturgetreu nachempfunden. Anstelle der eckigen weißen Druckschalter sind nun kleine Kippschalter integriert und erstmals gibt es mit einem In- und Output-Regler eine zusätzliche Option, um Signale in der Lautstärke vor und nach der Bearbeitung zu justieren. Ein Mix-Regler erlaubt zudem das Realisieren einer parallelen Signalbearbeitung. Somit verfügt der „neue“ Omnipressor über sinnvolle und moderne Erweiterungen. Die drei Regler sind dabei unauffällig und organisch am unteren Rand in das Originallayout eingebettet und wirken so, als ob sie schon immer dort waren. Unumstrittener Hingucker ist das mittige, beleuchtete VU-Meter mit schwarzem Hintergrund, das per Schalter wahlweise den Pegel des Ein- oder Ausgangs oder der resultierenden/bearbeiteten Verstärkung anzeigt. Besonderheit: Anders als bei allen anderen Kompressoren ist die 0 dB-Linie in der Mitte verortet und nicht wie sonst eher in 14-Uhr-Position. Somit lässt sich sowohl die Kompression, als auch die Expansion komfortabel ablesen. Links und rechts davon zeigen zwei LEDs den Grad der Kompression und Dämpfung ungleich rascher durch unterschiedlich hohe Lichtintensitäten an. Zweiter Hingucker ist der riesige Function-Knopf mit dem sich die Art der Dynamik-Bearbeitung und die Ratio einstellen lässt. In 12-Uhr-Position erfolgt keine Bearbeitung, es herrscht ein Verhältnis von 1:1. Beim Drehen des Reglers nach links erfolgt eine Expansion. Je nach Einstellung und Stärke kann der Omnipressor damit auch Aufgaben eines Noise Gates ausführen. Das Drehen des Reglers nach rechts bis circa zur 15-Uhr-Position realisiert die übliche Kompression von 2:1 bis 10:1 und schließlich ∞:1. Beim Weiterdrehen werden negative Kompressionsverhältnisse von -2:1 bis hinab zu -0,1:1 eingestellt. Die Regler für Threshold, Attack und Release arbeiten erwartungsgemäß. Der Input-Schalter ist eigentlich ein Bypass-Schalter und mit der Bass-Cut-Funktion filtere ich alles unterhalb 200 Hertz aus dem Sidechain, um mögliche Pumpeffekte durch allzu hohe Bassanteile zu eliminieren. Der externe Sidechain sowie die Link-Funktion zum Verbinden einer oder mehrerer Omnipressor-Einheiten wird über einen eigenen Schalter aktiviert.
Opulent ausgeführte Anschluss-Sektion

Nicht selbstverständlich: In- und Output und sogar der Sidechain sind doppelt als XLR- und Klinkenanschlüsse ausgeführt. Die Link-Anschlüsse sind servosysmmetriert. Ein deutlicher Vorteil gegenüber dem Orginal mit seiner Klemmleiste
Rätsel geben anfangs die „Attenuation Limit“- und „Gain Limit“-Regler auf. Kurz gesagt stellen sie eine Art doppeltem Make-up-Regler dar. Sie dienen zum Eingrenzen der Gesamtdynamik, einmal nach unten hin (Attenuation Limit), einmal nach oben hin (Gain Limit). Denn je nach Einstellung kann der Omnipressor übermächtig aufspielen und überlaut/leise daherkommen. Dann sind solche Regelmöglichkeiten Gold wert. Ein Beispiel: Mit dem Gain Limit Regler stellen wir – die Einstellung des Function-Reglers wird sozusagen dadurch überschrieben – die resultierende Ausgangsverstärkung ein. Das wirkt dann so wie bei einem Limiter. Ganz gleich, was ich einspeise, das resultierende Gain bleibt immer auf dem per Gain Limit eingestellten Wert.
Die Rückseite verfügt sowohl für den Ein- als auch Ausgang sowohl über XLR-, als auch servosymmetrische Klinkenanschlüsse. Sehr gut. Noch besser: Der Sidechain verfügt ebenfalls über XLR- und Klinkenbuchsen. Nicht alltäglich ist dabei, dass es einen Sidechain-Ein- und Ausgang gibt. Gleiches gilt auch für die Link-Funktion: Es gibt einen Ein- und Ausgang – als Klinke ausgeführt – mit der sich mehrere Omnipressoren oder andere Prozessoren als Daisy Chain miteinander verketten lassen. Zumeist wird darüber ein zweiter Omnipressor für den Stereo-Betrieb angeschlossen. Über das Versetzen von Jumpern im Inneren der Geräte wird dabei angegeben, welches Gerät als Master und welches als Slave fungiert. Das Innere selbst zeigt sich sauber, akkurat und hochpräzise verarbeitet sowie gleichsam überschaubar. Hier zeigt sich einmal mehr, dass Geräte, die in China gefertigt wurden, in Sachen Verarbeitungsqualität durchaus hohen Ansprüchen genügen können. Lediglich drei Platinen sind verbaut. Die Platine an der Rückseite vereint die Anschlüsse und die Ein- und Ausgangs-Übertrager von Lundahl. Die zweite liegende Platine enthält alles rund um die Stromversorgung. Die dritte, vertikal eingesetzte Platine ist direkt hinter die Bedienelemente eingesetzt und enthält die Schaltungen für das Regelwerk. Soweit so gut. Dann will ich mal sehen, was der Omnipressor in der Praxis zu leisten imstande ist.

Das Innere der Neuauflage ist gleichsam aufgeräumt wie akkurat ausgeführt. Am Ein- und Ausgang werkeln Lundahl-Übertrager. Insgesamt nur drei Platinen sind im Omnipressor verbaut (Stromversorgung, Anschlüsse, Regelwerk).
Quirliges Dynamik-Chamäleon
Als erstes fühle ich den Kompressions-Eigenschaften des Omnipressors auf den Zahn. Moderat und technisch akkurat eingestellt, verrichtet er seinen Dienst wie jedweder andere Kompressor auch. Doch als ich im Test ein wenig mehr Gas gebe und den Omnipressor durch gezieltes Einstellen von Threshold, Attack und Sustain in Extreme treibe, dreht das Eventide-Gerät ohne weiteres Zutun plötzlich überaus mächtig in Aktion. Drums und Vocals werden ohrenfällig förmlich zusammengefaltet. Mal werden Transienten sehr deutlich gezügelt oder prominent herausgestellt, mal schäle ich auf drastische Weise das Sustain heraus oder lasse es fast verschwinden. Und wer hätte das gedacht, dass sich die Ein- und Ausgangsübertrager von Lundahl in die Verzerrung treiben lassen. Der Omnipressor schafft das mit Leichtigkeit und verleiht Signalen eine ordentliche Portion an Erdigkeit, Rauheit und Körnigkeit. Aber nicht übertreiben, denn der Omnipressor ist so mächtig, dass die Verzerrung je nach Signalart rasch unangenhem/ungewollt klingt. Irgendwie erinnert das an den berühmten All-Button-Modus des guten alten UREI 1176. Doch der Omnipressor fügt dem irgendwie noch ein Schippchen an Kraft und eigenem Charakter hinzu. Gerade in dieser Situation zeigen sich die beiden Limit-Regler als geniale Erfindung, die ich mir auch bei vielen anderen Dynamik-Prozessoren wünschen würde: Bei etwas höherem Threshold in einer Bassdrum-Spur tönt der Omnipressor plötzlich überlaut. Durch das Drehen am Gain Limit-Regler, der in dem Fall als eine Art umgekehrter Make-up-Regler fungiert, zügle ich die resultierende Lautstärke. Allerdings geht dies auch mit einer Abnahme der – sofern gewünscht – hörbaren Verzerrungen einher. Für Abhilfe kann hierbei der neue Output-Regler sorgen.
In einem anderen Fall stelle ich den Function-Regler auf unendlich, stelle Threshold, Attack und Release so ein, dass das Signal hörbar verdichtet wird und kann nun am Input-Regler, der übrigens auf die nachfolgende Schaltung des Geräts Einfluss nimmt, nach Herzenslust rumdrehen und unterschiedlich laute Signale einspeisen. Teils geht dies auch mit einer hörbaren Verzerrung einher, die ebenfalls gefallen kann. Der resultierende Pegel ändert sich jedenfalls nicht. Et Voilà: Ich erhalte mit einem Schlag einen Limiter, respektive einen Kompressor mit unendlicher Ratio. Noch besser: Über den Gain Limit-Regler stelle ich präzise ein, wie hoch das Ausgangssignal sein soll.
Während des Tests gefällt mir der Lauf der Drehregler besonders gut. Sie verfügen über einen leicht zähen Widerstand, der sich beim Betätigen sehr wertig anfühlt. Im Test ist dadurch ein präzises Einstellen – und nicht zuletzt auch durch das VU-Meter – eine Leichtigkeit. So etwas hätte ich gerne öfters. Doch zurück zum Hörtest. Als nächstes fühle ich dem Omnipressor in Sachen Expansion auf den Zahn. Auch hier stellt sich das gleiche Resultat ein. Moderat eingesetzt sorgt er für ein organisches und wohlgeformtes Expandieren der Dynamik. Doch auch hier zeigen sich beim Einstellen extremer Werte erneut die Sounddesign-Fähigkeiten dieses Dynamik-Prozessors, inklusive hörbarer Verzerrungen. Bass-Drums, Snares und Becken können bis fast bis zur Unkenntlichkeit verbogen werden. Mal eben eine Bass-Drum in einen kurzen „Knacks“ verwandeln? Kein Problem. Mit dieser Kraft kann der Omnipressor auch Aufgaben eines Noise Gates ausführen. So eliminiere ich aus einer Summenspur ein im Hintergrund zischelndes Ride-Becken. Übersprechanteile in einer Snaredrum-Spur sind auch mithilfe des Omnipressors rasch entfernt. Das hat schon Qualitäten eines Schweizer Armee-Taschenmessers. Schade ist nur, dass Kompression und Expansion nicht gleichzeitig einsetzbar sind. Sind die Ergebnisse im Test zu leise, sorgt in dem Fall der Attenuation-Limit-Regler für ein Aufholen der Verstärkung.
Nicht alltäglich: Negative Kompression
Ungleich spezieller fallen die Ergebnisse beim Einstellen der negativen Kompression aus. Summensignale, Stems oder Tracks mit raschen Tonfolgen sind eher ungeeignet für diesen Modus. Im Test höre ich ein heilloses Chaos aus Knacksen und willkürlichen Lautstärkesprüngen, die teils wie Drop-outs klingen. Auf Einzelsignale, die singulär für sich stehen und viel Freiraum haben, ist es hingegen schon anders. Der eingangs erwähnte Rückwärtseffekt ist damit zwar nicht realisierbar, aber zumindest eine spürbare Verbiegung des Lautstärkeverlaufs. Im Test kann ich einem Crash-Becken – hier ist das Attack ein wenig zu langsam – zwar nicht ganz die Eingangs-Transiente ausblenden, aber dafür das Ausklingen des Blechs dramatisch in den Vordergrund modellieren ohne wilde Fader-Fahrten/-Automationen anstellen zu müssen. Mithilfe des Mix-Reglers sorge ich schließlich dafür, dass dem Crash-Becken ein kleiner ohrenfälliger Push im Ausklang hinzugefügt wird, der ein wenig an ein verzögertes Pumpen erinnert. Dreiklangsbrechungen einer ätherisch klingenden Gitarre nehme ich die (Anschlags-)härte und sorge für ein leichtes ostinates Anschwellen der einzelnen Töne, die der Spur dadurch etwas ohrenfälliges verleihen. Wie immer gilt: Probieren geht über Studieren. Und wer weiß, wie er den Omnipressor einsetzen kann, erhält auch hier ein kreativ einsetzbares Sounddesign-Werkzeug.
Fazit
Mit der Neuauflage des Omnipressors bringt Eventide seinen Dynamik-Klassiker in Originalgestalt und mit modernen Zusatz-Features erweitert zurück auf den Markt. Alleine dieser Umstand ist schon eine Sensation. Obwohl damals Features wie ein externer Sidechain, ein Bass-Cut, eine Link-Funktion und negative Kompression etwas völlig einzigartiges waren, was heutzutage mehr oder weniger – Kompressoren von dbx beherrschen übrigens ebenfalls negative Kompression – sattsam bekannt ist, vereint dies nur der Omnipressor auf seine ganze eigene Art und Weise auf sich. Damit hat er fast schon die Weihen eines lebenden Fossils. Und am Ende stimmts auch in Sachen Sound und Regelverhalten: Ganz gleich was ich im Test mit dem Omnipressor anstelle, er ist wahrlich kein Leisetreter. Vielmehr tritt er als hörbarer Audio-Effekt in Erscheinung, der als Sounddesign-Werkzeug Signale kraftvoll und charakterstark prägen kann. Das hat er damals schon geschafft und schafft dies auch heute. Im Vergleich zum Gros der aktuellen Mitbewerbern sticht er mit seiner Verhaltensweise und seinem Klang nach wie vor klangstark heraus. Daumen hoch für ein glanzvolles Comeback einer wiederbelebten Legende.
Omnipressor 2830Au
Hersteller | Eventide |
Vertrieb | https://sound-service.eu |
Typ | Dynamik-Prozessor |
Maße | 19 Zoll, 23 cm tief, 2 HE |
Gewicht | 4,2 kg |
Preis [UVP] | 2.199 € |
Technische Daten
Kanäle | 1 |
Eingänge | 1x XLR, 1x 6,3 mm Klinke |
Ausgänge | 1x XLR, 1x 6,3 mm Klinke |
Sidechain | je1x XLR, 1x 6,3 mm Klinke für In- und Output |
Sonstige Anschlüsse | 2x 6,3 mm Klinke für Link-Funktion |
Ausstattung | Input -60 – +12 dB Threshold -25 – +15 dB Attack 0,1 – 100 ms Release 1 ms – 1 sek. Mix 0 – 100 Function Kompression: 1:1 – 10:1/ꝏ:1; Expansion: 1:1 – 1:10, negative Kompression: -8:1 – -0,1:1 Attenuation Limit -30 – 0 dB Gain Limit +30 – 0 dB Output ±12 dB |
sonstige Funktionen | Line (Bypass), Bass Cut (200 Hz), Sidechain, Link, Meter (Input, Output, Gain) |
Anzeige | 1x VU-Meter, 9 Status-LED |
Bedienelemente | 9 Drehregler, 6 Kippschalter |
Lieferumfang | Netzkabel, Handbuch, Omnipressor-Poster, Eventide-Aufkleber, Eventide Gitarrenplektrum |
Besonderheiten | Neuauflage des Originals von 1974, integrierter Mix-Regler, Ein-/Ausgangsübertrager von Lundahl, XLR- und Klinkenanschlüsse im Sidechain, Link-Funktion erlaubt Anschluss mehrerer Units, Attenuation Limit und Gain Limit grenzen verfügbaren Dynamikbereich ein. |
Bewertung
Kategorie | Spitzenklasse |
Ausstattung | sehr gut – ausgezeichnet |
Bedienung | sehr gut |
Verarbeitung | sehr gut |
Klang | sehr gut |
Gesamtnote | sehr gut |