
Seit 1985 steht der Name Dream Theater synonym für eine der anspruchsvollsten Bands, die die Rockmusik zu bieten hat. Inspiriert von Progressive Rock, Metal, aber auch Avantgarde, Jazz und klassischer Musik spielen die fünf Musiker aus New York derart filigran, als kämen sie aus einem anderen Universum. Daher nutzten wir die Möglichkeit, als wir angesichts des neuen Albums „Parasomnia“ ein Interview mit Keyboarder Jordan Rudess ergattern konnten, der nicht nur als ausgewiesener Virtuose an seinem Instrument gilt, sondern auch ein großes Interesse an Musiktechnik, Software und KI hat.
Interview: Sascha Blach
Lass uns über das neue Dream-Theater-Album „Parasomnia“ sprechen. Wie ist die Stimmung in der Band im Moment, jetzt, wo euer Original-Drummer Mike Portnoy zurück ist und ihr gerade eure Tour zum 40-jährigen Jubiläum beendet habt?
Wir sind alle sehr aufgeregt und es läuft super. Als Mike zurückkam, um das neue Album aufzunehmen, fühlte es sich an, als würden wir nach Hause kommen. Es gibt eine unglaubliche Energie in der Band, und abgesehen vom Gefühl brachte es auch viel Inspiration mit sich. Mike hat so viel beigetragen, nicht nur in Bezug auf sein Schlagzeugspiel, sondern auch zum kreativen Prozess des Albums und natürlich der Tour. Zum Beispiel hat er die Setlisten zusammengestellt, eine Aufgabe, die wir ihm sofort wieder zugeteilt haben. Insgesamt ist die Energie in der Band fantastisch und es ist toll, ihn wieder dabei zu haben.
Das letzte Album, das ihr zusammen gemacht habt, war „Black Clouds & Silver Linings“ (2009). Fühlte es sich an, als würdet ihr dort weitermachen, wo ihr aufgehört habt, oder hatte es eine neue Qualität?
In gewisser Weise fühlte es sich an, als hätten wir nie eine Pause gemacht, obwohl so viele Jahre vergangen sind. Es ist erstaunlich, wie Zeit funktioniert. Manchmal kann die Perspektive auf die vergangenen Jahre so anders sein, als man erwarten würde. Als Mike wieder einstieg und wir anfingen zu arbeiten, war es buchstäblich fast so, als hätten wir keinen Takt ausgelassen. In gewisser Weise war es also einfach eine Fortsetzung dessen, wo wir aufgehört hatten.
Sowohl euer Ex-Drummer Mike Mangini als auch Mike Portnoy gelten als die besten Schlagzeuger der Welt. Was ist für dich als Mitmusiker der Unterschied, mit den beiden zu spielen?
Ich hatte das Glück, in meinem Leben mit vielen großartigen Musikern zusammen zu spielen, und ich habe von jedem von ihnen etwas gelernt. Das Schlagzeugspiel spielt in einer Rockband eine so zentrale Rolle. Das musikalische Gefühl ändert sich erheblich, je nachdem, wer am Schlagzeug sitzt. Mangini ist ein unglaublicher Schlagzeuger – einer der besten der Welt – und Mike ist es auch, aber das Gefühl ist anders. Es ist schwer zu beschreiben. Mike Portnoy hat die Band vor vielen Jahren mit den anderen Jungs gegründet, und es fühlt sich sehr natürlich an, ihn mit der Band spielen zu sehen. Es ist einfach unverkennbar.
Ich hatte den Eindruck, dass das neue Album nach Mikes Rückkehr relativ schnell entstand. Würdest du das unterschreiben?
Ich würde nicht sagen, dass sie schnell war. Im Vergleich zu einigen anderen Alben haben wir uns wirklich Zeit gelassen. Wir haben unser eigenes Studio in New York und waren nicht in Eile. Wir wollten sicherstellen, dass alles genau so war, wie wir es uns vorgestellt hatten. Es lief durchaus effizient, aber nicht übereilt. Es war eher so, dass wir dachten, lass uns Zeit nehmen und es richtig machen.
Gab es bestimmte Ziele für den Sound des Albums?
Wir alle hatten das Gefühl, dass wir uns wieder mit dem verbinden wollten, was man den Kernsound dieser Besetzung nennen könnte. Es war nicht notwendig, das Rad neu zu erfinden. Es ging eher darum, unsere persönliche und musikalische Verbindung wiederzuentdecken und Musik zu machen, die uns wirklich anspricht. Wir wollten etwas machen, das wir alle richtig cool fanden und hinter dem wir voller Energie stehen konnten. Es ist interessant, wenn man Gruppen von Musikern zusammenbringt, sie finden irgendwie immer eine gemeinsame Basis.
Wie habt ihr diesmal zusammengearbeitet? Sammelt jeder Ideen und ihr kommt dann in einen Raum, um sie gemeinsam auszuarbeiten, oder arbeitet ihr mehr über die Distanz am Computer?
Dream Theater arbeiten so, dass wir alle mit unseren Instrumenten in einem Raum stehen. Alles ist fertig aufgebaut und eingestöpselt. Jemand wirft eine Idee in den Raum und wir jammen dazu, um zu sehen, wohin es führt. Wenn uns etwas gefällt, entwickeln wir es weiter. Wir haben immer viele Ideen – Riffs, Melodien, Gedanken – und wir sind ziemlich gut organisiert, wenn es darum geht, den Überblick zu behalten. Wir verwenden zum Beispiel ein Whiteboard, um Ideen aufzuschreiben, auch wenn wir noch nicht wissen, wo sie hinpassen. Und während wir arbeiten, sagen wir irgendwann vielleicht, hey, weißt du was? Diese Idee, die wir vorher hatten, wäre hier perfekt. Es geht also darum, dass wir zusammenzuarbeiten, um gemeinsam diese Songs zu erschaffen.
Auf dem Album gibt es einen fast 20-minütigen Song namens „The Shadow Man Incident“. Wie kreiert man solch einen riesigen Song?
Wir haben uns nie an typische Songformate gehalten. Wir mögen Struktur, aber wir ziehen es vor, die Dinge auf unsere Art zu machen. Persönlich gehe ich mit der Denkweise eines klassischen Komponisten an Musik heran. Man denkt über verschiedene Dinge nach, wie die Entwicklung von Motiven und die Art und Weise, wie Songs aufgebaut sind, oder verschiedene Übergänge. Es muss keine Kurzform sein. Längere Stücke sind oft einfacher zu schreiben, weil man das Material auf so viele Arten erkunden und manipulieren kann. Wie kann man mit einer musikalischen Linie machen? Kann man eine Melodie nehmen und sie plötzlich in den Bass legen und dann sehen, welche anderen Arten von Harmonien man darüberlegen kann? Oder du kannst eine melodische Phrase nehmen und dann einen Teil des Motivs nehmen und die rhythmischen Faktoren neu arrangieren und einfach Spaß mit den musikalischen Elementen haben. Das sind Dinge, die wir immer getan haben und die uns Spaß machen.

Ja, es gibt immer viel zu entdecken. Aber ihr plant im Vorfeld nicht, einen 20-minütigen Song zu schreiben, oder?
Wir hatten schon Momente, wo wir uns gesagt haben, lass uns einen richtig epischen Song machen. Oder manchmal fangen wir etwas an und merken mittendrin, dass es sich zu einem Epos entwickeln könnte. Wenn das passiert, geben wir uns die Freiheit, das auszuleben. „The Shadow Man Incident“ war einer dieser Momente. Wir sagten uns, lass uns weitermachen, lass es uns verwirklichen – es wird ein fantastischer langer Track.
Welche Instrumente hast du verwendet, um das neue Album aufzunehmen?
Mein wichtigstes elektronisches Keyboard war der Korg Kronos. Außerdem stellten mir Yamaha einen fantastischen C7-Flügel zur Verfügung, den wir während des gesamten Aufnahmeprozesses im Studio hatten und ausgiebig nutzten. Es war unglaublich inspirierend, ein echtes akustisches Klavier im Raum zu haben, und deshalb gibt es auf dem Album eine beträchtliche Menge an Klavierpassagen. Ein Dream-Theater-Album aufzunehmen ist ein völlig anderer Prozess als live zu spielen. Auf der Bühne habe ich mich in den letzten Jahren darauf verlassen, alles mit dem Korg Kronos zu machen. Ich sample Elemente, wenn es nötig ist, oder programmiere Parts. Im Studio verfolge ich einen anderen Ansatz. Als „Musiktechnologe“ arbeite ich intensiv mit verschiedener Software. Ich bin zwar Keyboarder, aber auch für Orchester- und Chorelemente verantwortlich, daher verlasse ich mich stark auf Tools wie Spitfires BBC Symphonic Library, EastWest Librarys, 8Dio und Omnisphere. Ich arbeite auch mit dem Audio Modeling-Team zusammen und schätze deren beeindruckende Technologie sehr. Für dieses Album habe ich außerdem ein neues Keyboard namens Osmose von Expressive E verwendet und Yamahas Montage ausprobiert. Im Studio liebe ich es, Zugang zu einer breiten Klangpalette zu haben – das erweitert die kreativen Möglichkeiten enorm.
Würdest du sagen, dass du ein Technikfreak bist, der ständig neue Geräte ausprobiert?
Auf jeden Fall. Ich liebe Technologie und bin tief in die Welt der Musiktechnologie eingebunden. Letztes Jahr war ich beispielsweise Gastkünstler beim Media Lab des MIT in Boston und habe an einem großen interaktiven KI-Musikprojekt mitgearbeitet. Es ist spannend, bei Dream Theater moderne Technologie einzusetzen, aber ich bin auch daran beteiligt, die Richtung zu bestimmen, wie die Technologie Musikinstrumente für die Zukunft voranbringt.
Das ist ein sehr interessantes Thema, aber ich fürchte, wir haben jetzt keine Zeit dafür?
Ja. Gerne ein anderes Mal.
Dream Theater sind für die schnellen Soli bekannt, oft unisono von Gitarre und Keyboard. Wie entstehen diese? Sind sie eher improvisiert oder komponiert?
Sie entstehen auf unterschiedliche Weise. Manchmal präsentiert John Petrucci ein Pattern auf der Gitarre. Und dann sage ich, oh, das ist sehr cool, lass mich aufschreiben, welche Noten das sind, und mir eine schöne Harmonie dazu ausdenken. Dann greife ich buchstäblich zu Stift und Papier und schreibe etwas, das dazu passt, und am Ende wird es einer dieser coolen Unisono-Parts. Manchmal geht es auch hin und her und wir entwickeln die Ideen gemeinsam. So wird es zu diesem typischen John- und Jordan-Ding, diesen interessanten, virtuosen Soli. Es gibt also unterschiedliche Möglichkeiten, je nachdem, was es ist.
Musst du diese komplizierten Soli viel üben oder fällt es dir leicht sie zu spielen?
Es ist nicht immer einfach! Manchmal kommt John mit einem interessanten Muster und ich schreibe eine komplexe Harmonie dazu. Oft wird mir erst danach klar, dass ich noch herausfinden muss, wie ich es überhaupt spielen kann. Dazu muss ich mir manchmal schon ziemlich die Finger verrenken (lacht). Die Hauptpriorität ist aber immer, etwas Interessantes und Cooles zu machen, und erst dann geht es darum, es spielen zu lernen. Wir quälen uns manchmal ganz schön, weil es nicht immer einfach ist. Aber genau das lieben wir ja, unsere Instrumente zu üben. Daher nehmen wir uns die Zeit, herauszufinden, wie man diese Parts spielt und arbeiten daran, bis sie stimmen.
Wie viele Stunden am Tag spielst du normalerweise Keyboard oder Klavier?
Es kommt darauf an, weil wir meistens sehr beschäftigt sind. Im Moment sind wir zum Beispiel auf Tour. Wenn ich mich vor einer Show aufwärmen kann, ist das großartig, aber der Großteil des Spiels passiert während der Show, die fast drei Stunden dauert. Im Studio dagegen spielen wir jeden Tag stundenlang, weil wir genau dafür da sind. Zu Hause variiert es, aber es ist weniger reglementiert als damals, als ich jünger war und täglich viele Stunden klassisches Klavier geübt habe. Für einen professionellen Musiker ist es schwierig, immer den gleichen Zeitplan zu haben.
Das Album behandelt Themen wie Schlaflosigkeit, Schlafwandeln und Albträumen. Basieren die Texte auf persönlichen Erfahrungen?
Die Idee dazu kam von John Petrucci. Sie basierte nicht auf persönlichen Erfahrungen, sondern eher auf der Faszination für das Thema. Sie passt perfekt zum Namen Dream Theater und hat uns viel Inspiration für die Texte und die Musik gegeben. Als er uns anderen das Thema vorstellte, dachten wir, wow, das ist großartig, und diejenigen, die Texte schreiben, waren begeistert, sich darauf einzulassen. Auch für mich als jemanden, der nur im Sound-Bereich arbeitet, war es großartig, weil es mir viel Inspiration für coole Sounds gibt.

