
Einem Mix Mehrdimensionalität zu verleihen, gehört zu den spannendsten Aufgaben im Mischprozess – und ist nicht eben einfach zu bewerkstelligen. Statt sich im Dschungel endloser Reverb-Einstellungen zu verlieren, kann ein Drei-Zonen-Ansatz dabei helfen, authentische Raumtiefe zu simulieren. Wie das funktioniert und welche Tools sich dafür eignen, zeigt unser Praxis-Workshop.
KI-generiert
Von Carina Pannicke
Es gibt Themen im Studioalltag, die bleiben auch nach Jahren am Mischpult spannend. Eines davon ist für mich die Gestaltung der Tiefenstaffelung eines Mixes.
Tiefenstaffelung bedeutet im Kern, allen Klängen, seien sie real aufgenommen oder synthetisch erzeugt, einen dezidierten „Platz im Klangraum“ zuzuweisen und so mindestens zwei Raumdimensionen darzustellen: Breite und Tiefe. Der Eindruck von Tiefe ergibt sich dabei nicht aus einem einzelnen Klang oder Signal, sondern aus dem Verhältnis von Vorder- und Hintergrund. Genau genommen ist damit die Entfernung zu uns, den Hörenden, gemeint, aber auch die Entfernung der Klangquellen zueinander. Weil unsere Wahrnehmung grundsätzlich in Relationen funktioniert – laut und leise, hell und dunkel, nah und fern – braucht es für die Illusion von Raum im Mix (mindestens) ein Vorn und ein Hinten.
Und jetzt wird es spannend. Ein Hallprozessor ist ohne Frage das richtige Werkzeug, wenn es um die Erzeugung einer Raumillusion geht. Vielleicht hast du wie ich jedoch folgendes Szenario schon selbst erlebt: Du hast den für deinen Mix perfekt klingenden Hall deines Lieblingsprozessors gefunden und eingestellt, gründlich überlegt, wo im Klangraum die Elemente platziert werden sollen: Gesang vorn, Schlagzeug hinten, Klavier breit rechts hinter dem Gesang, Gitarre leicht links noch weiter im Raum, Bass zwischen Gesang und Schlagzeug und so weiter. Du hast mit viel Fingerspitzengefühl die Hallanteile via Send-Pegel austariert, vielleicht sogar dem Leadgesang einen separaten, anderen Hallklang aufgeprägt – und trotzdem klingt der Mix alles andere als plastisch, sondern „alle stehen vorn in einer Reihe“. Von räumlicher Tiefe keine Spur.
Eindimensional trotz Hall?
Aus dieser frustrierenden Erfahrung erfolgten für mich drei zentrale Erkenntnisse. Erstens: Hall allein reicht in einem komplexen Mix oft nicht aus, um eine nachhaltige Tiefenstaffelung oder Entfernungswahrnehmung zu erzeugen. Zweitens: Eine einzelne Hall-Instanz kann genau genommen stets nur eine Raumebene abbilden. Und drittens: Um Tiefe zu simulieren, müssen wir ein wenig um die Ecke denken.



Warum ist das so? Das lässt sich einfach erklären:
Ein Reverb-Prozessor ergänzt den Direktschall um zusätzliche Rauminformationen. Zum einen frühe Reflexionen (Early Reflections) und zum anderen den diffusen Nachhall (Reverb Tail). Das Verhältnis von Direkt- zu Diffusschall ist zwar ein wesentlicher Hinweis auf Entfernungen, aber eben nicht der einzige. Denn Pegel und Frequenzbalance haben hier auch ein Wörtchen mitzureden. Als sehr grobe Faustregel gilt: je weiter weg, desto leiser und dumpfer, je näher, desto lauter und hochfrequenter. Doch in der Praxis ist es meist noch komplexer. Hinzu kommt nämlich auch noch die räumliche Ausdehnung einer Klangquelle. In der Nähe füllt sie den auditiven Raum, wirkt also „breiter“ im Stereofeld, in der Distanz schrumpft sie zu einer punktförmigen Schallquelle. Stell es dir mit einem Konzertflügel vor: Sitzt du direkt davor, nimmt die Klaviatur fast dein gesamtes Gesichtsfeld ein; vom zweiten Rang aus ist derselbe Flügel nur noch ein faustgroßer Punkt im Raum.
Ziehen wir also all diese Faktoren – Diffus-/Direktschallanteil, Lautstärke, Frequenzbalance, räumliche Ausdehnung – in die Rechnung Tiefenstaffelung mit ein, ist es eigentlich kein Wunder, dass ein einzelner Hallprozessor diese Aufgabe gar nicht leisten, sondern bestenfalls eins von mehreren Schräubchen sein kann.
Die Drei-Zonen-Methode
Um Tiefe im Mix glaubhaft zu simulieren, hilft es, den darzustellenden Raum zunächst in drei Ebenen oder Zonen einzuteilen und für jede Zone eine eigene Hall-Instanz einzurichten, welche das jeweilig vorherrschende Reflektionsverhalten des Raums in dieser Zone abbildet. Dabei sind nicht zwingend drei verschiedene Plug-ins notwendig; oft – aber nicht immer – ist es sogar sinnvoller, denselben Algorithmus in drei unterschiedlich konfigurierten Instanzen zu nutzen, um einen kohärenten Gesamtklang zu erzeugen. Wichtig ist, dass das Plug-in Zugriff auf die Parameter Pre-Delay, die Balance Early Reflections/Reverb Tail sowie High- und Low-Cut bietet.
Warum es drei Zonen sind, erklärt sich anhand der gedachten Hörposition. In vielen (Stereo-)Musikmixen nehmen wir die Position nahe einer gedachten Wand ein, so als würden wir von vorn in den Raum hinein- oder eine Bühne hinaufsehen. Aus dieser Perspektive ergeben sich die drei Zonen: nah (an der Wand), in der Mitte und tief im Raum – oder near, mid, distant.
Das, was einen realen Raum klanglich definiert, sind seine Begrenzungsflächen, von denen Schall reflektiert wird. Im Vordergrund, sehr nah der Wand und sehr nah an unserem (virtuellem) Ohr dominiert deshalb der Direktschall mit klaren Early Reflections, wohingegen Quellen weit entfernt von den Wänden stärker mit dem Nachhall verschmelzen und deutlich weniger Early Reflections vorhanden sind, der Klang wird diffuser/„verschwommener“. Zwischen beiden Extremen liegt die mittlere Zone, in der Direkt- und Raumanteil sich die Waage halten.
Die unterschätzten Early Reflections



Und jetzt kommt das Entscheidende: Die Rechnung „vorn = wenig Hall, hinten = viel Hall“, ist nur die Hälfte der Gleichung respektive Wahrheit, denn die drei Zonen korrespondieren nicht nur mit dem Anteil an Nachhall, sondern auch mit dem jeweiligen Abstand zu den Begrenzungsflächen des Raumes – und damit mit den Early Reflections. Ein Parameter, dessen Einfluss auf die Tiefenstaffelung wir nicht hoch genug einschätzen können (siehe Kasten).
Eine klassische Bandbesetzung im Pop-/Rockgenre, wie oben erwähnt, würde ich anhand des Drei-Zonen-Prinzips also wie folgt staffeln: Ausgangspunkt sollte dabei ein angenehm klingendes Room-Preset sein, dessen Hall weder zu lang noch zu offensichtlich „nach Hall“ klingt, wie zum Beispiel „Studio Live Room“ oder ähnliches.
Hall 1 repräsentiert die Zone, die sich sehr nah zur Wand befindet. Die Early Reflections (ER) sollten hier mit circa 75 zu 25 deutlich überwiegen. Das Pre-Delay ist 0ms, um den Effekt der Nähe zu unterstützen. Hohe Frequenzen sollten erst ab ca. 10 kHz mit einem High Cut versehen werden, denn in dieser Zone möchte ich Präsenz erhalten. Dieser Hallzone ordne ich das Schlagzeug zu: Es soll räumlich klingen, ohne im Hall zu schwimmen; ich brauche folglich Rauminformationen, aber wenig bis keinen Nachhall. Ähnliches gilt für Akustikgitarren oder andere Elemente, die ich häufig eher im trockenen Vordergrund des Klanghorizonts positionieren will.
Hall 2 bildet den Klang etwas weiter im Raum ab, wo ER und Nachhall zu gleichen Teilen hörbar sind. Das Pre-Delay beträgt hier circa 25ms, die Höhen werden ab etwa 5 kHz beschnitten. Dies simuliert die Entfernung von Wänden und Hörenden. Typische Klangelemente, die sich in diesem Teil des Raums befinden (sollen), sind E-Gitarren, die von hörbarem Raumklang profitieren, genauso wie Klavier, Streicher oder Bläser.

Hall 3 simuliert die Zone in der Tiefe des Raums, der seine tatsächliche Größe offenbart, mit Pre-Delayzeiten um die 50ms und einer 25 zu 75 ER-Nachhall-Balance. Außerdem setzt der High Cut hier bereits bei circa 3 kHz ein. Dieser Hall ist der offensichtlichste, am stärksten hörbare, deswegen sind Vocals und Lead- oder Solo-Instrumente prädestinierte Quellen. Dank des Pre-Delays bleiben ihre Direktschallanteile dennoch klar und präsent im Vordergrund, ihr Klang öffnet jedoch sozusagen den klanglichen Horizont.
Selbstverständlich kann ich mit diesem Ansatz auch weitere Raumpositionen realisieren, die dazwischen liegen. Backing Vocals oder andere Elemente, die das Stereobild „andicken“ sollen, profitieren sowohl von Hall 1, der präsente Rauminformationen liefert, als auch von Hall 2 oder sogar 3, welche sie mit der Raumgröße verschmelzen lassen. Je nach Anforderung mische ich bisweilen auch die präsenten ERs von Hall 1 den Lead Vocals zu.
Was sind Early Reflections?
Als Early Reflections werden die Schallreflexionen bezeichnet, die wenige Millisekunden nach dem Direktschall als erstes am Ohr eintreffen. Sie stammen typischerweise von Boden, Wänden oder der Decke und prägen unser räumliches Empfinden stärker als der spätere Nachhall. Die wesentlichen Informationen über die Größe und Beschaffenheit eines Raums sowie die Entfernung zur Schallquelle werden also durch Early Reflections vermittelt, was sie zu einem essenziellen Parameter in der Gestaltung des auditiven Raums macht. Viele Hallprozessoren bieten eine separate Steuerung des Pegelverhältnisses von Early Reflections und Reverb Tail, was vorteilhaft ist, aber kein Muss.
Feinschliff für noch mehr Realismus
Mit diesen drei Hall-Zonen habe ich nun eine solide Basis für eine plastische Tiefenstaffelung – und kann mich nun um die weiteren genannten Faktoren kümmern, um das Ganze noch glaubwürdiger zu gestalten. Die wahrgenommene Ausdehnung lässt sich sehr einfach über die Stereobreite der Hall-Returns steuern: Bei Hall 1 lasse ich die Pan-Regler voll links und rechts (100%), bei Hall 2 etwa auf zwei Dritteln, bei Hall 3 nur noch auf rund einem Drittel pro Seite, sodass der Nachhall eher aus der Stereomitte tönt. Auf diese Weise habe ich noch stärker den Eindruck, in einen dreidimensionalen Raum hineinzuschauen. Es spricht selbstverständlich nichts gegen Reverbs auf Vocals oder Solo-Instrumenten in voller Stereo-Breite, diese sind dann aber eher Effekt und nicht unbedingt Raumabbildung.
Auch auf die Frequenzbalance sollte weiterer Einfluss genommen werden. Hochfrequente Hallanteile werden bereits im Reverb beschnitten; zusätzlich reduziere ich tiefe Frequenzen mit einem vorgeschalteten EQ, um einem „Verschwimmen“ des Tieftonbereichs vorzubeugen; bei Hall 1 nur leicht, bei Hall 3 deutlich stärker. Hinter dem Reverb-Plug-in verwende ich ebenfalls einen EQ (beziehungsweise Channelstrip), um Signalanteile ab circa 6 bis 7 kHz zu zähmen und den Direktschall nicht zu stören.
Meine Go-to-Reverb-Plug-ins
Für die Drei-Zonen-Methode nutze ich bevorzugt algorithmische Prozessoren; es spricht aber auch nichts gegen Convolution Reverbs, solange sie Kontrolle über Pre-Delay, Early-/Tail-Balance und EQ bieten.
Ein sehr mächtiger und gut klingender Reverb, den ich häufig verwende, ist der Pro-R von Fabfilter. Er bietet neben den benötigten Parametern eine Vielzahl weiterer, mit denen sich realistisch klingende Raum-Staffelungen erzeugen lassen. Auch Eponential audio Stratus ist ein empfehlenswerter Hall für diese Disziplin, allerdings deutlich komplexer in der Handhabung. Mehr Übersicht und gut klingende Algorithmen bietet ReVibe II (Avid) oder Steinbergs Revelation, die ich ebenfalls ab und zu verwende
Der sensibelste Punkt des Ganzen ist das Austarieren der Send-Pegel. Meiner Erfahrung nach ist es ratsam, zunächst alle Sends auf einen einheitlichen Referenzwert einzustellen. Dessen Wert hängt sowohl von der Gain-Struktur der Session als auch vom verwendeten Reverb-Plug-in ab; in der Praxis liegt er bei mir meist zwischen -9 und -3 dB, während die Hall-Returns zwischen -6 und 0 dB eingepegelt sind. Meine Pegelreferenz ist dort, wo der Hallanteil hörbar wird, ohne dass er unangenehm oder unnatürlich klingt. Von diesem Punkt aus lassen sich die Anteile einzelner Spuren feinjustieren, wie klassischerweise dem Bassdrumsignal deutlich weniger bis keinen Hallsend zuzuweisen. Last, but not least lohnt sich für noch mehr Realismus eine weitere Bearbeitung der Hall-Returns. Ein Kompressor mit etwa 3 dB Gain-Reduction, schnellem Attack und mittlerer Release-Zeit glättet Transienten und verdichtet den Nachhall – so, wie unser Gehör es auch in realen Räumen tut. Ebenso hilfreich ist eine gezielte Resonanzunterdrückung mit Tools wie Waves Equator oder Oeksound Soothe 2. Im Idealfall ergibt sich somit ein Nachhall, der sich organisch in den Mix integriert, ohne künstlich aufzutragen.
Fazit
Die Drei-Zonen-Methode ist keine exakte Simulation komplexer akustischer Vorgänge und soll auch nicht dazu aufrufen, deinen Lieblingshall ins Archiv zu verbannen. Ich persönlich verwende weiterhin insbesondere für Vocals zusätzliche, effektvollere Reverbs. Aber die Methode bietet eine praktische und verhältnismäßig einfache Lösung, realistisch Tiefe darzustellen und damit dem Erreichen eines der wesentlichen Ziele des Mixings näherzukommen.

