Featured image for “Wenn immersives Audio zu Musik wird”
September 16, 2025

Wenn immersives Audio zu Musik wird

Das kanadische College Humber Polytechnic bietet Musikern eine ­hervorragende ­Ausbildung – einschließlich der Arbeit in einem hochmodernen Studio und ­außergewöhnlichen Immersive-Audio-Einrichtungen. Der Produzent, Ingenieur, Komponist und Pädagoge Justin Gray erklärt die Bedeutung von Immersive Audio für die Musik und den Ansatz von Humber, Musik und Audio zu unterrichten.

von Dr. Moritz Hillmayer

Seit der Eröffnung eines neuen Gebäudes an der Humber Polytechnic ist Immersive Audio ein wichtiger Bestandteil des Bachelor-of-Music-Programms dieser Hochschule geworden, das von Justin Gray betreut wird. Der Bassist, Komponist, Tontechniker und Produzent war einer der ersten Musikschaffenden, der mit Dolby Atmos speziell für Musik arbeitete. Inzwischen hat er tausende von Songs in Dolby Atmos abgemischt. Seine umfangreichen Erfahrungen und seine Philosophie fließen nun in den Lehrplan für den Musikproduktionsbereich des Bachelor-Studiengangs an der Humber ein.

Ein klassisches und ein immersives Studio

Die Humber Polytechnic besitzt mehrere Audioproduktionsräume für die Studierenden. Dabei stechen zwei Studios ganz besonders hervor: das Gordon Wragg Recording Studio und das neue immersive Aufnahmestudio. „Unser Hauptstudio ist ein akustisch großartiger Raum“, beschreibt Gray das Gordon Wragg Recording Studio. „Es ist sehr gut ausgestattet, was den Zugang zu den Geräten angeht. Alles ist Weltklasse, von den Mikrofonen über die SSL Duality SE bis hin zu den ATC-Lautsprechern.“ Das Studio ist so beliebt, dass die alte Struktur nicht angetastet werden durfte, als der neue Bau geplant wurde. „Sie haben das gesamte Gebäude um dieses alte Studio herum gebaut“, sagt Gray. „Wir wollten nicht, dass sie es abreißen.“

Der Neubau erweitert nun also die Aufnahmemöglichkeiten. „Das neue Gebäude bietet einen fantastischen Saal und neue Arbeitsplätze für Studierende, einschließlich Musikzimmer und Unterrichtsräume. An den Saal angeschlossen ist ein neuer immersiver Audioregieraum, eine voll ausgestattete 7.1.4 Dolby Atmos Suite.“ Wie das alte Studio ist auch die Immersive Suite mit hochwertigem Equipment ausgestattet. „Der Raum ist komplett mit Monitoren von ATC und Befestigungslösungen von IsoAcoustics bestückt, einem Avid MTRX II Pult, Millennia und DAD Mikrofonvorverstärkern und Mikrofonen von DPA, Neumann und Schoeps.“ Über Dante kann die immersive Suite mit der gesamten Einrichtung verbunden werden.

Justin Gray ist Bassist, Komponist, Tontechniker und Produzent. Er leitet die Ausbildung zur Produktion immersiven Audios.

„Viele Studierende wissen gar nicht, wie verwöhnt wir sind“, sagt Gray. „Wir arbeiten in einer Weltklasse-Einrichtung, nehmen Ensembles mit mehreren immersiven Mikrofonarrays auf, verwenden die besten Wandler der Welt und hören in Echtzeit auf einem ATC Dolby Atmos Lautsprecher-Array ab. Die Studierenden lernen und experimentieren mit all diesen Dingen.“ Viele Ingenieure würden sich über eine solche Gelegenheit freuen. „Ich erinnere die Studierenden daran, wie selten sich solche Möglichkeiten selbst Profis bieten, nämlich nativ in immersivem Audio aufzunehmen und dabei auf einem vollständig kalibrierten Dolby Atmos Lautsprechersystem zu hören.“

Hörgenuss für ernsthafte­ ­Musikproduktion

Von einem Studio dieses Kalibers kann man auch erwarten, dass es eine Highend-Hörumgebung bietet. Die hervorragende Raumakustik und die hochmodernen ATC-Lautsprecher sind da nur der Anfang, wie Gray erklärt. „Es handelt sich um eine Einrichtung von Weltklasse, und die Möglichkeit, eine Regie dieser Größe mit dieser Ausstattung an einen der besten Aufnahmesäle Torontos anzuschließen, ist wahnsinnig aufregend. Wir haben Argosy-Ständer mit integrierten Entkopplungslösungen von IsoAcoustics im Einsatz, um sicherzustellen, dass wir das Beste aus den Aufnahmen im Saal machen können. Der Saal ist wie ein Studio gebaut: Die Akustik, der niedrige Geräuschpegel und die Anschlussmöglichkeiten machen ihn zu einer Klangbühne.“

„Das ultimative Erfolgskriterium ist für mich, wenn wir es nicht mehr ‚immersives Audio‘ nennen, sondern einfach ‚Musik‘.“

Der zentrale Aspekt jeder professionellen Abhörumgebung ist die Übersetzung: Wie gut lässt sich der in dieser Umgebung erzeugte Ton auf andere Abhörsysteme außerhalb des Studios übertragen? Bei Humber schafft die schiere Menge an Musik, die die Studierenden professionell veröffentlichen, Vertrauen in die Qualität des Abhörsystems. „Wenn man ein Studio hat, das in den letzten 20 Jahren Tausende von Studierendenprojekten herausgebracht hat, weiß man, wie gut es funktioniert“, sagt Gray. „Es gibt keinen besseren Weg, die Übersetzung eines Mixes zu testen, als viele Ergebnisse über einen langen Zeitraum in die Welt zu schicken.“

Neben der Regie des Gordon Wragg Recording Studios ist das Highlight der neuen Räumlichkeiten die Dolby Atmos Regie, die Justin Gray ausgiebig nutzt.

Justin Gray ist von der Kombination aus ATC-Lautsprechern, Raumakustik und IsoAcoustics Lautsprecherisolierung begeistert. „Letzten Endes geht es bei der Isolierung um Genauigkeit, und Genauigkeit führt wiederum zu einer besseren Übersetzbarkeit“, erklärt er. „Sie bewährt sich also täglich.“ Gray weist darauf hin, dass die Wirksamkeit der Lautsprecherisolierung offensichtlich ist. „Die Stabilität des Klangbilds ist wahrscheinlich der größte Vorteil, insbesondere bei zwölf Lautsprechern. Selbst bei nur zwei Lautsprechern ist die Reduzierung von Vibrationen und Resonanzen im Raum nie schlecht. Aber in einem Zwölf-Kanal-Raum kann sich der Effekt noch erheblich verstärken. Die richtige Isolierung verbessert die Basslokalisierung und präzisiert den Frequenzgang von jedem Lautsprecher. Und wenn wir von dem Qualitätsniveau sprechen, das wir hier im Studio haben, hört man den Einfluss jeder einzelnen Komponente des Systems deutlich.“

Herausragendes ­musikalisches und technisches Können

Ausbildungs-Studios vom Kaliber des Gordon Wragg Recording Studio oder des neuen immersiven Studios sind selten. Es lohnt sich daher, einen Blick auf das Programm dahinter zu werfen. „Es handelt sich um Kanadas führenden Musikstudiengang“, erklärt Gray das Bachelor-Programm. „Er ist auf die musikalische Darbietung fokussiert. Die Studierenden kommen also als Künstler und Künstlerinnen in das Programm. Sie konzentrieren sich in den ersten Jahren des Studiums auf ihr musikalisches Handwerk.“ Die Studios kommen in einer späteren Phase der Ausbildung hinzu. „Die Studierenden feilen zunächst an ihren spielerischen Fähigkeiten und studieren zeitgenössische Musik, aber im zweiten Jahr belegen sie Pflichtkurse in Musikproduktion. Im dritten Jahr nehmen sie an einer Masterclass teil, bei der sie alle im Studio sind, sich mit der Technologie vertraut machen und zu Studiomusikern werden. Im vierten Jahr produzieren alle Studierenden eine EP mit eigener Musik, die von professionellen Toningenieuren aufgenommen, gemischt und gemastert wird. Die Studierenden fungieren dabei als Producer und Artists für die Projekte der Mitstudierenden.

Neben Avid S6 und ATC-Monitoren bietet das neue Studio hochwertige Preamps von Focusrite und Millennia.

Das Hauptziel des Programms besteht darin, die Studierenden auf die Realität der Musikindustrie vorzubereiten, wie Gray weiter ausführt. „Wir schicken die Studierenden nicht nur als professionelle Musikerinnen und Musiker auf hohem Niveau in die Welt hinaus, sondern auch mit einer Menge Selbstvertrauen in der Studiosituation.“ Das Programm schafft es immer wieder, dass einige Studierende ihre berufliche Laufbahn in Richtung Produktion und Technik verlagern. „Wir erwarten von unseren Studierenden nicht, dass sie Tonschaffende werden. Einige Studierende nutzen die Gelegenheit und werden einfach nur bessere Session-Musiker. Andere wollen produzieren, Engineers werden oder ein eigenes Studio aufbauen. Die Realität in unserer modernen Welt ist, dass jeder Musiker in irgendeiner Form die Aufnahmetechnik nutzt. Humber Polytechnic hat das schon vor zwei Jahrzehnten erkannt, als das Produktionsprogramm ins Leben gerufen wurde – das ist ziemlich vorausschauend.“

Die ATC-Monitore sind mit einer Entkopplung von IsoAcoustics versehen.

Der gesamte Ansatz dreht sich um die Frage, was das eigentliche Ziel einer Ausbildung in diesem Bereich sein soll. „Ist es unsere Aufgabe, Fachleute auszubilden? Oder sollten wir eher Lernmöglichkeiten schaffen? Ich glaube, beides ist wichtig“, beschreibt Gray die Philosophie hinter dem Programm. „Wir, oder zumindest ich, wollen die Studierenden nicht einfach nur fit für den Arbeitsmarkt machen, denn das ist nicht der einzige Maßstab für den Erfolg in der Bildung. Ein Studium ist auch ein introspektiver Prozess, dessen Erfolg sich nicht einfach daran messen lässt, wer einen Job bekommt und wer nicht. Wir wollen aber auch, dass unsere Studierenden eine nachhaltige Karriere aufbauen und die Chancen wahrnehmen können, die sich ihnen bieten. Wir können nie genau wissen, was für Chancen das sein werden, aber wir wollen, dass sie sich in allen Situationen sicher und vorbereitet fühlen.“

Die Immersion beginnt mit der Musik

Wie bereits eingangs erwähnt, war Justin Gray einer der ersten, der mit Dolby Atmos speziell für Musik gearbeitet hat. Sein Studio war eines der ersten Dolby Atmos Musikstudios in Kanada. Seine Leidenschaft für dreidimensionales Audio überträgt sich auch auf seine Lehrtätigkeit: Er führt die Studierenden in das Format ein und betont die Umsetzung des immersiven Denkens in einem frühen Stadium des Produktionsprozesses. „Ich habe Musiker in meinen Klassen, die großartig komponieren, schreiben und produzieren. Sie sind bereit, ihre kreative Palette zu erweitern. Ich möchte, dass sie verstehen, dass ihre Leinwand dreidimensional sein kann. Darauf konzentriert sich der immersive Kurs im Moment.“ Gray befürwortet die Erstellung von Musik in immersivem Audio lange vor der Dolby Atmos Mischphase. „Ich denke, es gibt derzeit eine Lücke, nämlich die Musik selbst. Derzeit besteht ein großer Teil der Arbeit in diesem Bereich darin, nicht-immersive Musik neu und immersiv zu mischen. Ich mache das täglich, und ich liebe, was ich tue, aber es ist nur ein Zweig an einem viel größeren Baum.“

Für Gray besteht der wichtigste Teil seiner Arbeit darin, Lernmöglichkeiten zu schaffen, bei denen die Studierenden ihr Denken über die Stereo-Musikproduktion hinaus erweitern können. „Natürlich haben wir bereits Zugang zu großartigen immersiven Aufnahmen. Ich denke dabei an Morten Lindberg, Leslie Ann Jones, Richard King, Hyunkook Lee, Stefan Bock, Real World und Hans-Martin Buff. Ich verbringe viel Zeit damit, mit meinen Studierenden zu spielen, um ihre Fantasie anzuregen. Das Potenzial, das Gefühl, die Emotionalität – all das ist auf einer musikalischen Ebene angesiedelt. Also frage ich meine Studierenden: Was würde passieren, wenn ihr wüsstet, dass ihr in Stereo komponiert? Sie sind sich dessen nicht bewusst, aber die gesamte Psyche und die ästhetischen Vorlieben basieren auf der Vorstellung, dass der Klang von vorne kommt.“ Gray plädiert nicht unbedingt für eine große Revolution, sondern für eine schrittweise Entwicklung, bei der immersive Erfahrungen in die Musikproduktion integriert werden. „Wenn es mir gelingt, diese Idee an meine talentierten Studierenden weiterzugeben, wer weiß, was wir in ein paar Jahren sehen und hören werden?“

Justin Gray bei der Arbeit an einem immersiven Dolby Atmos Mix.

Grays Ansatz ist erfrischend in einem Klima, in dem die wahren Möglichkeiten von immersivem Audio allzu oft ungenutzt bleiben. Gray sieht das alles als „Teil der Reise“ und betont, dass immersiver Sound nicht so neu ist, wie manche denken. „5.1 und Surround-Aufnahmen gibt es schon lange. Es gibt eine große ästhetische Bandbreite von Musik, die für immersive Formate produziert wurde. Hinzu kommen Videospiele, Filme und akusmatische Musik. Es gibt bereits seit Jahrzehnten Aufnahmen und Produktionen in verschiedenen ­immersiven Formaten, die den Grundstein dafür gelegt haben, was funktioniert und was nicht.“

Ästhetische Evolution

Wenn Gray heute über immersives Audio nachdenkt, ist er sehr optimistisch. Das kollektive Momentum in der Immersive-Welt inspiriert ihn, und er hat große Hoffnungen für die Zukunft. „Frühere Formate wie 5.1 waren nicht in der Lage, einen Kulturwandel auf dieser Ebene zu bewirken“, erklärt er. „Jetzt haben wir die Möglichkeit, die Art und Weise, wie Musik erlebt und imaginiert wird, zu verändern. Bildung ist ein Teil davon, denn es geht nicht nur um eine Person. Selbst wenn meine Kollegen oder ich auf persönlicher Ebene etwas erreichen, ist Musik so viel größer als das. Es muss eine gemeinschaftliche Bewegung sein, und wenn dies geschieht und das Publikum beginnt, sich auf einer emotionalen Ebene damit zu verbinden, gibt es kein Zurück mehr. Letztendlich muss es sich von einem Format zur Musik selbst entwickeln.“

Die Humber Polytechnic in Ontario, Kanada bietet dank neu errichteter Studioräume im Rahmen des Bachelor-of-Music-Programms jetzt auch eine Ausbildung in ­immersivem Audio an.

Diese Art von Veränderungen braucht jedoch Zeit. „Das muss kulturell verankert werden, und das braucht Zeit. Viel Zeit. Bei der Stereoanlage hat es 20 Jahre gedauert, mindestens 20 Jahre, von der Einführung des Konzepts bis zu seiner vollständigen kulturellen Integration. Ästhetik kann generationsabhängig sein, und daran führt kein Weg vorbei.“ Wir werden wissen, dass wir diesen Kulturwandel erreicht haben, wenn wir unsere Sprache zur Beschreibung der Technologie ändern. „Das ultimative Erfolgskriterium ist für mich, wenn wir es nicht mehr ‚immersives Audio‘ nennen, sondern einfach ‚Musik‘.“