
Ein Allround-Kopfhörer für Aufnahme, Mix und Mastering, der auch für die Arbeit mit dreidimensionalen Surround-Formaten einsetzbar ist – das wünschen wir uns. Nun, der Focal Lensys Professional bietet sich als Wunscherfüller an.
Text und Fotos von Harald Wittig
Der französische Lautsprecherspezialist Focal hat sich längst auch als Entwickler und Hersteller von hochwertigen Kopfhörern einen sehr klangvollen Namen gemacht. Das highendige Flaggschiff namens Utopia gilt als einer der weltbesten dynamischen Kopfhörer. Damit hat der teure Franzose auch überkritischen Hörern eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass dieses Wandlerprinzip trotz des Siegeszugs der Magnetostaten ganz weit vorne mitspielen kann – sofern ein Hersteller die Kunst und Technik des Kopfhörerbaus beherrscht. Focal hat schon immer beide Lager – die HiFi-Enthusiasten und die Tonschaffenden – bestens bedient. Folgerichtig gibt es im Portfolio neben den highfidelen Hörern und den kabellosen Unterwegshörern auch ein Angebot für alle, die in der Tonproduktion aktiv sind. Ein Trio buhlt um die Gunst der professionellen Anwender: Für rund 300 Euro bietet sich der Listen Professional als Einstieg in die Focal-Welt an. Der bereits sehr gut angenommene Clear MG Professional ist das Spitzenmodell und kostet knapp 1.500 Euro. Der dritte im Bunde, der Lensys Professional ist der Neuzugang in der Equipe, im Angebot für etwa 700 Euro und unser heutiger Testkandidat. Focal empfiehlt den Neuen als Allrounder für alle Tonschaffenden, der praktisch allen entstehenden Aufgaben in der Ton-/Musikproduktion – Aufnahme, Mix und Mastering – gewachsen sein soll. Dabei hat der in Frankreich von kundigen Händen gefertigte Hörer einige konstruktive Spezialitäten à la Focal zu bieten, die ihn besonders attraktiv machen. Voilà, wir nähern uns dem Franzosen sogleich und lüften das eine oder andere Konstruktionsgeheimnis.

Inversion ist Trumpf
Wie es sich für einen Focal-Kopfhörer gehört, ist auch der Lensys ein dynamischer Kopfhörer. Wie eingangs schon erwähnt, besitzt der französische Schallwandlerspezialist für dieses Wandlerprinzip eine große Expertise. Interessant ist, dass der Lensys wie sein immerhin mehr als doppelt so teurer Bruder Clear über einen Treiber mit „M-förmiger“-Kalotte verfügt. Genau, dass habt ihr bereits den kursierenden Pressemeldungen entnommen und fragt euch völlig zu Recht: „Was bitte heißt das?“. Die Antwort liefern die berühmten Chassis der besten Focal-Lautsprecher. Die haben nämlich eine invertierte, also nach innen gewölbte Kalotte. Die besteht beim Flaggschiff Utopia und den Top-Lautsprechern aus dem leichten Erdalkalimetall Beryllium und ist damit das Focal-Markenzeichen schlechthin. Im Falle des Clear verwendet Focal eine invertierte Kalotte aus Magnesium, als solches ebenfalls ein Leichtmetall. Im Falle unseres Prüflings besteht die M-förmige Kalotte indes aus einem Materialmix, bestehend aus Aluminium und Magnesium. Aluminium dient der Erhöhung der Steifigkeit der Kalotte, sodass auch heftige Impulse in kontrollierte Membran-Bewegungen umgesetzt werden. Das Magnesium sorgt seinerseits für die Dämpfung und beide zusammen mit der besonderen Form der Kalotte für einen linearen Frequenzgang bei optimierter Schallabstrahlung und geringsten Verzerrungen. Wir dürfen also einen neutral abgestimmten, sauber tönenden Hörer erwarten.
Die 40 Millimeter durchmessenden Treiber sind angewinkelt in die Hörmuscheln eingesetzt, was der Stereowiedergabe, konkret der Raumdarstellung, zugute komme. Ohne Weiteres empfehle sich der Lensys laut Hersteller für binaurale Anwendungen in dreidimensionalen Umgebungen – dabei denken wir zuerst an Dolby Atmos –, was wir selbstverständlich im Rahmen des Klangtests erhören werden.
Sehr interessant ist auch, dass Focal die akustische Beladung so verbessert hat, dass der Lensys, insoweit vergleichbar mit einem Bassreflex-Lautsprecher, einen nach unten, also in den Basskeller reichenden Wiedergabe-Bereich hat. Die unterste Grenzfrequenz beträgt fünf Hertz – das ist durchaus außergewöhnlich. Rein vorsorglich: Selbstverständlich sucht ihr ein Bassreflexrohr im Aufbau des Hörers vergeblich. Focal beschreibt nur den Effekt. Wir wollen aber sehr hoffen, dass der Lensys sich klangverfälschender, übertriebener Bassandickung enthält. Gerade geschlossene Kopfhörer – Stichwort Druckkammer – tun da oft zu viel des Guten. Deswegen stehen die Geschlossenen in der Gunst der Mastering-Ingenieure äußerst selten weit oben.
Von den Techno-Treibern ist von außen kaum etwas zu sehen: Die M-Kalotte selbst ist mittels einer mikroperforierten Folie vor eindringendem Schmutz bestens geschützt und bleibt dem neugierigen Auge verborgen. Ein aufwändiges Trageskelett hält die Treiber selbst in den Ohrmuscheln ohne Kontakt zu den Schalen sicher, was seinerseits erst nach Demontage ersichtlich wird.

Kopfschmerzfreies Hören
Viel Gewicht bringt der Lensys nicht mit: Mit 360 Gramm ist er – beispielsweise im Vergleich zu den Magnetostaten – einer, den der Anwender durchaus für längere Arbeits-/Hörsitzungen aufsetzen darf. Die textilbezogenen Ohrpolster sind aus „Formgedächtnis-Schaumstoff“ gemacht, sodass sie sich geschwind an die Kopfform des Trägers anschmiegen. Zusammen mit dem sehr gut gepolsterten Kopfband, das mit demselben atmungsaktiven Stoff wie die Ohrpolster bezogen ist, ergibt sich ein hoher Tragekomfort. Tatsächlich haben wir den Focal-Kopfhörer ohne Not und Wehklagen, stattdessen mit viel Vergnügen oft und sehr gerne über Stunden getragen.

Mit professioneller Akkuratesse
In puncto Kabeln ist der Lensys eindeutig ein Studio-Kopfhörer, wird das Anschlusskabel doch einseitig geführt. Gerade beim Einspielen ist es superpraktisch, wenn die Strippe mal eben über die Schulter werfbar und aus dem Weg ist. Die Anschlusskabel – Focal liefert gleich zwei hochwertige Kabel mit – werden via Miniklinkenstecker mit der linken Ohrmuschel sicher, gleichzeitig jederzeit trenn- und austauschbar, verbunden. Für den sicheren Transport gibt es ein richtig gutes Köfferchen, das mit einer guten Raumaufteilung ebenso punktet wie mit seiner Stabilität. Da auch die Verarbeitung des Lensys nur im leuchtend grünen Bereich ist, dürfen wir dem Franzosen bis hierhin ein vollauf angemessenes Preis-Leistungsverhältnis bescheinigen. Doch alles entscheidend ist und bleibt der Klang- und Praxistest. Auf dass nun gehört werden möge.
Zur Ergründung der Klangeigenschaften des Lensys Professional öffnen wir zuerst das Logic-Projekt, das wir für den Test des exquisiten Equalizers Carnaby HE 2 von Cranborne Audio (ausführlich in Ausgabe 2/2024 getestet) angelegt hatten. Beim Abhören der mit dem Carnaby HE 2 remasterten Tracks beweist der Franzose schon nach den ersten Takten, dass er genau das serviert, was die Aufnahmen enthalten: Bei sehr gutem Impulsverhalten ist das Klangbild vorbildlich ausgewogen, sodass die klangliche Besonderheit des Carnaby HE 2, das Hinzufügen von Harmonischen, jederzeit en detail hörbar ist. Die Höhen sind sehr detailreich und klar, der wichtige Mittenbereich ist stabil, ohne dass auch nur eine winzige Tiefmittenpräferenz – Stichwort: Wärme –, noch eine Vorliebe für den Präsenzbereich – Stichwort: „Analytischer Klang“ – sich aufdringlich in den Vordergrund spielen würden. Die Auflösung ist auf sehr hohem Niveau und kann durchaus mit dem einen oder anderen Magneto- und Elektrostaten gehörig wetteifern. Die Raumdarstellung ist für einen Kopfhörer ganz ausgezeichnet: Wenn ihr genau wissen wollt, was Hall, Delay oder schlicht und nur vermeintlich einfach eure Aufnahmen an Rauminformationen enthalten oder beigeben, der Focal-Hörer offenbart es euren aufmerksamen Ohren. Wir notieren außerdem, dass Focal diese Raumdarstellung ohne ein Zurechtbiegen des Frequenzgangs, konkret Anhebung des Präsenzbereichs, erreicht hat. Dafür sagen wir aus voller Überzeugung „Bravo!“.
In der Tat lassen sich auch Dolby Atmos-Produktionen wie das aktuelle Album der Progrock-Legende Yes „Mirror of the Sky“ uneingeschränkt genießen. Noch mehr Genuss, weil auch musikalisch über jeden Zweifel erhaben, garantiert die DG-Produktion „Silver Age“ des Klaviergottes Daniil Trifonov: Skriabins Klavierkonzert in Dolby Atmos ist einfach ganz großes Ohrenkino, dass der Lensys Professional ohne Effekthascherei zur Aufführung bringt. Bei dieser opulenten Produktion zeigt sich auch, dass der Focal sehr basskompetent ist. Tiefe, konturierte Bässe bringt er an die Ohren, ohne auch nur einen Auftakt lang zu übertreiben. Dass der Focal als vergleichsweise wirkungsgradhoher Hörer diese insgesamt sehr gute Leistung auch an weniger kräftigen Kopfhörerverstärkern wie dem einen oder anderen hochauflösenden Digital Audio Player beibehält, macht den französischen Profi auch für Mobilisten interessant. Mithin ist der Lensys ein Vollprofi, der mit der französischen Finesse à la Focal rundum überzeugt.

Fazit
Der Focal Lensys Professional ist ein präzise aufspielender Allroundkopfhörer, der in allen relevanten Disziplinen – Impulsverhalten, Auflösung, Raumdarstellung – überzeugt. Als Vollprofi mit signaltreuer Abstimmung und geschlossener Bauweise eignet er sich gleichermaßen für Aufnahme, Mix und Mastering.
Lensys Professional
Hersteller | Focal |
Vertrieb | https://sound-service.eu |
Typ | Dynamischer Kopfhörer |
Farbe | Schwarz-Anthrazit |
Gewicht | 360 g |
Preis [UVP] | 699 € |
Technische Daten
Wandlerprinzip | dynamisch |
Bauweise | geschlossen |
Frequenzbereich | 5 Hz – 22 kHz |
Impedanz | 26 Ohm |
Empfindlichkeit | 100 dB/1mW |
Anschlusskabel | 1x 3,5 mm Klinke, einseitig geführt |
Lieferumfang | Zwei Anschlusskabel, Schraub-Adapter 3,5/6,3 mm Stereoklinke, Transportkoffer, Handbuch |
Besonderheiten | Handgebaut in Frankreich, Treiber mit invertierter „M-Kalotte“ (Focal-Patent), gewinkelt eingebaute Treiber, Ohrpolster aus „Memory Foam“. |
Bewertung
Kategorie | Spitzenklasse |
Ausstattung | sehr gut |
Verarbeitung | sehr gut |
Bedienung | sehr gut |
Klang | sehr gut |
Gesamtnote | sehr gut |