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November 14, 2024

Interview: Reverb als Leidenschaft mit Matt Hill von ­LiquidSonics

Wir freuen wir uns über die Gelegenheit, mit Matt Hill zu sprechen, dem Gründer von ­LiquidSonics – einem Unternehmen, das sich auf High-End-Faltungshall spezialisiert hat und jetzt auch algorithmische und synthetische Reverbs von Reverb Foundry vertreibt. Er verrät nicht nur, welche Philosophie hinter seinen Plug-ins steckt, sondern hat auch Tipps auf Lager, wie Hall-Effekte idealerweise eingesetzt werden.

von Marco Scherer

Professional-Audio: Hallo Matt, schön, dass du Zeit für uns hast. Für die einen ist Hall nur ein Werkzeug, für die anderen ist er ein eigenes Instrument. Ich wette, du gehörst zu den Letzteren. Warum eigentlich? Was bringt dich dazu, Hall in so vielen Facetten so ambitioniert zu kreieren und neu zu gestalten.

Matt Hill: Da ich aus einem EDM- und Remixing-Hintergrund komme, war Hall für mich immer ein Teil der Essenz eines Soundeffekts, eines Synth-Patches oder eines Riffs/Hooks selbst. Hall und Effekte sind in Werkspresets von vielen Synthesizern enthalten, also lernte ich über Hall, während ich über Synthese lernte. Was mich dazu brachte, mich mit dem Halldesign zu beschäftigen, war einfach eine Überinvestition in Synthesizer-Hardware. Die VA-Klassiker Access, Waldorf und Novation aus den späten 90ern waren für einen Zwanzigjährigen mit einem Studentenkredit in der Tasche unwiderstehlich.

Die entsprechende Unterinvestition in Outboard-Geräte wurde zu einem Problem, als es um den endgültigen Mix ging. Ich hatte nichts, um den Mix zu einem kohärenten Ganzen zusammenzufügen, da es zu dieser Zeit nur wenige native Reverbs gab, die obendrein der Aufgabe einfach nicht gewachsen waren. Es gab noch keine etablierten Hardware-Hall-Entwickler, die sich mit Plug-ins auskannten und ihre erstklassigen Algorithmen auch virtuell anboten, so wie wir sie heute kennen. Ich war immer ein bisschen verloren auf dem Meer. Besuche in Studios mit Lexicons (und später Bricastis), um Mixe aufzupolieren, weckten in mir den brennenden Wunsch, das zu besitzen, was ich mir nicht leisten konnte, und seither grenzt dieses Interesse an Besessenheit.

Vorlage für das „Seventh Heaven“ Plug-in ist der M7-Hallprozessor des amerikanischen Herstellers Bricasti.

Professional-Audio: Deine Plug-ins basieren stark auf Faltungshall, ich glaube, du nennst es „Fusion-IR“, was auch ein „organisches“ Element hinzufügt. Kannst du erklären, was das technisch und klanglich bedeutet.

Matt Hill: Ich führe hier immer den Unterschied zwischen einem Bild und einem Film an. Ein Bild kann Bewegung andeuten oder suggerieren, aber ein Film kann sie dir zeigen. Bei der Fusion-IR-Technik geht es darum, mehrere Impulsantworten zu nehmen und sie während der Wiedergabe so zu verschmelzen, dass der Modulationsstil vieler hochwertiger digitaler Hallgeräte reproduziert wird. Ursprünglich wurde sie speziell entwickelt, um die subtile, aber wesentliche Modulation des Bricasti M7 zu reproduzieren, aber sie hat sich als ein sehr nützliches Werkzeug für eine Vielzahl von Hallanwendungen und -reproduktionen erwiesen. In meinen neueren Arbeiten, die algorithmischer Natur sind, setze ich die Technik weniger ein, aber sie ist ein absolut wesentlicher Bestandteil des „Seventh Heaven“ Plug-ins – statische Impulse können einfach nicht vermitteln, was dieses und viele andere klassische Geräte unter der Haube tun.

Professional-Audio: Bevorzugst du subtile und seriöse Reverb-Settings oder spielst du auch mal verrückt mit den Einstellungen herum? Wenn ja, wann und warum.

Matt Hill: Da ich kein EDM-Produzent mehr bin und auch nicht mehr nur Hallprozessoren für mich selbst herstelle, haben sich meine musiktechnischen Interessen im Laufe der Jahre deutlich erweitert. Heute faszinieren mich vor allem saubere und transparente Reverbs, die ich als die ultimative Herausforderung im Halldesign betrachte. Dies ist eindeutig der Einfluss des M7, der natürlich viele Jahre lang ein Schwerpunkt meiner Arbeit war und den ich, wie viele andere auch, schnell als den besten Hardware-Hall aller Zeiten ansah. Was bringt es also, mit den Einstellungen verrückt zu spielen, wenn man einen M7 nicht schlecht klingen lassen kann, ganz gleich was man mit ihm macht?

Deshalb wähle ich heute eher den subtilen und seriösen Weg, was im Allgemeinen meinen Kunden in der Filmmusik- und Postproduktion entgegenkommt. Hier müssen wir den Raum spüren, ohne den Hall zu hören, oder die Akustik einer weltberühmten Aufnahmebühne ergänzen, ohne ihr einen unangemessenen akustischen Stempel aufzudrücken. In diesen Bereichen ist es wie bei der Arbeit von Geheimagenten: Wir müssen unsere beste Arbeit meist unbemerkt im Schatten leisten. Anders als bei EDM oder anderen Genres, wo der Hall ein Teil der Seele des Klangs ist, hat man in den meisten Fällen ein Problem, wenn man den Hall bemerkt, weil er die Aufmerksamkeit auf sich zieht, anstatt einfach nur das Eintauchen des Hörers oder Betrachters in das Erlebnis zu verstärken. Es ist eine große Herausforderung, diese Anforderung mit der Notwendigkeit in Einklang zu bringen, einen Raum oder eine Räumlichkeit aus trockenen, samplebasierten Instrumenten, Geräuschen oder Dialogen vollständig zu synthetisieren.

Um der Lebendigkeit des Bricasti-Hallsounds, der im Seventh Heaven Plug-in emuliert wird, möglichst nahe zu kommen setzt LiquidSonics die eigens ersonnene „Fusion-IR“-Technik ein.

Professional-Audio: Was würdest du unseren Lesern empfehlen, bei der Verwendung von Hall unbedingt auszuprobieren oder damit zu experimentieren?

Matt Hill: Als Halldesigner dürfen wir nicht zu gierig sein, wenn es um den Platz im Mix geht. Das ist sehr wichtig, denn unsere Werkzeuge haben vielleicht das größte Potenzial, einen guten Mix zu erdrücken und zu ruinieren. Es ist schwer, der Versuchung zu widerstehen, zu viel Hall zu verwenden, da die heutigen Hallgeräte sehr schmeichelhaft sind, wenn man sie isoliert hört.

Es ist sehr wichtig, den Produzenten Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen sie solche „teuflischen Versuchungen“ angesichts einer Fülle von Möglichkeiten vermeiden können. Heutzutage setzen immer mehr Leute auf Halldynamik als einen wesentlichen Teil der ­Hallproduktionstechnik. Das Ausblenden der Hallfahne, wenn der Mix voll ist, trägt zur Klarheit bei, und wenn es im Mix Platz gibt, haben wir den Spielraum, um den satten und üppigen Hall zu einem momentanen Statement zu machen.

Jahrelang wurde dies mit einem Sidechain-Kompressor erreicht, der nach dem Verb auf einem Bus/Send platziert wurde. Bei meinen Reverbs ermutige ich die Leute, die Reflexionen in Ruhe zu lassen, weil sie es uns ermöglichen, eine wunderbare Hallräumlichkeit zu erhalten, die ein Instrument im Raum verwurzelt. Reflexionen sind selten die Ursache von Problemen – es sind typischerweise die dicken Fahnen, die wirklich Probleme verursachen. Wenn wir also nur die Hallfahne ausblenden, erhalten wir das Beste aus beiden Welten. Daher sind Dynamics im LiquidSonics-Hall so integriert, dass sie auf verschiedene Elemente des Halls angewendet werden können, so dass diese Technik wirklich einfach auszuprobieren ist, ohne komplexe Routings oder doppelte Plug-ins für unabhängige Verbs und Reflexionen. Ich glaube, dass das einen großen Unterschied macht, und wir haben eine Reihe von Videos auf unserem YouTube-Kanal, die diesen Ansatz veranschaulichen.

Matt Hill ist der Gründer von LiquidSonics und zeichnet für die Produktion aller Plug-ins verantwortlich.

„Bei der Fusion-IR-Technik geht es darum, mehrere Impulsantworten zu nehmen und sie während der Wiedergabe so zu verschmelzen, dass der Modulationsstil vieler hochwertiger digitaler Hallgeräte reproduziert wird.“

Professional-Audio: Mit LiquidSonics und Reverb Foundry betreibst Du zwei Marken unter einem Dach. Was ist der Unterschied zwischen beiden?

Matt Hill: Ursprünglich war der Plan, verschiedene Produkttypen für verschiedene Kundentypen zu entwickeln (saubere und transparente Faltungshallgeräte gegenüber algorithmischen Hallgeräten), mit entsprechendem Marketing und Produktsegmentierung für jeden. Schließlich begannen sich die Produktlinien auf natürliche Weise anzunähern, und wir haben die Entscheidung getroffen, die Marken vollständig zusammenwachsen zu lassen. Mit der Zeit wird Reverb Foundry höchstwahrscheinlich in der bekannteren Marke LiquidSonics aufgehen.

Cinematic Rooms ist ein Reverb für die hohen akustischen Anforderungen der Surround-Raumsimulation. ­Tiefgründige und dennoch zugängliche, fortschrittliche Surround-Workflow-Tools ermöglichen es, ­überzeugende Räume mit unglaublicher Transparenz bis hin zu 9.1.6 Atmos zu gestalten.

Professional-Audio: In welchen Situationen würdest du ein gesampeltes Ambiente einem synthetischen Reverb vorziehen?

Matt Hill: Ein Foto wird immer ein wahrheitsgetreueres Abbild der Realität sein als ein meisterhaftes Landschaftskunstwerk. Eine Impulsantwort ist dieses Foto, akustisch gesehen. Wenn man also den Klang unbedingt an einen Raum anpassen muss, ist eine Impulsantwort kaum zu schlagen. Wenn beispielsweise ein Dialog nach dem Dreh in einer Kabine neu aufgenommen werden muss (ADR), ist eine Impulsantwort, die jemand aus dem Produktionsteam vom Drehort aufgenommen hat, die ideale Lösung.

Professional-Audio: …und andersherum?

Matt Hill: Wenn wir unsere Realität anpassen müssen, um etwas zu schaffen, das man sich nur vorstellen kann, oder um einen Hall zu erzeugen, der dem Ohr auf eine Art und Weise schmeichelt, wie es ein realer Raum bei der Aufnahme vielleicht nicht tut, dann ist ein synthetischer Hall wie Tai Chi der richtige Weg. Wenn wir also eine Gitarre oder eine Stimme auf eine Art und Weise verdichten wollen, die sich im Laufe der Zeit so entwickelt und wogt, dass sie schmeichelhaft, vielleicht sogar unheimlich klingt, dann ist ein synthetischer Hall der ideale Weg dazu, weil wir mit wissenschaftlichen Mitteln das erzeugen können, wonach sich unser geistiges Ohr sehnt.

Lustrous Plates ist – im Gegensatz zu Reverberate und Seventh Heaven – ein algorithmisches Hall-Plug-in. Die Fusion IR-Technik kommt auch in diesem Hall zum Einsatz. Es emuliert den beliebten Plattenhall-Sound.

Lustrous Plates klingt mit seiner akkuraten Dispersions- und Abklingmodellierung sehr ähnlich wie eine echte Platte. Aber mit verbesserten Räumlichkeitseigenschaften, einem weitaus größeren Sinn für Breite und ausgefeilten Modulationsmöglichkeiten ist er sehr ansprechend für das Ohr und schmeichelt dem Ausgangsmaterial, ohne unnatürlich oder künstlich zu klingen.

„„Reflexionen sind selten die Ursache von Problemen – es sind typischerweise die dicken Fahnen, die wirklich Probleme verursachen. Wenn wir also nur die Hallfahne ausblenden, erhalten wir das Beste aus beiden Welten.“

Cinematic Rooms hat in einigen seiner Presets eine unverkennbare „räumliche“ Qualität (am auffälligsten in den Kategorien Chambers und Post, wo eine ausgeprägte Raumfarbe unerlässlich ist), kann aber auch unglaublich transparent sein, mehr als es ein echtes Raumsample je sein könnte. Der Basisalgorithmus ist einfach so flexibel, dass wir das Beste aus beiden Welten haben können. Ähnlich verhält es sich mit Räumen, die sich zwar nicht subtil bewegen, wohl aber die Interpreten, was unsere Wahrnehmung eines Raums von einem Moment zum anderen auf unbestimmte Weise beeinflussen kann – das ist schwer zu quantifizieren, aber das Ohr nimmt es sehr leicht auf, so dass wir dieses Phänomen irgendwie algorithmisch unterbringen müssen, um ein überzeugendes und lebendiges Raumgefühl zu erzeugen.

Ähnlich wie bei der digitalen Nachbearbeitung eines Fotos sind dies also die Szenarien, in denen algorithmische Reverbs ihre volle Wirkung entfalten. Wir können die Realität studieren und uns von ihr inspirieren lassen, während wir gleichzeitig Endergebnisse erzielen, die letztlich nur algorithmisch realisiert werden können.

Tai Chi ist ein algorithmisches Reverb, das unter der LiquidSonics-Marke „Reverb Foundry“ veröffentlicht worden ist und sich speziell für Synthesizer, Gitarren, E-Pianos und Vocals eignen soll.

Professional-Audio: Was steht als nächstes bei LiquidSonics an?

Matt Hill: Es hat lange gedauert, bis wir hierher gekommen sind, aber ich bin im Moment sehr zufrieden mit der Form des Portfolios. Wir haben Reverbs, die in der Score- und Post-Welt in Los Angeles sehr beliebt sind, die von historischen Emulationen und zukunftsweisenden Ensemble-Verbs begleitet werden. Sie alle nehmen eine einzigartige Position auf dem Markt ein.

Es kann zwar leicht sein, ein Produkt zu machen und zum nächsten überzugehen.

Aber meine Prioritäten entwickeln sich weiter, und deshalb ist es für mich im Moment wichtig, dass ich mich richtig um mein Produktportfolio kümmere.  Erstens arbeite ich hart daran, dass alle meine Produkte weiterhin mit Änderungen an Betriebssystemen und DAWs kompatibel sind, sobald dies möglich ist. Zweitens muss ich wirklich sicherstellen, dass sie den professionellen Anwendern das bieten, was sie brauchen. Das bedeutet, dass ich bei jeder Gelegenheit auf die Bedürfnisse ihrer Arbeitsabläufe eingehe und die Produkte bei Bedarf anpasse. Das bedeutet auch, dass ich auf der Grundlage des Kundenfeedbacks zusätzliche Funktionen zu den bestehenden Produkten hinzufügen muss, und zwar ohne zusätzliche Kosten für die Kunden.

Aber in einer Branche, in der man ständig der nächsten Version hinterherjagt und in der große Firmenübernahmen zur Norm werden – so verrückt das auch klingen mag – ist das zwar selbstverständlich, aber seit der Pandemie haben wir festgestellt, dass dies ein zunehmend wichtiges Unterscheidungsmerkmal ist. Ich glaube, das ist es, was LiquidSonics eine so fantastisch treue Benutzerbasis beschert hat. Es mag altmodisch klingen, aber ich finde es wichtig, sich um seine Kunden zu kümmern.

Während ich also immer nach dem nächsten Produkt forsche und neue Ideen erkunde, widerstehe ich der Versuchung, einfach nur mehr und mehr Produkte zu produzieren, nur um der Sache willen. Ich ziehe es vor, mich zu spezialisieren und ein paar Dinge gut zu machen.

Kurz gesagt lautet meine Antwort: Ich kümmere mich um meine Kunden, indem ich mich um die Produkte kümmere.

Professional-Audio: Dann wünsche ich weiterhin viel Erfolg mit LiquidSonics und bedanke mich für die interessanten Auskünfte und detaillierten Einblicke.